Im Zweifel für die Quote

Demba Sanoh

21. März 2022

Im Februar 2021 wurde ein von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD gestellter Antrag mit dem Titel »Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien verwirklichen« angenommen. Darin fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, mehr Maßnahmen zu ergreifen, um Geschlechtergerechtigkeit im Kulturbetrieb zu erreichen – unter anderem ist die Rede von kontinuierlichen, geschlechterspezifischen Datenerhebungen bei öffentlich geförderten Stipendien und Preisen, zusätzlichen Angeboten von Kinderbetreuung für Künstler*innen und anonymisierten Bewerbungs- und Auswahlverfahren.

Es ist nichts Neues, dass in den Sparten Theater, den Darstellenden Künsten, Orchestern, im Film oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Frauen in leitenden Funktionen unterrepräsentiert und unterbezahlt sind: Konkrete Zahlen dazu wurden bereits 2016 in der Veröffentlichung »Frauen in Kultur und Medien« – gefördert aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) – dargelegt.

In den vergangenen vier Jahren hat sich nicht viel getan – auch in Bereichen der Kulturlandschaft, die nicht als klassisch förderungswert gesehen werden und deutlich weniger Aufmerksamkeit vom BKM bekommen, wie zum Beispiel in der (Pop-)Musikwirtschaft. Die im September 2021 veröffentlichte Studie der europäischen Initiative für Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche Keychange, in Kooperation mit dem Hamburger Reeperbahn Festival und gefördert vom BKM, zeichnet ein eindeutiges Bild über den Status Quo: Der Gender Pay Gap liegt bei 25%, circa die Hälfte aller befragten Frauen identifizierten als größte Zugangs-Barrieren innerhalb der Branche bestehende Vetternwirtschaft zwischen Männern und Stereotype gegenüber Frauen. Etwa jede zweite Frau befürwortet eine Quote bei Führungskräften oder bei Line-Ups von Musikfestivals.

Im Zweifel für die Frauenquote

An dieser Stelle taucht zum ersten Mal ein Wort auf, das in den letzten Monaten und Jahren in vielen gesellschaftlichen Diskussionen die Gemüter erhitzt hat: Quote. Oder mehr noch: Frauen-Quote. Seit 2016 gibt es für börsennotierte Unternehmen in Deutschland die gesetzlich verpflichtende Vorgabe, dass in Vorstand oder Aufsichtsrat mindestens 30% der Posten weiblich besetzt sein müssen – bei Neubesetzungen müssen so lange Frauen eingestellt werden, bis die Marke von 30% erreicht ist oder der Platz bleibt frei. Dieses Gesetz gilt in Deutschland etwa für 100 Unternehmen, der Rest der Gesellschaft kann sich selbst freiwillige Vorgaben setzen.

Für den Kulturbetrieb gibt es nichts Vergleichbares. Die Grünen forderten als Antwort auf oben erwähnten Beschluss des Bundestags im Februar 2021 aber genau das: »[…] eine Quote, um Parität bei Leitungspositionen, Intendanzen, Stipendien und Werksaufträgen, in Jurys, Förderprogrammen sowie Projekten und Veranstaltungen von öffentlich finanzierten Institutionen zu erreichen.«

Wir wissen mittlerweile, dass Quoten wirken: Der Frauenanteil in Aufsichtsräten von DAX-Unternehmen stieg in den ersten 4 Jahren von 27% auf 36%. Ist es also an der Zeit für Quoten im Kulturbetrieb? Brauchen wir ebenjene, um die Zugänge in den verschiedenen Bereichen des Kulturbetriebs einigermaßen zugänglich und egalitär zu gestalten? Insbesondere wenn wir von Institutionen oder Projekten sprechen, die von öffentlichen Geldern gefördert werden? 

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass offensichtlich mehr Maßnahmen von Nöten sind, wenn wir mehr Chancengleichheit im Kulturbetrieb durchsetzen wollen. Dabei finde ich Quoten gerade bei öffentlich geförderten Institutionen, Förderprogrammen und Veranstaltungen absolut sinnvoll. Die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands ist weiblich wird aber im Vergleich zur anderen Hälfte der Gesellschaft im Kulturbetrieb unverhältnismäßig stark benachteiligt. Wenn Kultur aber aus Steuergeldern finanziert wird, die von der gesamten Gesellschaft getragen werden, sollten dann nicht auch alle Bevölkerungsgruppen den gleichen Zugang zu Kunst, Kultur und Medien haben? Es ist nicht zu rechtfertigen, dass wir zwar alle zahlen, aber oftmals nur ein kleiner Teil profitiert, der gesamtgesellschaftlich ohnehin schon privilegiert ist: Männer. 

Im Zweifel für diverse Quoten

Mehr noch – weiße Männer. Hier möchte ich die Diskussion um eine Komponente erweitern, denn bisher haben wir vor allem über Frauen gesprochen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass sich Diskussionen im Kulturbetrieb über Chancengleichheit und Diversität meist auf Geschlechtergerechtigkeit beschränken. Andere Bevölkerungsgruppen, die eine Marginalisierung erfahren, werden oftmals nicht mitgedacht, weswegen bisher kaum zu anderen Gruppen, die im Kulturbetrieb Diskriminierung erfahren, Daten gesammelt oder Studien durchgeführt wurden. 

Das betrifft insbesondere Menschen mit sogenanntem »Migrationshintergrund«. Der deutsche Kulturrat veröffentlichte 2020 zwar eine Studie zu Diversität an staatlich geförderten Kulturinstitutionen, diese erwies sich aber als methodisch fragwürdig und damit wenig aussagekräftig. Und gerade bei der Erhebung des Migrationshintergrundes wurden sozioökonomische Faktoren und ethnische Herkunft nicht berücksichtigt: Es ist ein großer Unterschied, ob man in einer Philharmonie der britische Dirigent ist oder der senegaleischer Geflüchtete, der in der Kantine arbeitet – in der Studie wurden aber beide Positionen in derselben Kategorie erfasst.

Das ist ein Problem, denn so wird verschleiert, dass Menschen mit bestimmten Migrationsgeschichten und äußeren Merkmalen im Kulturbetrieb strukturell benachteiligt und unterrepräsentiert sind. Wir brauchen in Zukunft also weitere Datenerhebungen. 21,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – gut ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland – finanzieren potenziell mit ihren Steuergeldern öffentlich geförderte Kulturinstitutionen, von denen die meisten nicht profitieren, weil sie weder als Zuschauer*innen noch als Mitarbeiter*innen oder gar Künstler*innen angesprochen werden. 

Im Zweifel für die Qualität

Auch ohne weitere Datenerhebungen kann sich jede*r persönlich ein Bild davon machen, wie es in den meisten Kulturinstitutionen aussieht: Sehr weiß, sehr männlich und wenig divers. Das schlägt sich im Programm der jeweiligen Institutionen wieder und damit auch im Publikum, dass adressiert wird. Als Schwarzer Mann habe ich selten den Eindruck, dass deutsche Theater, Orchester oder Opern Programm für mich machen – geschweige denn, dass ich mich in den meist elitären, weißen Räumen wohl und sicher genug fühlen würde, um eine Operette über mich ergehen zu lassen. Der Historiker in mir schlägt bei vielen Ausstellungen deutscher Museen die Hände über dem Kopf zusammen aufgrund der Eindimensionalität der ausgestellten Perspektiven. Fehlende Diversität macht sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar und lässt die Qualität des Angebots sinken.

Gerade wenn wir junge Menschen mit Kultur ansprechen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass diese junge Menschen Vorbilder haben, die so aussehen wie sie selbst, die sprechen wie sie selbst und mit denen sie sich identifizieren können. Das wird auf absehbare Zeit nicht ohne staatliche Intervention passieren. Quoten sorgen also auch dafür, dass die Zukunft unsere Kulturlandschaft gesichert wird, denn es gibt keine Alternative: Die deutsche Gesellschaft wird immer diverser, also wird das potenzielle Publikum immer diverser – und wenn wir die nachfolgenden Generationen nicht mitdenken, ansprechen, einbeziehen, bleiben die Besucher*innen irgendwann konsequenterweise weg und widmen sich den kulturellen Angeboten, die sich für ihre Vielfältigkeit öffnen. Dieser Herausforderung gerecht zu werden liegt auch im Interesse aller zukünftigen Regierungen – in jedem Fall in den öffentlich geförderten Stätten, die auch einen kulturellen Bildungsauftrag des deutschen Staats umsetzen sollen.

Quoten werden uns in Zukunft weiterhin verfolgen, ob gesamtgesellschaftlich oder im Kulturbetrieb. Im Text wurden bisher nur zwei marginalisierte Bevölkerungsgruppen angesprochen – die Liste ließe sich aber natürlich noch erweitern (z.B. um Menschen mit Behinderung oder queere Menschen) und die Fragen nach Quoten blieben die Gleichen. 

Ich plädiere außerdem dafür Quoten als Chance zu sehen: Es geht nicht darum jemand zu bevorteilen oder Anderen etwas weg zu nehmen. Quoten stellen die Möglichkeit dar, die ungerechte und ungleiche Verteilung von gesellschaftlichen Chancen, Ressourcen und Zugängen auszugleichen – damit niemand mehr am Anfang seines*ihres Lebens mit einem Vorsprung startet. Dem deutschen Staat böten Quoten außerdem die Chancen, im Kulturbetrieb seiner Verantwortung gerecht zu werden und eine Vorbildfunktion dahingehend einzunehmen. Zuletzt böten Quoten für uns als Gesellschaft die Chance gemeinsam eine gleichberechtigtere Zukunft zu gestalten, in der alle Menschen gleichermaßen am Kulturbetrieb teilhaben. Denn entspräche so ein Austausch nicht genau dem, was Kultur ausmacht?

Autor

Foto: Gökçe Berndt

Demba Sanoh ist einer der drei Gründer von Misc, der Agentur für kulturellen Wandel. Er ist Historiker und publiziert als freier Autor vorrangig zu seinen Themenschwerpunkten Rassismus und Kolonialismus – über die er auch als Keynote Speaker und Experte auf Podiumsdiskussionen spricht. Außerdem hat er langjährige Erfahrung im Kulturbetrieb und arbeitet als Tourmanager, Produktionsleiter und Künstler*innenbetreuer für verschiedene Bands und Festivals im deutschsprachigen Raum. In seiner Funktion als Mitgründer von Misc verbindet er seinen Expertisen beiden und schult Unternehmen und Institutionen in der Kultur- und Musikbranche zu Themen wie Diversität und Diskriminierungssensibilität.