Kopftuch und Aldi-Tüte?
Berichterstattung im Einwanderungsland

Sheila Mysorekar

2. September 2021

75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat Deutschland wieder eine erstarkende rechtsradikale Bewegung. Eine rechtspopulistische Partei sitzt im Bundestag. Rechtextreme begehen Anschläge; Tote sind zu beklagen.

Darauf muss die gesamte Gesellschaft reagieren, Politik, Bildung, Sicherheitskräfte. Um die weitere Ausbreitung rechten Gedankenguts einzudämmen, sind vor allem die Medien gefragt, durch Aufklärung, faktenbasierte Berichte und Recherche gegenzusteuern. Doch das scheint nicht besonders gut zu funktionieren. Im Gegenteil: Rechtsgerichtete Organisationen – auch zahlenmäßig kleine Gruppen – sind lautstark und haben eine große Reichweite.

Das hat mehrere Gründe. Ein Element sticht jedoch hervor: Soziale Medien ermöglichen eine dezentrale und extrem schnelle Kommunikation. Neue Narrative können sich durch die digitalen Kommunikationsabläufe sehr schnell weit verbreiten. Das gilt auch für rechtes Gedankengut, aber die traditionellen Medien setzen dem oft zu wenig entgegen.

Dies ist keine Frage der digitalen Technik. Alle Medienhäuser haben inzwischen solide Social Media-Teams. Der Haken liegt woanders. In Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus ist es notwendig, auf ganzer Linie die Berichterstattung zu überprüfen. Diskriminierungsfreie Sprache und Bilder, die keine Stereotype reproduzieren, sowie eine klare Einordnung von rechtsextremen Äußerungen sind notwendige Grundlagen einer modernen Medienarbeit und müssten in einer vielfältigen Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sein. Doch hier hapert es.

Die deutsche Gesellschaft verändert sich. In weiten Teilen ist sie inzwischen multiethnisch, multikulturell und multireligiös, vor allem in den Städten und unter jüngeren Menschen. Ein Viertel aller Menschen in Deutschland kommt aus Einwandererfamilien. Diese Veränderungen sind in den Medien jedoch noch nicht angekommen. Während die Gesellschaft bereits divers ist, hinkt die Berichterstattung jedoch hinterher und spiegelt die Realität nicht ausreichend oder nur verzerrt. Gängige Stereotype – der ‚frauenfeindliche Muslim’, die ‚stille Asiatin’ – werden oft nicht hinterfragt oder sogar weiter fortgetragen. Dies befördert jedoch diskriminierende Haltungen gegenüber bestimmten Minderheiten.

Redaktionen sind in der Regel von weißen, christlichen, heterosexuellen Männern geprägt; Themensetzung und Wortwahl spiegeln oft die Vorurteile dieser Medienschaffenden und grenzen dadurch Teile der Medienkonsument*innen aus. Solange Redaktionen nicht divers besetzt werden, fällt es kaum auf, wenn etwa in Bildredaktionen immer wieder Stereotype reproduziert werden, wenn also beispielsweise zur Bebilderung eines Artikels über Einwanderung ein typisches Foto à la ›Frau mit Kopftuch und zwei Aldi-Tüten‹ genommen wird, nicht aber das Foto einer afrodeutschen Wissenschaftlerin im Laborkittel oder eines türkischstämmigen Künstlers in seinem Atelier. Die Zementierung von Stereotypen bedeutet, dass Einwander*innen, ethnische und religiöse Minderheiten dauerhaft negativ konnotiert werden. Dies spielt den Rechten und Rechtsradikalen in die Hände.

Mit anderen Worten: Die Überprüfung der eigenen Arbeit und Neuausrichtung der Medienhäuser hin zu einer diskriminierungsfreien Berichterstattung, mit divers besetzten Redaktionen, ist eine notwendige Grundlage, um auch Rechtspopulisten Paroli bieten zu können. Hierzu braucht es kultur- und medienpolitische Debatten.

Dies ist kein Ding der Unmöglichkeit. Seit zehn Jahren trägt der Verein Neue deutsche Medienmacher*innen e.V. (NdM) das Thema Diversität in deutsche Redaktionen hinein. Der NdM ist ein Zusammenschluss von Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Migrationsgeschichte; sie führen Medienprojekte durch und geben Tipps, Kritik und Denkanstöße, um die Medienlandschaft und die Debatte darüber diverser zu gestalten. So haben zum Beispiel die NdM ein Glossar entwickelt, Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland. NdM-Mitglieder gehen in Redaktionen und geben Formulierungstipps bezüglich einer nicht diskriminierenden Sprache. Die Reaktionen sind unterschiedlich.

»Das konnte ich doch nicht wissen!« ist der häufigste Satz, den man zu hören bekommt, wenn Kolleg*innen in den Redaktionen darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Sprache, ihre Fotos, ihre Berichterstattung bei Themen, die Migration betreffen, nicht angemessen ist. Aber ist es wirklich so – kann man das nicht wissen? Dass es einen Unterschied gibt zwischen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, dass die Worte ›Farbiger‹ und ›Schwarzer‹ nicht synonym sind? Dass das Bild einer kopftuchtragenden Frau nicht die beste Wahl ist, um einen Artikel über Islamismus zu bebildern? Dass Afrika von Völkern und nicht von Stämmen bewohnt wird?

Nein, vielleicht ist das Wissen über diese Dinge in der Mehrheitsgesellschaft – und damit in den Medien – noch nicht selbstverständlich, aber das Interesse nimmt zu. Von personeller Diversity sind die meisten Redaktionen noch weit entfernt, doch viele Medienschaffende haben die Notwendigkeit erkannt, der diversen, multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft des heutigen Deutschland Rechnung zu tragen. Sie wählen neue Blickwinkel, nutzen andere Bilder und modifizieren ihre Sprache. Für jene interessierten Reporter*innen gibt es praxisnahe Anleitungen, auf der Website der Neuen deutschen Medienmacher*innen.

Ein anderer wichtiger Bereich ist die Nachwuchsförderung. Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Medienberufen unterrepräsentiert. Das kann damit zusammenhängen, dass Journalismus in den Herkunftsfamilien nicht als seriöser Beruf gewertet wird, oder dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte aus der Arbeiterschicht kommen, die wiederum weniger Journalisten stellt als das Bildungsbürgertum. Es hängt aber auch damit zusammen, dass Redaktionsleiter*innen es migrantischen Volontär*innen oft nicht zutrauen, die deutsche Sprache zu beherrschen oder innenpolitische Themen umfassend beurteilen zu können. Hinzu kommt, dass in der Medienwelt gute Kontakte wichtig sind, die Nachwuchsjournalist*innen aus Migranten- oder Arbeiterfamilien oft fehlen.

Hier setzen die NdM mit dem Mentorenprojekt an: Junge Nachwuchsjournalist*innen aus Migrantenfamilien werden als Mentees mit einem erfahrenen Journalisten zusammengebracht. Der Mentor bzw. die Mentorin sind oft bekannte Medienleute in einflussreichen Positionen. Durch diese Kombination soll dem Nachwuchs der Weg in die Berufswelt leichter gemacht werden.

Jeder weiße deutsche Journalist kann ebenfalls reflektiert schreiben, ohne diskriminierende Sprache oder inadäquate Bebilderung zu benutzen. Dennoch sollten die Redaktionen vielfältiger werden: zum einen, um die multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Bevölkerung Deutschlands zu repräsentieren, und zum anderen, damit die Redakteur*innen eine Vielzahl von Themen und Blickwinkel mitbringen, die eine Bereicherung der oft eindimensionalen Presselandschaft bedeuten.

Am 11. Mai 2020 veröffentlichten die NdM eine Studie, die gemeinsam mit der TH Köln und der Google News Initiative erstellt wurde: »Diversity im deutschen Journalismus: Viel Wille, kein Weg«. In dieser Untersuchung wurde zum ersten Mal erhoben, wie viele Chefredakteur*innen hierzulande einen Migrationshintergrund haben.

Das Ergebnis: Es sind sechs Prozent. 118 von 126 befragten Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten Medien sind Deutsche ohne Migrationshintergrund. Von den sechs Chefs und zwei Chefinnen, die mindestens einen nicht-deutschen Elternteil haben, besitzen alle Wurzeln in den EU-Mitgliedsstaaten, die Hälfte davon sind Nachbarländer Deutschlands. Besonders diskriminierte Gruppen sind hier überhaupt nicht vertreten – kein Chefredakteur und keine Chefredakteurin, der oder die schwarz ist, aus einer muslimisch geprägten Familie oder einer den größten Einwanderergruppen (türkisch, polnisch, russischsprachig) stammt. Nach immerhin sechs Jahrzehnten Arbeitsmigration aus den Mittelmeerstaaten und mehr als vier Jahrzehnten Fluchtmigration nach Deutschland spricht dies eine deutliche Sprache.

Zwei Drittel der befragten Chefredakteure sind bereit, ihre Redaktionen vielfältiger zu besetzen und sehen auch den Nutzen. Konkrete Programme und Förderungen von Nachwuchs sind jedoch kaum vorhanden, geschweige denn Quoten. Doch ohne klare Zielvorgaben bleiben deutsche Redaktionen eine geschlossene Gesellschaft.

Die Communities eingewanderter Menschen sind große Zielgruppen; sie sollten als Publikum mitgedacht werden. Diversität im Programm bzw. der Publikation kann die Reichweite und Auflage steigern. Das heißt: Vielfalt muss Chefsache werden. Entscheider*innen und Personalverantwortliche müssen eine Strategie zur Gewinnung von Personal mit Einwanderungsgeschichte erarbeiten. Rekrutierungsprozesse müssen verändert, Bewerber*innen of Color proaktiv angesprochen werden.

Dies ist nicht nur deswegen wichtig, damit ethnische oder religiöse Minderheiten in Ruhe die Zeitung lesen oder Nachrichten schauen können, ohne durch die Art der Berichterstattung diskriminiert zu werden, sondern ein sorgfältiger Umgang mit diesen Themen kommt sämtlichen Medienkonsumenten zunutze, da alle Nuancen der veränderten, diversen Gesellschaft besser gespiegelt werden. Das heißt, es werden nicht mehr elementare Teile der Bevölkerung in den Medien verzerrt wiedergegeben oder ganz ausgeblendet; somit hat die Gesamtheit der Mediennutzer ein genaueres, umfassenderes Bild der Realität. Dies trägt wesentlich zu einer qualitativ hochwertigen und verantwortungsbewussten Berichterstattung bei.

Medien haben Verantwortung für den sozialen Frieden. Die Gesellschaft verändert sich, rechtsradikale Meinungen finden Zulauf, und die Medien müssen diese Veränderung auffangen und reflektieren, aktuelle Debatten aufgreifen sowie neutral und unvoreingenommen darüber berichten.

Es gibt jedoch ein Missverständnis bezüglich der Neutralität der Medien: Neutral zu sein bedeutet, unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen zu lassen, aber diese Meinungen müssen eingeordnet werden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – also Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, anti-islamischer Rassismus etc. – muss klar benannt und im Kontext des Grundgesetzes und der Menschenrechte bewertet werden. Das heißt, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sind keine Meinungen unter vielen, sondern stellen eine Bedrohung ganzer Menschengruppen und auch unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar. Deutsche Medienhäuser müssen differenziert über die vielfältige Gesellschaft berichten und auch die Gefahr, die von rechten Gruppen ausgeht, klar benennen. Alles andere wäre verantwortungslos.


Dieser Beitrag ist bereits in der Ausgabe 169 der Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen. Sie kann hier erworben werden.



Autorin

(c) Brigitta Leber

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen. Die ndo sind ein bundesweites Netzwerk aus rund 140 postmigrantischen Vereinen, Organisationen und Projekten. Sie ist außerdem im Vorstand der Neue deutsche Medienmacher*innen (und war langjährige Vorsitzende des Vereins).

Die NdM sind eine Organisation von Journalisten*innen und Medienmacher*innen mit und ohne Migrationsgeschichte.

Sheila Mysorekar ist indodeutsche Rheinländerin, Journalistin und lebt in Köln. Sie arbeitet als Beraterin für konfliktsensiblen Journalismus und Medien in Post-Konflikt-Staaten bei der Deutschen Welle Akademie und bildet Medienschaffende in Konfliktländern aus, unter anderem in Libyen, Libanon und dem Südsudan. Ihr Twtteraccout heißt @MysorekarSheila.