Theater als Universallösung? Nachhaltigkeit und digitaler Wandel in der Kultur

Tobias Hochscherf und Martin Lätzel

26. Oktober 2023

Drei Dimensionen der Nachhaltigkeit

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist als Übersetzung des englischen Wortes „Sustainability“ selbstverständlicher Teil des öffentlichen Diskurses geworden. Während damit umgangssprachlich der sorgsame Umgang mit der Umwelt und der Klimaschutz gemeint sind, lässt sich Nachhaltigkeit viel weiter fassen. Neben einer ökologischen Dimension geht es um eine verantwortungsbewusste wirtschaftliche Entwicklung, soziale Fragen sowie Teilhabe. Um diese verschiedenen Dimensionen zu veranschaulichen, wird ein Drei-Säulen-Modell aus Ökologie, Sozialem und Ökonomie verwendet, von dem konkrete Handlungsmaximen – man denke etwa an die Nachhaltigkeitsziele der UN – abgeleitet werden. Sie sind darauf ausgelegt, dass die Lebensgrundlage für derzeitige und zukünftige Generationen erhalten bleibt und der Wohlstand gerechter verteilt wird.

Strategien zur Steigerung von Nachhaltigkeit

Unter den unterschiedlichen Herangehensweisen zur Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie gibt es verschiedene Ansätze, die parallel verfolgt werden können (vgl. Kropp 2019, 23-25): Erstens das Mittel der Effizienzsteigerung, um mit weniger Arbeitsaufwand und Ressourceneinsatz gleiche oder gar bessere Ergebnisse zu erzielen, zweitens die Konsistenzstrategie, nach der man Abläufe, Verfahren und Herangehensweisen ändern kann, sodass möglichst alle Endprodukte durch Recycling oder Umwidmung wiederverwendet werden können und drittens die Suffizienzsteigerung, also durch Verzicht und Vermeidung weniger Ressourcen zu nutzen. Im Einsatz innovativer Technik liegt in der Anwendung digitaler Instrumente der Schlüssel zum Erfolg. Digitalität kann die Möglichkeiten zur Steigerung von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz merklich erhöhen. Diese Prozesse gelten für Unternehmen und Institutionen gleichermaßen, so können sie auch für Kultureinrichtungen in Anrechnung gebracht werden. Um zu verstehen, warum Kultur und digitale Innovation zusammengehören, lohnt ein mediengesellschaftstheoretischer Blick.

Zur Bedeutung von digitaler Innovation für eine Kultur der Nachhaltigkeit

Die Schule von Toronto geht davon aus, dass Technik und Medien die Kultur und Gesellschaft irreversibel prägen. Sie formulierte die These, dass nicht zuvörderst die Aktionen von einzelnen Personen, Regeln, Moden oder gar Appelle den Verlauf der Geschichte prägen, sondern die vorherrschende Technik und damit verbunden die Medien als Werkzeug des Menschen zur Speicherung und Weitergabe von kulturellem Wissen.

Was heißt das für unsere Überlegungen zu Kultur, Digitalität und Nachhaltigkeit? Die digitale Transformation verändert Kunst und Kultur und damit die kulturelle Infrastruktur. Gleichzeitig eröffnet sie dort Lösungen für Nachhaltigkeit. Kulturinstitutionen bieten per se den Raum zum Erleben und Ausprobieren sowie zur freien Rede. Das bedeutet, Kultureinrichtungen können auf der einen Seite Nachhaltigkeit avancieren und den öffentlichen Diskurs prägen. Die Forderung nach Nachhaltigkeit, die noch durch das Bedrohungsszenarium des Klimawandels eindrücklich gesteigert wird, stellt eine gesellschaftliche Störung dar, die unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Die kulturelle Infrastruktur wird in dieser Situation der prägende Resonanz- und Diskursraum. Was der Soziologe Erving Goffman für das Individuum konstatierte, kann auf der institutionellen Ebene angewendet werden: „Eine Rolle, die im Theater dargestellt wird, ist nicht auf irgendeine Weise wirklich und hat auch nicht die gleichen realen Konsequenzen wie die gründlich geplante Rolle eines Hochstaplers; aber die erfolgreiche Inszenierung beider falscher Gestalten basiert auf der Anwendung realer Techniken – der gleichen Techniken, mit deren Hilfe man sich im Alltagsleben in seiner realen Situation behauptet.“ (Goffman 2003, 233) Andererseits können Kultureinrichtungen praktisch Nachhaltigkeit umsetzen. Im Folgenden möchten wir kursorisch aufzeigen, inwiefern Kultureinrichtungen, die sich bewusst mit der digitalen Transformation auseinandersetzen, ihren wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigeren Gesellschaft und Umwelt leisten können.

Effizienz, Konsistenz und Suffizienz durch Digitalität im Kulturbereich

Durch Effizienzsteigerung werden Ressourcen optimal eingesetzt. Investitionen in eine starke Online-Präsenz, digitale Plattformen und Technologien können die Reichweite von Kultureinrichtungen erweitern. Durch die Bereitstellung von virtuellen Touren, Online-Ausstellungen, Live-Streams oder interaktiven Inhalten wird ein breiteres Publikum erreicht. Generative KI-Programme können Entwürfe für Texte, Schaubilder und Ideen in sehr kurzer Zeit für Drittmittelanträge, Kataloge, Marketingmaterialien erstellen; hierzu ließen sich viele der Tools, die heute schon in der Wirtschaft und Wissenschaft angewandt werden, auf den Kulturbereich übertragen (einen guten Überblick der Programme erhält man beispielsweise über das »Kompetenzzentrum zum Schreiben mit Künstlicher Intelligenz« der FH Kiel). Die Sammlung und Analyse von Daten über Besucher*innenströme, Interessen und Präferenzen kann Kultureinrichtungen zudem dabei unterstützen, ihre Angebote gezielter anzupassen. Dadurch wird der ökologische Fußabdruck besonders beim Austausch oder bei der An- und Abreise von Besucherinnen und Besuchern reduziert. Wichtig sind flexibles Raummanagement und geschickte Personalplanung. Zu beachten ist, dass viele digitale Anwendungen ihrerseits einen hohen CO2-Ausstoß erzeugen (Streaming oder KI). Hier muss genau geschaut werden, welche Anwendungen wirklich notwendig sind und wirklich die Effizienz steigern und welche nicht. Sich für digitale Anwendungen zu entscheiden bedeutet immer, andere Angebote (z.B. im analogen Marketing) zurückzufahren. Bei der Steigerung der Konsistenz in Kultureinrichtungen spielen digitale Technologien insofern eine wesentliche Rolle, da sie die Möglichkeit bieten, Prozesse zu optimieren, Kommunikation zu verbessern, Daten zu verwalten und ein nahtloses Erlebnis für unterschiedliche Zielgruppen zu schaffen. Dies reduziert Wartezeiten vor Ort und schafft eine konsistente Buchungserfahrung. Die Steigerung der Suffizienz erfolgt durch digital gestütztes nachhaltiges Ressourcenmanagement. Statt auf übermäßige Verschwendung zu setzen, können Kultureinrichtungen Programme entwickeln, die auf Bildung, Kreativität und nachhaltigen Werten basieren. Kultureinrichtungen können sich auf die Essenz ihrer Angebote konzentrieren und dabei einfache und minimalistische Ansätze verfolgen. Die Steigerung der Suffizienz erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise und die Integration nachhaltiger Praktiken in alle Aspekte der Einrichtung. Dies kann nicht nur die Umweltbelastung reduzieren, sondern zur Förderung von umweltbewussten Werten und zur Schaffung eines sozialen Erlebnisses für das Publikum beitragen.

Fazit

Techniken, die in der Kultur erprobt, angewendet oder diskutiert und präsentiert werden, werden sich in der Folge in der gesellschaftlichen Realität behaupten. Im Gegensatz zur Logik von hierarchischen Linienorganisationen, die für neue Aufgaben stets mehr Ressourcen einfordern, eröffnet Digitalität – sofern sie sinnvoll eingesetzt wird – die entscheidende Voraussetzung für mehr Effektivität, Suffizienz und Konsistenz in Kultureinrichtungen. Wichtig ist dabei systemisches Denken. Ähnlich wie die Digitale Transformation stellt die Nachhaltigkeit keine unverbindliche Möglichkeit, kein Add-on dar. Indem Nachhaltigkeit immer wichtiger wird und die digitale Transformation unumgänglich ist, müssen alle Faktoren miteinander verknüpft und diskutiert werden. Digitalisierung darf nicht ohne Nachhaltigkeit gedacht werden und Nachhaltigkeit kann nicht ohne digitale Technik gedacht werden. Die gute Nachricht ist: Transformation findet statt, Störungen ereignen sich und die beste Strategie ist, sich Veränderungen zu stellen, als sie zu verdrängen. Akteur*innen in der kulturellen Infrastruktur dürfen mutig vorangehen. Spielen wir also digital-analog das (reale) Nachhaltigkeits-Theater!

Quellen und Literaturverzeichnis:

Kropp, Ariane (2019): Grundlagen der Nachhaltigen Entwicklung. Handlungsmöglichkeiten und Strategien zur Umsetzung, Wiesbaden: Springer

Goffmann, Erving (2003): Wir spielen alle Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München: Pieper

Prof. Dr. Martin Lätzel studierte nach dem Abitur an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist seit 1996 in Kiel ansässig. Nach einer Tätigkeit beim katholischen Erzbistum Hamburg war er Verbandsdirektor des Landesverbandes der Volkshochschulen Schleswig-Holstein, stellvertretender Abteilungsleiter der Kulturabteilung des Landes Schleswig-Holstein und ist seit 2019 Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Darüber hinaus ist er als Honorarprofessor an der Fachhochschule Kiel tätig.

Prof. Dr. Tobias Hochscherf studierte Kultur-, Literatur und Medienwissenschaften. Er ist Professor für audiovisuelle Medien an der Fachhochschule Kiel und Leiter des interdisziplinären Projekts »Künstliche Intelligenz in Einrichtungen der kulturellen Infrastruktur«. Zusammen mit Martin Lätzel hat er im August den Sammelband »KI & Kultur: Chimäre oder Chance« (Neumünster: Wachholz) veröffentlicht. Seit 2020 ist er Vizepräsident der Fachhochschule Kiel und hat – zusammen mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen – den Forschungsschwerpunkt »Digitale Transformation und KI« umgesetzt.

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