Hype oder Rettung?
Agilität im Kulturbereich

Anke von Heyl

16. Februar 2021

Die Welt hat sich verändert und wir befinden uns in einer Phase, in der auch traditionsreiche Kulturinstitutionen und Strukturen auf ihre Anpassungs- und Zukunftsfähigkeit hin überprüft werden müssen. Im Hinblick auf eine nächste Gesellschaft sollte der Kulturbereich intensiv über den Wandel nachdenken. Nicht zuletzt bringt besonders die Digitalisierung historisch neue Rahmenbedingungen, auf die es zu reagieren gilt. Transformation muss als gemeinsamer Prozess von Kulturpolitik, Wissenschaft, Bildung, Sozialkultur und Kulturschaffenden sowie Kulturinstitutionen gesehen werden. Denn es geht um die Veränderung fest etablierter – um nicht zu sagen: verkrusteter – Strukturen und Konzepte.

Auch das Thema Innovation ist hier eine wichtige Denkfigur. In diesem Beitrag soll aber auf ein spezifisches Phänomen geschaut werden, das in den letzten Jahren von vielen Akteurinnen und Akteuren im Kulturbereich diskutiert worden ist. Die Rede ist von der Agilität. In der Tat ein Buzzword, aber es lohnt sich, die dahintersteckenden Gedanken einmal genauer zu beleuchten.

Was ist mit Agilität gemeint?

Grundsätzlich beschreibt man mit Agilität bestimmte Arbeitsmethoden und Prozesse, die sich in der Softwareentwicklung etabliert haben. 2001 haben sich aus diesem Bereich Expert*innen in einem Manifest geäußert, das vier grundlegende Werte beschrieben und zwölf unterschiedliche Prinzipien der Agilität festgelegt hat:

  • Individuen und Interaktionen vor Prozessen und Werkzeugen
  • Funktionierende Software vor umfassender Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden vor Vertragsverhandlungen
  • Reagieren auf Veränderung vor dem Befolgen eines Plans

In den darunter vereinten Prinzipien geht es unter anderem um Selbstorganisation, Kundenorientierung, aber beispielsweise auch um die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen. Flexible Strukturen, iterative Prozesse und Nachhaltigkeit sind weitere Leitplanken. Auf der Grundlage der agilen Prinzipien erwachsen agile Methoden wie zum Beispiel Scrum: Eine häufig angewandte Methode, die den Fokus auf Selbstorganisation der Mitarbeiter*innen legt und ein schrittweises Vorgehen im Arbeitsprozess vorschlägt. Immer im Austausch mit dem Bedürfnis der Nutzer*innen zu entwickelnder Produkte beziehungsweise Dienstleistungen. Solche als Feedback-Schleifen bekannten Rückkoppelungen sind essenziell im ständigen Lernprozess der Agilität.

Im Vergleich zu anderen Konzepten, beispielsweise des Lean Managements, wird noch einmal klar, worum es beim Thema Agilität geht: Der Output zählt, die Produktentwicklung, letzten Endes auch die Effizienz des Unternehmens. Deswegen muss Agilität auch als holistischer Ansatz begriffen werden und alle Unternehmensbereiche umfassen. Wobei man nicht dem Irrglauben erliegen darf, dass Agilität ein Sparprogramm ist, bei dem durch schnelle Prozesse weniger Ressourcen und Mitarbeiter notwendig sein könnten. Die Frage ist nun, ob es Sinn macht und überhaupt funktionieren kann, diese Management-Methoden auf den Kulturbereich zu übertragen.

Status quo und Transformation

Kulturinstitutionen und die Menschen, die mit und in ihnen arbeiten, haben verlässliche Wissensspeicher geschaffen. Einrichtungen wie Theater oder Museen sind Orte der Begegnung und der Auseinandersetzung mit den Künsten; sie bieten im Idealfall Orientierung und Möglichkeiten der Selbstvergewisserung. Es ist gut, dass mit ihnen Stabilität vermittelt wird und dass diese Stabilität beispielsweise auch mit entsprechenden Förderkonzepten gewährleistet werden kann.

Welchen Veränderungsdruck spürt der Kulturbereich also ganz konkret? Dies zu hinterfragen ist zentral. Eine mögliche Antwort ist, dass viele der Institutionen und ihrer Strukturen aus einer anderen Ära stammen, die von hegemonialen Ideen geprägt ist. Konfliktreiche hierarchische Strukturen treffen heute aber auf eine zunehmende Nachfrageignoranz des Kulturpublikums. Stabilität sieht anders aus!

Die Rolle der Kulturpolitik im Agilitätstheater

Es wäre wohlfeil zu sagen, dass Kulturpolitik die konzeptionellen Grundlagen für die Transformation schaffen muss. Dafür müsste Veränderung mit all ihren Auswirkungen schon zu Ende gedacht und mit entsprechenden Erfahrungen belegt sein. Und: Auch die Kulturpolitik bleibt ihrerseits von solchen Prozessen des Um- und Neudenkens nicht unberührt und muss sich überlegen, welche Schwerpunkte sie in den Kultureinrichtungen zukünftig unterstützen sollte. Ein Anfang ist daher gemacht, wenn der Diskurs beispielsweise auch über neue Ziele der Kulturförderung geführt werden kann. Als Nächstes müssen inhaltliche Programme folgen. Was es dringend braucht, sind Multiplikator*innen, die Akteur*innen aus Kulturverwaltung und Kulturinstitutionen durch unsichere Zeiten navigieren könnten und ihre Erfahrungen mit innovativen Ansätzen weitergeben.

Dabei gilt: Alles ist eine Frage der Haltung, und erst, wenn man das Weshalb genügend besprochen hat, kann man sich an das Wie wagen. Ein wesentlicher Aspekt ist eine positive Besetzung des Netzwerkgedankens, der ja ureigentlich auch ein Teil agilen Arbeitens ist. Wissen über erprobte Methoden sollte größeren Kreisen zur Verfügung gestellt, Talente identifiziert und in kollaborativen Prozessen eingebunden werden. Ein genauso wichtiger Punkt ist aber auch die Bereitschaft, Fehler zu tolerieren beziehungsweise Ambiguitäten auszuhalten. Denn wenn man zu neuen Formen der Arbeit auch im Kulturbereich kommen möchte, muss man unweigerlich unbekanntes Terrain betreten und Grenzen austesten.

Agile Prozesse mögen bisweilen durch schnelle Entscheidungen und mutige Experimente geprägt sein, sie dürfen jedoch nicht als blinder Aktionismus missverstanden werden. Das Bedürfnis vieler Menschen – besonders im Kulturbereich – nach Qualitätssicherung und nachvollziehbaren Identitäten darf nicht unterschätzt werden. Wenn die Rollen neu definiert werden, müssen Hierarchien abgebaut und Regeln über Bord geworfen werden, sind Instanzen gefragt, die das Denken und Handeln einordnen und bestenfalls auch kritisch diskutieren können.

Kochen ohne Rezept

Im Kulturbereich gibt es bis dato wenige bis gar keine Konzepte, einen Betrieb auf agiles Arbeiten umzustellen. Paul Spies hat dies am Stadtmuseum Berlin ausprobiert, indem er offene Teamstrukturen und agiles Projektmanagement für einen partizipativen Museumsansatz eingeführt hat. Sicher ist es schwierig, Anleitungen zu liefern, die für andere eins zu eins umsetzbar sind. Es gilt, einen individuellen Standpunkt zu definieren, an dem agile Prozesse gestartet werden. Dies geht in Arbeitsprozessen (z. B. mehr Meetings, aber kürzere, nachhaltiges Arbeitstempo, Kollaborationstools nutzen, Design-Thinking-Methoden) oder im Empowerment von Mitarbeiter*innen (abteilungsübergreifende Teams, Meilensteine feiern, neue Kollaborationen suchen, Talente identifizieren, Inhalte statt Zuständigkeiten), aber auch durch das verstärkte Denken in und Arbeiten mit Zielgruppen.

Netzwerk Agile Kultur

Seit gut einem Jahr haben sich verschiedene kulturelle Akteur*innen in einem Netzwerk Agile Kultur  zusammengefunden, das in wöchentlichen (Online-)Meetings Input und Diskussion zum Thema Agilität bietet. Am 16.12.2020 fand als Jahresabschlussveranstaltung des Netzwerkes Agile Kultur in Zusammenarbeit mit der Kulturpolitischen Gesellschaft ein digitaler Thinktank der besonderen Art statt. Dort wurde beispielsweise diskutiert, welche Voraussetzungen für eine agile Kulturentwicklung gegeben sein müssen (u. a. neue Lernkultur etablieren, Weiterbildungsbedarfe erfassen, Förder-Thinktank, regelmäßige Reflexion, Innovationsraum, Vertrauen, Empathie). Gefragt wurde nach ganz konkreten Schritten, um das Gewollte zu erreichen (z. B. sich vom Anspruch auf Vollständigkeit trennen, monopolisierte Macht abgeben, Rollen zu Prozessen umgestalten und neu verteilen), und nach Möglichkeiten, das Erreichte nicht verpuffen zu lassen (Dreiklang: Erproben – Prüfen – Anpassen, Personalentwicklung, Abbau von Barrieren).

Offen für den Diskurs

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema Agilität bereits gemacht? Sind Sie eher skeptisch, was die Wirksamkeit solcher Ansätze betrifft? Denken Sie, dass sich der Kulturbereich hier Anregungen holen kann, aber viel eher zu einem eigenen Weg kommen muss? Ihre Meinung interessiert uns und wir freuen uns über Feedback per Mail oder in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #AgileKultur.


Autorin

Foto: Sarah Bauer

Anke von Heyl M.A. ist Kunsthistorikerin und war unter anderem Redaktionsleiterin (teNeues Verlag) und wissenschaftliche Mitarbeiterin (Museumsdienst Köln). Seit 2002 arbeitet sie für Museen und Kultureinrichtungen deutschlandweit und betreibt ein erfolgreiches Kulturblog. Sie hat sich auf die Besucherorientierung spezialisiert und ist Social-Media-Expertin. Ihre Schwerpunkte sind partizipative Formate und digitale Wege ins Museum. Anke von Heyl war bis Ende 2020 als Beraterin für die Kulturentwicklungsplanung der Landeshauptstadt Wiesbaden tätig und moderiert die wöchentlichen Web-Talks der Kulturpolitischen Akademie.