Passt auf Euch auf!
Theaterpädagogik ist der geilste Job der Welt. Ehrlich. Nirgendwo erlebe ich schönere Momente als bei der Arbeit Gruppenprozesse anzustoßen und zu begleiten. Der Prozess einer Stückentwicklung ist eine fantastische Reise, die Menschen einlädt, sich selbst besser kennenzulernen und sich im Erfahrungsfeld Bühne neu auszuprobieren. Ich möchte kein Projekt in meiner Laufbahn missen. Und doch gibt es im Universum der Theaterpädagogik Missstände, auf die ich gerne aufmerksam machen möchte.
Dies ist ein Plädoyer für mehr Wertschätzung gegenüber der Theaterpädagogik und der Versuch des Empowerments meiner Kolleg*innen.
Theaterpädagogik hat viele Facetten
Man findet sie in großen Theaterhäusern zur ästhetischen Wissensvermittlung, an Schulen als kooperative Teambuildingmaßnahme, in der politischen Bildungsarbeit, im Training für Führungskräfte. Sie ist ästhetisch, willensstark, flexibel und – vor allem – ganz nah am Puls der Zeit. Im stetigen Kontakt mit Zielgruppen arbeitet sie in erster Reihe sozial wie künstlerisch.
Die Methodik ist vielfältig: biographisches Theater, Commedia Dell ‘arte, Forumtheater, Playbacktheater und vieles mehr. Theaterpädagog*innen (im Folgenden TPs genannt) greifen auf einen bunten Strauß von spielerischen Methoden zurück, um gesellschaftsnahe, vermehrt konfliktbehaftete Themen zu identifizieren und in eine ästhetische Form zu gießen. Häufig entstehen Stückentwicklungen auf der Basis der Lebenswirklichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die treffender nicht sein können. TPs sind Generalist*innen. Sie statten sich mit einem Grundstock an Technik, Requisiten und Kostümen aus, um möglichst flexibel auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren zu können.
Sie erstellen Konzepte, kennen sich in der Förderlandschaft aus und lassen sich auf immer neue Anfragen und Wünsche der Auftraggeber*innen ein.
Möchte man eine existentielle Sicherheit auf diesem Berufsbild aufbauen, zeigen sich unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten. Auf zwei gängige Bereiche, in denen sich viele Berufsanfänger*innen tummeln, möchte ich eingehen: Die Freiberuflichkeit und die Festanstellung. So vielfältig die aufgezeigten Einsatzmöglichkeiten aber sind, umso ernüchternder ist der Arbeitsalltag:
Ausgebildete TPs haben in den ersten Berufsjahren der Freiberuflichkeit einige Hürden zu überwinden. Aufträge gibt es viele. Die Relevanz von Theaterpädagogik ist schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Erproben von Präsenz und Selbstbewusstsein vor allem junger Menschen ist im Schutz der theatralen Rolle, ist ein akzeptiertes und wirkungsvolles pädagogisches Konzept. Projekte als Honorarkraft an Schulen sind daher ein guter Berufseinstieg, um die Wirksamkeit der eigenen Arbeit gespiegelt zu bekommen.
Dem steht allerdings die schwer zu planende Vergütung gegenüber. Bei monatlicher Abrechnung können nur die geleisteten Stunden in Rechnung gestellt werden. Weder in den Ferien noch an geplanten schulischen Sonderveranstaltungen wird durchbezahlt. Die Schüler*innen haben frei, die TPs auch – ohne Bezahlung.
Und die Höhe der Honorare ist gering: Für ein schuljahrübergreifendes, wöchentlich stattfindendes Projekt gibt es oft unter 3000 Euro brutto bei mehr als 100 Zeitstunden. Anti-Gewalt-Trainings als Workshop, Einheit oder in Form eines Klassenzimmertheaterstücks sind an den Schulen sehr gerne gesehen, da sie eine kurzfristige Entlastung der Lehrkräfte bedeuten.
Die finanzielle Sicherheit für TPs ist dabei allerdings nur temporär gewährleistet. Ob das Projekt im nächsten Jahr fortgesetzt werden kann, hängt häufig am Engagement Einzelner in den Kollegien. Die erarbeiteten Ergebnisse sind für die Zielgruppe wenig nachhaltig, da strukturell nicht verankert.
Eine Festanstellung kann eine Beschäftigung an einem Theaterhaus bedeuten. Hier ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß im Rahmen eines Normalvertrags Bühne Solo (NV) engagiert zu werden.
Der NV Bühne Solo bringt Sicherheit
Ein monatliches Festgehalt aufs Konto, ein 13. Gehalt und 30 Tage Urlaub im Jahr, dazu eine Altersvorsorge sind vertraglich geregelt. Doch bleibt der NV stets auf ein Jahr befristet. Erst nach 15 Jahren dauerhafter Beschäftigung ist das Mitglied vor Kündigung geschützt. Vorher kann das Arbeitsverhältnis aus Gründen, wie Intendanzwechsel oder künstlerischer Neuorientierung, nicht verlängert werden. Für eine Person, die vorher selbstständig war, kann ein solches Modell sehr beruhigend sein. Für eine Person, die mit ihrer Familie ansässig werden will, bedeutet der Vertrag Unsicherheit.
Das Berufsbild ist gänzlich anders, als man es sich während der Ausbildung ausgemalt haben könnte
TPs an großen Häusern haben einen Vermittlungsauftrag. Sie bauen ein Netzwerk an Schulen und Kitas auf, um ihnen die altersempfohlenen Stücke nahe zu bringen. Das bedeutet im Alltag: als verlängerter Arm des Marketings Klinken putzen und Eintrittskarten verkaufen. Häuser benötigen eine gute Auslastung, um ihre millionenschweren Förderungen stadtpolitisch zu legitimieren. Die TPs leisten dazu einen großen Anteil, indem sie die Inszenierungen mit Schüler*innen versorgen und die Stücke im Rahmen des Unterrichts didaktisch aufbereiten.
In vielen Theaterhäusern herrscht zudem ein altmodisches Bild der Theaterpädagogik der 1980er Jahre. Oft interessiert es kaum, womit die TPs ihre Arbeitszeit verbringen – solange die Zahlen im Haus stimmen. Inhaltliche Vorschläge für sind selten gerne gesehen. Theaterklassiker etwa passen nicht in avantgardistische Häuser, stehen aber trotzdem auf dem Lehrplan, was TPs in eine schwierige Situation bringt.
In meiner Funktion als leitende Theaterpädagogin habe ich viele außerschulische Projekte realisiert. Das Leitungsteam des Theater Oberhausen war, zu meiner Zeit dort, eines der wenigen unter sehr vielen Theaterhäusern, das die Theaterpädagogik innovativ, vernetzend und als Verlinkung in die Stadtgesellschaft ernst genommen hat.
Verhandlungen von Gagen sind ein großes Thema, über das mehrheitlich geschwiegen wird. Mir begegnen häufig junge TPs, die in Ausbildung oder Studium nicht gelernt haben, wie sie ihren Einsatz kalkulieren und den Wert ihrer Arbeit verhandeln. Wer nicht in die Altersarmut schlittern möchte, muss wirklich gut verhandeln können. Im Manifest des BUT ist ein Mindeststundensatz von 35 Euro und ein angemessener Stundensatz von 50 Euro gefordert. Berufsanfänger*innen landen jedoch häufig in Institutionen und Förderprogrammen, die ihnen nicht einmal 30 Euro die Stunde anbieten.
»Ich nehme den Job an, weil ich nichts Anderes kriege…« vs. Argumente für Reichtum.
Deshalb: Kennt euren Wert. Sammelt gute Argumente für euren Stundensatz. Macht transparent, wieso Eure Leistung so viel kostet, wie ihr sie ansetzt. Akzeptiert, wenn ein Projekt mit kleinem Budget der zu kleine Schuh für eure Expertise ist. Haltet aus, wenn ein Projekt nicht zustande kommt, weil man sich finanziell nicht einig wird. Haltet aus, wenn ein Projekt nicht zustande kommt, weil die Wertschätzung seitens der Auftraggeber*innen nicht vorhanden ist. Haltet die Stille aus, nachdem ihr eure Gagenvorstellung geäußert habt.Die nächsten Gelegenheiten kommen bestimmt.
Jedes Projekt braucht eure volle Aufmerksamkeit, Kraft und Expertise, unabhängig von der Bezahlung. Nehmt ihr ein Projekt mit unpassenden Konditionen an, sabotiert ihr euch selbst. Denn während das Projekt läuft, könnt ihr keine Projekte, die bessere Arbeitsbedingungen bieten, akquirieren. Ihr könnt nicht netzwerken, könnt euch nicht fortbilden.
Prekäre Bezahlung nutzt für den Moment, jedoch benötigt ihr in Ruhezeiten ein finanzielles Polster, um Kraft zu schöpfen.
Ihr steht an erster Stelle
Eure Arbeitskraft gilt es zu erhalten und zu optimieren. Lasst euch nicht von Existenzängsten leiten.
Tragt die Verantwortung für euch und für unseren Beruf. Vergesst nicht: Wir bereiten den Weg für den Nachwuchs.
Also lasst uns den Beruf nicht ruinieren, durch zu große Bescheidenheit, »Freundschaftsdienste« oder gar Tiefstapelei.
Vernetzt euch. Sprecht über eure Gagen. Stützt einander. Sorgt für Euch. Damit der geilste Job der Welt der geilste Job der Welt bleibt.
Autorin
Amira Bakhit ist Schauspielerin und Theaterpädagogin aus Frankfurt am Main. Als Schauspielerin für Improvisation ist sie Teil des 2003 gegründeten »Fast Forward Theatre« und bewegt sich im Bereich des Business-Theaters. Sie spielt unterschiedliche Klassenzimmertheaterstücke, die sich mit Themen wie Diskriminierung, Vorurteile, Flucht und Klimawandel beschäftigen. Theaterpädagogisch ist Amira an Schulen des Ruhrgebiets unterwegs und erarbeitet mit Schüler*innen Stücke auf Basis ihrer Lebenswirklichkeit.
Seit der Spielzeit 2019/20 leitet sie die theater:faktorei am Theater Oberhausen und wechselt Mitte 2022 als Bereichsverantwortliche für Theaterpädagogik an das Fritz-Henßler-Haus in Dortmund.