Gerade öffentlich geförderte Kulturinstitutionen sind massiv vom disruptiven gesellschaftlichen Wandel betroffen und müssen an der eigenen Innovationsfähigkeit arbeiten. Die aktuellen Megatrends – wie etwa Digitalisierung, Individualisierung oder Globalisierung – verändern vormals dominante Produktions- sowie Rezeptionsbedingungen und steigern damit den Bedarf an neuen, technisch hochwertigen Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen.
Damit verbunden ist auch die Erwartungshaltung an eine Anpassung in der gesellschaftlichen Funktion von Kulturinstitutionen, die stärker zu dritten Orten des Austausches über gesellschaftliche Lebensbedingungen, kollektive Werteorientierungen und Communities werden müssen. Aufgrund vielschichtiger Verflechtungen zwischen den unterschiedlichsten Verwaltungs- und Politikebenen erweisen sich aber gerade die Institutionen des Kultursektors als wandlungsunfähig und veränderungsresistent. Aus diesem Grund versuchen kulturpolitische Entscheidungsakteure (auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene) in den vergangenen Jahren verstärkt durch neue Programme in der Projektförderung gegen zu steuern, um gezielt soziale Innovationen und digitale Transformationsprozesse in Kulturorganisationen zu erreichen.
Noch nie wurden so viele Mittel für den Versuch der institutionellen Anpassung kultureller Infrastrukturen zur Verfügung gestellt. Allerdings gelingen dadurch bisher nur kurzfristige, eher programmatische Veränderungen, da die Mittel keinerlei ernsthaften Handlungsdruck in Bezug auf nachhaltige strukturelle Veränderungen erzeugen und regelrecht an der traditionellen Ablauforganisation abprallen. Dies liegt zu einem großen Teil am dominanten Status quo der Organisationsform. Die Strukturen der meisten Kulturinstitutionen stehen aufgrund ihrer langen Tradition zwar für Stabilität, tendieren aber deshalb auch zur Trägheit.
Insbesondere die starken Verflechtungen mit den Trägern – verbunden mit strikten Vorgaben und Anweisungen – blockieren oftmals eine flexible Adaption zukunftsweisender Herangehensweisen. Gleichzeitig wurden die Entscheider*innen auf Leitungsebene größtenteils in den vorherrschenden Machtstrukturen sozialisiert, haben die Handlungslogik der Routinen verinnerlicht und sind deshalb häufig nicht bereit, auf die schwer erreichten Pfründe zu verzichten. Zudem schafft die starke Hierarchisierung scheinbar klare Verantwortlichkeiten, Rechtssicherheit und entspricht auch dem Wunsch nach einer Personalisierung der Organisation in der Öffentlichkeit.
Die Veränderung von etablierten Arbeitsprozessen und Zuständigkeiten durch kurzfristige, weil projektbasierte Maßnahmen werden von den Systemen daher als nicht zielführend abgewehrt. Die zusätzlichen Mittel gehen aus diesem Grund eher in Maßnahmen zur programmatischen Weiterentwicklung oder in die Bereitstellung zusätzlicher Programmangebote, die keine langfristige Anpassung in der Organisation induzieren. Viele innovationsorientierte Prozesse und Aufgaben, wie etwa eine fortschreitende Digitalisierung der Institution, aber auch die zunehmend notwendige Community- oder Netzwerkbetreuung und das Einbinden des Publikums (auch im Sinne systematischer Audience-Engagement-Maßnahmen) können aus diesem Grund nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Gespür für gesellschaftliche Veränderungen
Es ist, vereinfacht gesagt, eine dauerhafte Anpassung der Steuerungsstrukturen notwendig, die neue Räume für die inhaltliche Weiterentwicklung gemeinsam mit allen relevanten Entscheidungs- oder Arbeitsebenen innerhalb der Kulturorganisationen ermöglicht. Um diesen Schritt tatsächlich durchsetzen zu können, bedarf es eines Business-Reengineering der jeweiligen Institutionen, das offenere Strukturen mit agilen Prozessen der Neuorientierung institutionalisiert. Denn eigentlich sind Kulturinstitutionen nicht per se innovationsfeindlich. Im Gegenteil: Kultureinrichtungen sind in vielen Fällen early adopters und haben ein feines Gespür für gesellschaftliche Veränderungen. Allerdings zeigt sich diese Antizipationsfähigkeit in erster Linie auf inhaltlicher Ebene und hat geringen bis gar keinen Einfluss auf die Organisationsstrukturen. Dies liegt häufig an der fehlenden Balance zwischen der Verwaltungs-, Vermittlungs- und Programmperspektive sowie der übergeordneten künstlerischen Gesamtentwicklung der jeweiligen Einrichtung und den damit verbundenen unterschiedlichen Entscheidungs- und Kommunikationskulturen.
Sicherlich stellen viele praxisnahe Forschungs- oder Kulturförderprogramme in ihren Ausrichtungen die richtigen Fragen. Es geht immer wieder um die Gestaltung von Transformationsprozessen, die Adressierung der digitalen Herausforderung, Audience Development / Engagement, die Entwicklung kollaborativer und partizipativer Formate, Förderung der Diversität und Demokratie oder die Bereitstellung kultureller Infrastrukturen in strukturschwachen Regionen. Allerdings mangelt es sowohl auf Seiten der Fördermittelgeber als auch auf Seiten der Institutionen an eindeutigen Messgrößen, die sich auf die oben genannten Fragestellungen beziehen und diese bewertbar machen. Damit entstehen auch keine modellhaften und verbreiteten Erkenntnisse, die von anderen Akteuren aufgegriffen, genutzt und weiterverarbeitet werden können.
Fehlender Handlungsdruck zur Nachhaltigkeit
Es bedarf nach Ansicht der Autoren*innen ein Umdenken hin zu klaren Zielvorgaben der innovationsorientierten Projektförderung, verbunden mit einem intensiven Coaching, Controlling und Reporting des Erfolgs der Aktivitäten. Während dieser Aspekt bei der klassischen projektbasierten Programmförderung aufgrund der Autonomie künstlerischer Arbeit nur bedingt zum Tragen kommen darf, wird er bei Förderungen struktureller Anpassungen kultureller Infrastrukturen zur notwendigen Gelingensbedingung. Die Förderung von Programmangeboten oder strukturellen Anpassungen basieren auf unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten, die auch das Anforderungsprofil der mittelgebenden Instanzen mitbeeinflussen sollten. Daran anknüpfend bedarf es auch einer Ausweitung der Evaluierungskriterien, die nicht mehr nur quantitative Kennzahlen berücksichtigen, sondern ein auf gesellschaftliche Relevanz basiertes Impact Measurement vornimmt.
Langfristige Prozesse brauchen einen anderen Messrahmen, der die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt und in einen der Institution entsprechenden Kontext setzt. Daran anknüpfend bedarf es spezifischer Korrekturinstrumente, die bei einem Abweichen von vorher definierten Projektzielen regulierend eingreifen. Bisher gilt bei der Projektförderung oftmals der Grundsatz: wenn der Zuschlag einmal da ist, dann kann das Geld für alle Bereiche der Organisation genutzt werden, solange die Mittelverwendung passt und ordentlich nachgehalten werden kann. Welche langfristigen Effekte allerdings die Förderung auf den operativen Betrieb und insbesondere auf die strategische Ausrichtung der Organisation hat, bleibt fast immer außen vor. Gerade vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht der Autor*innen die Kulturpolitik gefragt. Denn angesichts fehlender Auflagen sowie eines begleitenden Coachings und Monitorings auf Basis vorher für das Projekt definierter Fragestellungen, ergibt sich keinerlei Handlungsdruck bei der langfristigen institutionellen Anpassung für ein agiles Management.
Scheinaktivitäten am Rande der Systeme
Eine noch weiterführende Durchökonomisierung des Kultursektors darf dabei allerdings nicht die Antwort sein. Die fortschreitende Neoliberalisierung kultureller Infrastrukturen hat ganz im Gegenteil zu einer Überforderung geführt, die durch den Druck einer ständigen Selbstevaluation und -legitimation sowohl aus dem Kultur- als auch dem Entertainmentsektor in den vergangenen Jahren in einer Systemkrise mündete. Um den vielen neuen Herausforderungen zu begegnen werden deshalb nicht selten Berater, Coaches, IT-Dienstleister oder Agenturen engagiert, die häufig zu horrenden Tagessätzen standardisierte Lösungen aus dem Wirtschaftssektor anbieten, obwohl ein maßgeschneiderter, aus den Eigenlogiken der Kulturorganisationen entwickelter Ansatz, deutlich zielführender wäre. Angesichts der starken Blockadehaltung für ernsthafte strukturelle Veränderungen etablieren sich legitimationsbedingt häufig veränderungsbezogene Scheinaktivitäten am Rande der Systeme, die von den beauftragten wirtschaftlichen Agenturen durchgeführt werden. Das für öffentlich geförderte kulturelle Infrastrukturen eingesetzte Geld verschwindet somit ohne Effekt in wirtschaftlichen Kanälen.
Innovationsorientierung im Kulturbetrieb
Angesichts der existierenden Defizite innovationsorientierter Projektförderung sind die Autor*innen davon überzeugt, dass wir einen Diskurs über die zukünftige Ausrichtung derartiger Programme benötigen. Kultur- und haushaltspolitische Entscheidungsträger*innen sind aufgerufen, für derartige Maßnahmen der Projektförderung klarere Zielvorgaben zu definieren und diese von den mittelgebenden Instanzen ernsthaft begleiten zu lassen. Darüber hinaus scheint es notwendig, über andere Formen der Forderung bzw. Förderung einer stärkeren Innovationsorientierung im Kulturbetrieb nachzudenken. Es gibt in einigen Bundesländern erste Coaching und Train-the-Trainer-Programme, die für die Kulturorganisationen dauerhafte Unterstützungen (durch intensive Beratungen, Prozessbegleitungen und einen passgenaueren Wissenstransfer) bei Veränderungsbestrebungen bereitstellen. Derartige intermediäre Unterstützungsleistungen scheinen eine sinnvolle Ergänzung zu sein, um die gewünschten Ziele im Bereich der Transformation zu gewährleisten.
Dieser Beitrag ist bereits in der Ausgabe 165 der Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen. Sie kann hier erworben werden.
Autor*innen
Dr. Henning Mohr ist Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. in Bonn. Der Kultur- und Innovationsmanager hat u.a. für das Deutsche Bergbau-Museum Bochum gearbeitet. Zuvor promovierte er am DFG-Graduiertenkolleg »Innovationsgesellschaft heute« (TU Berlin, Institut für Soziologie) über die Innovationspotentiale künstlerischer Interventionen in Transformationsprozessen.
Jasmin Vogel leitet seit 2019 als Vorständin das Kulturforum in Witten. Seit über einem Jahrzehnt ist sie im Kultursektor tätig und hat verschiedene Innovationsprogramme zur (digitalen) Transformation von Kultureinrichtungen verantwortet, dazu zählt u.a. das Projekt smARTplaces – European digital audience development, finanziert durch das Programm Creative Europe. In der Folge wurde sie für ihre Arbeit mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der European Cultural Brand Award 2016 sowie der ZukunftsGut-Preis 2020 der Commerzbank Stiftung. In Witten liegt ihr Fokus auf der praxisorientierten Erprobung neuer Governance- und Geschäftsmodelle für den Kultursektor, die ausgehend von der Agenda 2030 zu einer größeren Diversität, Digitalität und Transformationsfähigkeit innerhalb der Organisationen führen und damit in Zukunft eine nachhaltige und resiliente Kulturinfrastruktur gewährleisten sollen.