Über Checklisten hinaus

Lena Prabha Nising und Sophie Ali Bakhsh Naini

7. März 2022

Ein Leitfaden für diversitätsorientierte Personalgewinnung im Kunst- und Kulturbereich

Einleitung

»Wir würden ja gerne qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund/ of Color / mit Behinderung einstellen – doch wie erreichen wir eine diversere Bewerber*innenschaft? Können Sie unsere Ausschreibung nicht über Ihre Verteiler verschicken?« Diese Frage wird uns häufig in der Begleitung von Häusern ganz zu Anfang gestellt, oftmals verbunden mit dem Wunsch nach Checklisten, Best-Practice-Beispielen und konkreten, schnell umzusetzenden Handlungsansätzen. So verständlich dieser Wunsch ist – so einfach ist er nicht einzulösen. Denn es gibt keine Patentrezepte: Diversitätsorientierte Personalgewinnung ist ein kontinuierlicher Prozess, der im Grunde nie abgeschlossen ist. Denn Maßnahmen müssen immer wieder neu evaluiert, erweitert oder nachjustiert werden. Zudem müssen diese auf die jeweilige Organisation zugeschnitten sein, das heißt: Jede Organisation, jede Institution, jedes Haus muss eigene spezifische Lösungen und Maßnahmen für personalbezogene Öffnung finden.

Außerdem – und das ist besonders wichtig: Diversität entsteht nicht einfach, weil ein paar Personen eingeladen werden, die vorher nicht anwesend waren. Damit die Einstellung von einzelnen, zum Beispiel Schwarzen Personen oder People of Color, nicht zu »Tokenism« führt – das heißt, dass Personen feigenblattartig oftmals auf unteren Hierarchieebenen eingestellt werden, ohne dass eine wirkliche Einbindung von neuen Perspektiven institutionell mitgedacht ist – braucht es einen diversitätssensiblen Blick auf die gesamte Institution und einen Willen zur Veränderung.

Mit diesem Leitfaden zur diversitätsorientierten Personalgewinnung möchten wir zu einem Nachdenken über das Wirken diskriminierender, ausschließender Barrieren, Normen und Verfahren einladen und den Blick öffnen für Handlungsspielräume einer diskriminierungskritischen Praxis. Wir zeigen zuerst, was das Konzept Diversitätsorientierung bedeutet und welche Anforderungen sich daraus für Kulturbetriebe ergeben.

Danach blicken wir auf vier erste Schritte, um Personalpolitik diversitätsorientiert zu gestalten. Die Grundsätze, Kriterien und Handlungsempfehlungen, die wir im Folgenden vorstellen, basieren auf unserer Beratungspraxis sowie auf Texten und Handreichungen, die größtenteils von Personen mit eigenen Diskriminierungserfahrungen und langjähriger Expertise und Praxiserfahrung im Feld verfasst wurden. Diese Verweise finden sich immer wieder in diesem Text verstreut, aber auch gesammelt im Literaturverzeichnis am Ende des Beitrags.

Diversitätsorientierung – was ist das eigentlich?

Wenn wir in unserer Arbeit von »Diversitätsorientierung« sprechen, beziehen wir uns vor allem auf einen Diversitätsbegriff, der in der Tradition von Schwarzen und queeren Bürgerrechtsbewegungen und Bewegungen von Menschen mit Behinderungen in den USA im 20. Jahrhundert steht und insbesondere Machtverhältnisse und deren Geschichte in den Blick nimmt sowie Ausschlüsse auf individueller, gesellschaftlicher und struktureller Ebene thematisiert. So sind beispielsweise Rassismus, Sexismus sowie Diskriminierung in Bezug auf sozio-ökonomische Herkunft (Klassismus) oder in Bezug auf Behinderung (Ableismus) Diskriminierungsformen, die in sozialen und institutionellen Strukturen – auch in Kultureinrichtungen – immer noch bestehen und unbewusst und ungewollt reproduziert werden. Es ist also wichtig, bei der Verwendung des Wortes »Diversity« neben der positiven Bedeutung von Vielfalt auch diskriminierende Strukturen zu benennen und die Schaffung von Chancengerechtigkeit in unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen anzustreben. 

Für unseren Arbeitsansatz bedeutet das: Wir denken Diversität eng verschränkt mit einer Antidiskriminierungspolitik, die die Schaffung gerechterer Zugänge in unterschiedlichen Diversitätsdimensionen anvisiert, so dass Personen unabhängig von den eigenen Lebenslagen und der eigenen Identität selbstverständlich gleichwertig und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können.

Diversitätsorientierte ÖFFNUNG heißt… ver_lernen von Anfang an

Die Umsetzung von Öffnungsprozessen bedeutet nicht einfach, nur einer vorhandenen Stuhlreihe einen freien Stuhl hinzuzufügen. Sondern, um bei diesem Bild zu bleiben: Öffnung heißt, dass der Raum in Bewegung kommt, dass aufgestanden wird, Stühle gerückt werden, in ein gemeinsames Sprechen, Reflektieren, Planen und Neukonzipieren gegangen wird. Und dies nicht als spontaneUmräumaktion, sondern als Teil eines Auseinandersetzungsprozesses, eines aktiven »Unlearning«, wie es die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak benennt. 

»Unlearning« nicht im Sinne eines Vergessens, sondern des Ver_lernens – einer aktiven Auseinandersetzung mit gelernten Selbstverständnissen, Privilegien sowie auf Organisationskultur bezogenen impliziten Normen, unhinterfragten Verfahren und historisch gewachsenen Machtstrukturen – hinzu einer Verantwortungsübernahme. Denn so wichtig Nachdenken, Lernen und Reflektieren auch ist – es sollte in Anlehnung an Sara Ahmed nicht zu einem selbstreferentiellen Prozess werden, bei dem es bei einem »sich gut fühlen« (S. 61) bleibt, sondern in eine gelebte Praxis übergehen. Wir begreifen dies als Teil von Professionalität, ohne die es für Kultureinrichtungen heutzutage nur schwer möglich ist, angemessen auf die aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, auf Diskurse, Aufträge und Zielgruppen einzugehen.

Diversitätsorientierung als Querschnittsaufgabe verstehen und leben:

Um sich diversitätsorientiert entwickeln zu können, muss in einer Organisation ein Bewusstsein für Diskriminierungen und der tatsächliche Wille zur Veränderung vorhanden sein. Führungskräfte, wie z.B. Personalverantwortliche, Gleichstellungsbeauftragte oder Bereichsleitungen, sind besonders bei Veränderung von Personalpolitik Schlüsselakteur*innen, da sie die Schnittstelle zu den Teams bilden und mit Befugnissen oder Ressourcen ausgestattet sind. Auch wenn diesen Personen eine besondere Rolle zukommt, sollte Diversitätsorientierung – als Anti-Diskriminierungspolitik und gelebte Betriebskultur verstanden – alle Personen im Team inkludieren und von allen mitgetragen werden. 

Die Etablierung einer Steuerungs-/Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen aller Arbeitsbereiche kann hierbei ein Weg sein, um Mitarbeiter*innen in Prozesse einzubeziehen und Maßnahmen auf Ebene einer konkreten Arbeitspraxis zu entwickeln und zu implementieren.

Lernräume schaffen:

Diversitätsorientierung beinhaltet ein Lernen über Diskriminierungsverhältnisse und über ausgrenzende Strukturen, sowie das Finden einer gemeinsamen Definition grundlegender Begriffe wie beispielsweise »Diversität«. Gezielte Fortbildungsangebote für das gesamte Team – auch für die Leitungsebene – Durchführung von Strategie-/Teamtagen zum Thema Diversitätsorientierung, aber auch generell die Etablierung einer Kultur des Austauschs, der gemeinsamen Reflexion, zum Beispiel in Teamsitzungen oder durch Supervisionsangebote, sind hierbei wichtige Schritte. Damit Lernen nicht auf Kosten von marginalisierten Personen erfolgt, sollte Empowerment und ein parteilicher Ansatz bei Diskriminierungen zentral mitgedacht werden – beispielsweise indem Mitarbeitende, die geteilte Erfahrungen von Diskriminierungen machen, an Empowermentworkshops teilnehmen können oder eigene Austausch- und Vernetzungsräume haben.

»Positive Diskriminierung«

Oft wird bei Quoten und ähnlichen Maßnahmen von »positiver Diskriminierung« gesprochen. Dieser Begriff ist im Kontext von Antidiskriminierungspolitiken jedoch irreführend. Hierfür ist es wichtig, die begriffliche Unterscheidung von »Ungleichbehandlung« und »Diskriminierung« zu verstehen. Letztere beinhaltet eine gesellschaftliche Benachteiligung. Ungleichbehandlung ist, soweit sie sachlich begründet ist, gesetzlich vertretbar. Anwendung findet sie zum Beispiel durch das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) und das Bundesgleichstellungsgesetz zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Die Ungleichbehandlung oder Bevorzugung erfolgt jedoch ausdrücklich bei gleichen Qualifikationen. Ein verbindliches Gesetz für die Förderung von Menschen, die Rassismus erfahren, gibt es noch nicht.

Holen Sie sich Unterstützung:

Wenn Sie sich dazu entschlossen haben, sich diversitätsorientiert zu öffnen, ist für einen nachhaltigen und wirksamen Prozess eine externe Beratung und Begleitung durch Expert*innen mit Erfahrungswissen zu Diskriminierung (z.B. Organisationsberater*innen, Prozessmoderator*innen, Supervisor*innen) hilfreich. Ein Blick von außen und die explizit zum Thema passende Expertise speziell zum Thema diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, unterstützt dabei, mit Planung und Reflexion vorzugehen. Nicht zuletzt dafür müssen ausreichend finanzielle und zeitliche Ressourcen bereitgestellt werden.

Vier erste Schritte

Um Personalpolitik diversitätsorientiert zu gestalten reicht es nicht, wie zu Anfang schon erwähnt, nur andere Verteiler bedienen zu wollen. Vielmehr muss eine umfassende Hinterfragung der bisherigen Personalpolitik stattfinden, um Stellschrauben zu identifizieren, anhand derer Barrieren abgebaut und Öffnung vorangebracht werden können. Das Arts Council England hat mit dem Culture Change Toolkit eine Sammlung von Anleitungen und Best Practice Beispielen für eine diversitätsorientierte Personalpolitik erarbeitet und online zur Verfügung gestellt. Anhand dieser Punkte und Fragen können Sie einerseits Ihren Status Quo überprüfen und erhalten Anhaltspunkte zu Maßnahmen, die Sie für eine diversitätsorientierte Personalpolitik umsetzen können. Auch hier gilt: Maßnahmen müssen auf die jeweilige Organisation oder den jeweiligen Betrieb zugeschnitten sein, weshalb die Leitfragen keine organisationsspezifische Analyse Ihrer Personalpolitik ersetzen. Dennoch gewinnen Sie hier schon einmal einen Eindruck, welche Themen und Fragen von Bedeutung sein können. Auf vier Punkte, nämlich die Analyse von Ausschlüssen, Verfahren der Stellenbesetzungen, Betriebsklima sowie Zugänge, möchten wir im Folgenden näher eingehen:

1. Der Blick auf den Status Quo

Vor der Maßnahmenentwicklung ist ein Blick auf den Status Quo Ihrer Personalpolitik essenziell. Bezüglich der Analyse von Ausschlüssen verschiedener von Diskriminierung betroffener Gruppen können Sie sich an den Dimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes orientieren, zusätzlich empfehlen wir die Dimensionen der sozialen bzw. sozio-ökonomischen Herkunft sowie Diskriminierung aufgrund ostdeutscher Herkunft mit zu berücksichtigen.

Es ist wichtig zu erfahren, welche von Diskriminierung betroffenen Gruppen auf welcher Ebene in der Organisation vertreten sind. Eine eigenständige Erhebung zu Diskriminierungserfahrungen innerhalb des Personals durchzuführen, bedarf allerdings Fachexpertise und sollte im besten Fall ausgelagert und von externen Akteur*innen übernommen werden. Zum einen ist es datenschutzrechtlich anspruchsvoll, sensible Daten von Angestellten zu erheben und zu verwalten. Zum anderen birgt dies das Risiko, diskriminierende Zuschreibungen zu (re)produzieren, wenn beispielsweise keine Selbstbezeichnungen benutzt werden oder Diskriminierungserfahrungen aufgrund von äußerlichen Merkmalen vermutet und zugeschrieben werden.

2. Verfahren der Stellenbesetzung

Da Ausschlüsse nicht erst an der Tür zu Kultureinrichtungen beginnen, sondern beispielsweise schon im Bildungsbereich wirkmächtig sind und somit Bildungsbiografien nachhaltig beeinflussen können, fallen Personen, die Diskriminierungen erfahren, oftmals durch Bewerbungsraster, da ihr Lebenslauf von der geradlinigen Norm abweicht oder Referenzen wie die Ausbildung an einer renommierten Kunsthochschule fehlen. Eine diversitätsorientierte Personalgewinnung sollte diese Ausschlüsse anerkennen und beispielsweise, wenn möglich, vergleichbare Qualifikationen als Alternative zu Hochschulabschlüssen in Betracht ziehen oder Brüche in Lebensläufen als Erfahrungsschatz werten.

Für eine diversitätsorientierte Personalpolitik ist es daher essenziell, spezifisch die Verfahren der Stellenbesetzung zu betrachten und auf deren Vergleichbarkeit hinzuarbeiten. In großen Museen laufen Verfahren der Stellenbesetzung beispielsweise oftmals stark formalisiert ab mit wenig Spielraum für Reflexion und Veränderung. Das heißt beispielsweise, dass die gängigen Zugangsvoraussetzungen in Bezug auf Bildungsabschlüsse und Erwerbs-/ oder künstlerische Laufbahnen (wer hat wo studiert, an welchen Orten schon ausgestellt, gearbeitet, publiziert etc.) sehr hoch sind. 

In anderen Bereichen des Kultursektor hingegen, insbesondere bei künstlerischen Berufen im Theaterbereich, finden Vorstellungsgespräche oft informell, zum Beispiel nach einer Vorstellung auf ein Bier in der Theaterkantine statt. Dies führt dazu, dass die Qualifikationen der Bewerber*innen nicht hinreichend verglichen werden, was bewirken kann, dass bewusste oder unbewusste Zuschreibungen und Vorurteile verstärkt werden. Der sogenannte Unconscious Bias (zu deutsch: Unbewusstes Vorurteil) wird hier wirkmächtig: Studien belegen die Annahme, dass Personen vorzugsweise eingestellt werden, die der einstellenden Person in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Werdegang, Habitus ähneln.

Darüber hinaus gibt es einige weitere Aspekte zu beachten:

•  Gibt es Maßnahmen zur Herstellung von Chancengerechtigkeit in der Personalauswahl? (z.B. anonymisierte Bewerbungsverfahren, standardisierte Interviewleitfäden, Quoten zum Nachteilsausgleich).

•  Wird bei Bewerbungsverfahren darauf geachtet, eine Vielfalt an biografischen und fachlichen Erfahrungen zu berücksichtigen und wertzuschätzen?

•  Werden die herkömmlichen Ausschreibungskanäle erweitert?

•  Wird im Vorstellungsgespräch Diversitätskompetenz abgefragt und als Auswahlkriterium bewertet?

Ausschreibungstexte sollten die Stelle – im Hinblick auf Aufgaben, Anforderungen, Qualifikationen, Stundenzahl etc. – so genau wie möglich beschreiben. Auf diese Punkte zu achten, fördert die Zugänglichkeit von Ausschreibungstexten. Überfrachtete Texte mit ausgesprochen vielen und hohen zu erwartenden Anforderungen, können Bewerber*innen, die von Diskriminierung betroffen sind oder deren Lebenslauf von der erwarteten Norm abweicht, abschrecken und davon abhalten, sich überhaupt zu bewerben. Demgegenüber ist es für die Zugänglichkeit der Ausschreibung vorteilhaft, einen Abschnitt darüber zu verfassen, was Sie als Arbeitgeber*in bieten und wie Sie sich selbst als lernende Institution verstehen. Dies können Weiterbildungsmöglichkeiten sein, Hinweise zu Prozessen der Organisationsentwicklung, diskriminierungskritische Reflexions- und Empowerment-Räume oder andere Maßnahmen zur Förderung des Betriebsklimas. Eine Benennung solcher Maßnahmen zeigt ein Bewusstsein dafür, dass auf beiden Seiten Erwartungen bestehen und auch seitens der Institution aktiv Verantwortung für eine Diversitätsorientierung übernommen wird.

3. Förderung eines angenehmen Betriebsklimas

Wie schon anfänglich gesagt – Diversität entsteht nicht, indem Personen eingestellt werden, die vorher nicht da waren, sondern Diversität als gelebte Praxis benötigt Strukturen, in denen sich alle wohlfühlen und sich einbringen können. Doch in einem stark hierarchisierten Kulturbetrieb gelten oftmals ungeschriebene Normen, die dem Einbezug von unterschiedlichen Perspektiven entgegenstehen. Der Text »White Supremacy Culture« beschreibt beispielsweise, wie implizite Normen wie Perfektionismus oder Individualismus oder bestimmte Arbeitsweisen und Verfahren, wie z.B. die Fokussierung auf das geschriebene Wort als Teil der Organisationskultur, zu Ausschlüssen führen können, weil sie als Norm und Standard gelten, ohne dass das jemals bewusst und proaktiv von den in den Organisationen arbeitenden Menschen benannt oder ausgewählt wurde. Ein erster Schritt, um Raum für eine wirklich diverse Organisation zu schaffen, ist es, diese Normen und Standards erkennen und benennen zu können und darauf basierend konkrete Gegenstrategien zu formulieren. Die Etablierung einer wertschätzenden Betriebskultur, die Schaffung von Transparenz über Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen oder die Förderung von kollaborativen, gemeinschaftlichen Arbeitsweisen können hierbei beispielsweise wichtige Schritte sein, um eine Arbeitskultur zu schaffen, die Vielfalt anerkennt.

Folgende Fragen helfen bei der Reflexion bestehender Betriebskulturen weiter:

•  Gibt es eine Arbeitskultur, die Mitarbeitende dazu einlädt, eigene Ideen und unterschiedliche Erfahrungen einzubringen?

•  Können Aufgabenfelder und Arbeitszeiten so frei gestaltet werden, dass sie ein flexibleres Arbeiten ermöglichen?

•  Gibt es eine Transparenz über Entscheidungsprozesse und Vergütungspraxis?

•  Wird der Aufbau und die Nutzung von Empowerment-Räumen und Reflexionsräumen unterstützt? (z.B. durch Supervision, Teilnahme an Intervisionsgruppen, Möglichkeit zur Teilnahme an Empowerment-Seminaren)

•  Gibt es ein internes/externes Verfahren zum Umgang bei Vorfällen von Diskriminierungen – z.B. gibt es Ansprechpersonen, eine Antidiskriminierungs-Strategie/Policy?

•  Wird nachhaltig in die Einbindung von unterschiedlichen Communities sowie langfristige Vernetzung investiert?

4. Schaffung von ZUGÄNGEN von Anfang an

Auch (bezahlte) Praktika, Stipendienprogramme oder Freiwilligendienste wie BFD, FSJ-Kultur, Volontariate etc. können erste Ansatzpunkte sein, um langfristig Zugänge zu schaffen und um die Einstellung von Personen aus marginalisierten Gruppen gezielt zu fördern. Die in dieser Publikation beschriebenen Programme sind positive Beispiele: das im Rahmen des KIWit-Verbundes von der Stiftung Genshagen konzipierte Traineeprogramm zur diversitätsorientierten Nachwuchsförderung, welches neun Berufseinsteiger*innen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte den Einstieg in einen Kulturbetrieb ermöglichte. Und die ebenfalls von der Stiftung Genshagen durchgeführte KIWit-School, die zum Zeitpunkt vor der Studienwahl ansetzt und Menschen, die sich für einen Beruf in Kunst und Kultur interessieren, deren Zugänge aber eingeschränkt sind, bei der Wahl des Studiengangs und bei der Bewerbung unterstützt. 

Es liegt hierbei in der Verantwortung der Institutionen und Häuser, Lern- und Qualifizierungsräume bereitzustellen, zu begleiten sowie sich selbst als lernende Institution zu verstehen – und letztendlich langfristige Perspektiven für Berufslaufbahnen im kulturellen Feld zu ermöglichen.

Folgende Fragen können bei der Schaffung von Zugängen unterstützen:

•  Nutzen Sie Vernetzungen und Kooperationen mit unterschiedlichen Communities, Selbstorganisierungen, Schulen, Jugendclubs etc., um Ausschreibungen zu verbreiten?

•  Bemühen Sie sich bei externen Beauftragungen, eine angemessene Vergütung und Honorierung anbieten zu können?

•  Wird Einsteiger*innen die Möglichkeit geboten, Einblick in unterschiedliche Arbeitsfelder zu erhalten?

•  Welche Fertigkeiten, welches Wissen wird weitergegeben? (z.B. Programme oder Konzepte zur Öffentlichkeitsarbeit zu gestalten, Anträge zu schreiben, Projekte zu planen, Finanzpläne zu erstellen etc.)

•  Welche zusätzlichen Weiterbildungsmöglichkeiten werden bereitgestellt?

•  Inwieweit wird frühzeitig an weiterführenden Arbeitsmöglichkeiten gearbeitet, bevor der Job endet?

Zu guter Letzt…

All dies sind nur erste Reflexionsfragen, die dabei helfen können, Stellschrauben für eine diversitätsorientierte Personalpolitik und letztendlich auch Organisationskultur in den Blick zu nehmen, den Status Quo zu überprüfen. Um konkret zu werden und eingefahrene Routinen neu denken zu können, ist aber eine externe Begleitung in Form von Fortbildungen, Workshops und/oder Prozessberatung elementar.

Eine diversitätsorientierte Öffnung lässt sich nicht allein abhandeln mit einem schillernden Leitbild, das auf dem Papier existiert, aber nicht Herzen und Strukturen erreicht. Sie ist keine Projekt-Checkliste, die es einfach abzuhaken und abzulegen gilt. Öffnungsprozesse sind immer auch Lernprozesse und setzen eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen (institutionellen) Kulturgebundenheit voraus. Das bedeutet auch, die Orientierung an der Mehrheitskultur als alleinigen Maßstab für das eigene Wahrnehmen und Handeln in Frage und andere Wissensarchive ins Zentrum zu stellen. Denn das Wissen, kulturelle Produktionen und Widerstandsbewegungen von Schwarzen Menschen und People of Color sind schon lange da – sie kommen jedoch im allgemeinen Kanon viel zu wenig zum Tragen, werden nicht gehört. Und hier sind wir alle gefragt, im Sinne einer De-Zentrierung Räume zu öffnen und Platz zu machen für andere Perspektiven, Geschichtsschreibungen, Deutungen.

words, words, words…

Auch die Auseinandersetzung mit Sprache ist ein wichtiger Teil eines Sensibilisierungs- und Lernprozesses, da Worte nicht neutral sind. Manche Begriffe müssen vielleicht ganz neu gelernt werden, klingen erst einmal fremd, sind nicht leicht zu verstehen, weil sie vielleicht akademischen Konzepten entspringen, oder sie sind Selbstbezeichnungen von Communities. Das kann irritieren, nachdenklich machen und herausfordern. Aber es liegt auch eine große Chance darin, eine Sprache zu finden, bei der sich alle gemeint und respektiert fühlen.

Lust auf Lernen können beispielsweise folgende Bücher, Publikationen, Seiten machen:

•  Glossar auf der Website von Diversity, Arts, Culture Berlin: https://www.diversity-arts-culture.berlin/diversity-arts-culture/woerterbuch

•  Glossar auf der Website von i-päd (Initiative intersektionale Pädagogik): http://www.i-paed-berlin.de/de/Glossar/ 

•  Oegg e.V. (2013): Leitfaden für rassismuskritischen Sprachgebrauch: https://www.oegg.de/wp-content/uploads/2019/12/Leitfaden_PDF_2014.pdf

•  Arndt, Susan / Ofuatey-Alazard, Nadja (Eds.) 2011: Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast Verlag.

Dieser Text wurde bereits in der Broschüre »Diversitätsorientierte Nachwuchsförderung und Personalgewinnung im Kunst- und Kulturbereich. Erfahrungen der Stiftung Genshagen und ein Leitfaden für Kulturinstitutionen« publiziert. Wir bedanken uns sehr herzlich für die Möglichkeit der Zweitveröffentlichung.


Literaturverzeichnis

Ahmed, Sara (2012): On Being Included. Racism and Diversity in Institutional Life, Durham and London: Duke University Press.

Ahyoud, Nasiha; Aikins, Joshua Kwesi; Bartsch, Samera; Bechert, Naomi; Gyamerah, Daniel; Wagner, Lucienne (2018): Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten in der Einwanderungsgesellschaft – eine anwendungsorientierte Einführung. Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership, Citizens For Europe (Hrsg.), Berlin. Online verfügbar: www.vielfaltentscheidet.de/publikationen 

Aikins, Joshua Kwesi / Gyamerah, Daniel: Handlungsoptionen zur Diversifizierung des Berliner Kultursektors. Eine Expertise von Citizens For Europe, Berlin. Projekt: Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership. Im Auftrag der Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V. & AKOMA Bildung & Kultur. Online verfügbar: https://vielfaltentscheidet.de/wp-content/uploads/2017/04/Final-f%C3%BCr-Webseite_klein.pdf 

Arts Council England (2017): Culture Change toolkit https://www.artscouncil.org.uk/advice-and-guidance/culture-change-toolkit#section-1 

DeutschPlus Broschüre (2018): »Vielfalt intersektional verstehen«. Ein Wegweiser für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. I-PÄD in Kooperation mit DeutschPlus von Tuğba Tanyılmaz, Edwin Greve (Autor*innen), I-Päd – Intersektionale Pädagogik (Migrationsrat Berlin e.V.), Sohal Behmanesh, Derya Binışık, DeutschPlus e.V. – Initiative für eine plurale Republik (Hrsg.), Berlin. Online verfügbar: https://www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2018/01/vielfalt-intersektional-verstehen-barrierefrei.pdf 

Okun, Tema (2011): White supremacy culture: www.dismantlingracism.org/uploads/4/3/5/7/43579015/okun_-_white_sup_culture.pdf  

Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V. (2017): Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung: Ein Handlungsansatz der RAA Berlin. Online verfügbar: http://raa-berlin.de/wp-content/uploads/2018/12/RAA-BERLIN-DO-GRUNDSAETZE.pdf 

Sebastian Seng, Nora Warrach (Hg.) (2019): Rassismuskritische Öffnung. Herausforderungen und Chancen für die rassismuskritische Öffnung der Jugend(verbands)arbeit und Organisationsentwicklung in der Migrationsgesellschaft. Im Auftrag des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA) e.V. Online verfügbar: https://www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/2019_IDA_RKOE.pdf

Spivak, Gayatri Chakravorty (1996): The Spivak Reader. Hg. von Donna Landry u. Gerald Maclean. New York/London: Routledge.

Autor*innen

Lena Prabha Nising ist Erziehungswissenschaftler*in (M.A.) und Bildungsreferent*in. Zudem ist sie freiberuflich tätig als Berater*in und Referent*in im Kontext von macht- und rassismuskritischer Bildungsarbeit, Intersektionalität sowie diversitätsorientierter Öffnung von Institutionen. Hier beschäftigt sie u.a. die Frage, wie eine vielfaltssensible, rassismuskritische Öffnung von Kulturbetrieben gelingen kann.

Sophie Ali Bakhsh Naini ist Kulturwissenschaftlerin (M.A.) sowie Social Justice und Diversity Trainerin mit einem inhaltlichen Fokus auf Rassismuskritik und Beraterin für diversitätsorientierte Öffnung von Organisationen mit Fokus auf Kulturbetriebe. Darüber hinaus ist sie Beraterin bei Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership, einem Arbeitsbereich von Citizens For Europe, wo sie ebenfalls die Geschäftsführung als Referentin unterstützt

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