Kultur als Schlüssel

Annett Baumast

19. März 2024

Die Bedeutung von Inner Development Goals für eine digitale und nachhaltige next society

Obwohl die 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) bereits 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden und seitdem einen internationalen Orientierungsrahmen für eine nachhaltige Entwicklung bieten, gehören sie noch immer nicht zum Allgemeinwissen, wenn auch ihr Bekanntheitsgrad stetig steigt. Bis 2030 sollen die 17 Ziele (darunter u.a. Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung sowie menschenwürdige Arbeit als Beispiele für soziale Nachhaltigkeitsziele) erreicht sein, die alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit – Ökologie, Soziales, Ökonomie – berücksichtigen, um uns als next society, die hier als eine nachhaltigere Gesellschaft verstanden werden soll, aufstellen zu können. Nicht nur weisen die letzten Erhebungen ein lediglich schleppendes bis gar kein Vorankommen bezüglich der Zielerreichung aus, wie es der Sustainable Development Report 2023 zeigt, sondern es ist auch notwendig, näher in den Blick zu nehmen, wie wir diese Ziele erreichen wollen und können.

Mit den IDGs zur Erreichung der SDGs

Die Erkenntnis, dass dazu besondere Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig sind, hat zur Gründung der Initiative rund um die Inner Development Goals, kurz: IDGs, geführt, die 2020 ins Leben gerufen wurde. Derzeit besteht das Rahmenwerk der IDGs aus 23 verschiedenen Skills, die mit Hilfe internationaler Befragungen ermittelt wurden und in fünf verschiedenen Dimensionen (Sein, Denken, Beziehung, Zusammenarbeit, Handeln) zusammengefasst sind. Zu diesen Skills zählen neben Offenheit und Lernbereitschaft beispielsweise auch kritisches Denken, kommunikative Fähigkeiten sowie Kreativität und Beharrlichkeit. Beim letztjährigen IDG Summit in Stockholm (und online) im Oktober 2023 wurde jedoch kritisch von den Teilnehmenden hinterfragt, welche Stimmen zur Ermittlung der Skills eingefangen wurden und wer bis dahin noch nicht gehört worden war. Besonders wurde kritisiert, dass neben der fehlenden geografischen Repräsentativität, das Wissen und die Fähigkeiten Indigener noch keinen konkreten Niederschlag in der Entwicklung des Rahmenwerks gefunden hatten. Dies soll in der weiteren Entwicklung der IDGs Berücksichtigung finden.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Globale Ziele und lokale Herausforderungen

Kritisch betrachtet werden muss auch die Rolle von Digitalisierung und Digitalität, nicht nur in Bezug auf die Entwicklung und Schulung von inneren Fähigkeiten für eine Nachhaltige Entwicklung, sondern auch in Bezug auf die Erreichung der 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele. Digitalisierung wird dabei nach Felix Stalder als »der Prozess der Überführung eines analogen Sachverhaltes in einen digitalen Sachverhalt« definiert, während Digitalität »das [ist], was entsteht, wenn der Prozess der Digitalisierung eine gewisse Tiefe bzw. eine gewisse Breite erreicht hat«. Im sogenannten Globalen Norden kann Digitalisierung beispielsweise zur Optimierung bestehender Prozesse und zur Reduzierung von Umweltbelastungen beitragen, etwa durch Online-Bildung oder effizientere Arbeitsmodelle, die Reisen reduzieren. Mit der rasanten Ausbreitung der Anwendung generativer künstlicher Intelligenz müssen diese (ökologischen und ökonomischen) Effizienzgewinne durch den Einsatz digitaler Alternativen in einigen Bereichen jedoch wohl bald wieder in Frage gestellt werden, da der Ressourcenverbrauch generativer KI ein Vielfaches einer einfachen Internetsuchanfrage beträgt.

Im sogenannten Globalen Süden stehen bei der Digitalisierung hingegen oft grundlegende Zugangsfragen im Vordergrund. Die Digitalisierung kann hier beispielsweise einen Beitrag dazu leisten, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen in entlegenen Gebieten überhaupt erst verfügbar zu machen. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte führen zu verschiedenen Nachhaltigkeitsansätzen, die sowohl globale als auch lokale Bedürfnisse berücksichtigen müssen und sich auch auf die Fähigkeiten, die IDGs, auswirken, die wir benötigen, um die SDGs und damit eine nachhaltige next society erreichen bzw. gemeinsam entwickeln zu können. Besonders deutlich wird dies beispielsweise bei der Fähigkeit »Integrative Denkweise und interkulturelle Kompetenz«, was der Dimension der Zusammenarbeit zugeordnet ist, aber auch bei »Perspektivischen Fähigkeiten« aus der Dimension des Denkens. Unterschiedliche Grade von Digitalisierung, Digitalität und Post-Digitalität müssen in dieser Betrachtung Berücksichtigung finden, so wie es die Autorin Nina Grünberger in ihrem Artikel »Postkolonial post-digital« aufgreift.

Und der Kulturbetrieb!?

Kreativ- und Kulturschaffende ebenso wie kulturpolitisch Tätige finden sich mittendrin in der komplexen Herausforderung, sich sowohl mit Digitalisierung und Digitalität als auch mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen zu müssen. Dies geschieht aktuell sehr häufig – wie auch in dieser Blogbeitragsreihe #neue Relevanz – im Rahmen einer gemeinsamen Betrachtung. Die Auseinandersetzung mit den SDGs hat im Kulturbetrieb begonnen und es wird vermehrt überlegt, welchen Beitrag auch Kulturorganisationen zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können. Digitalisierung kann hier – neben bereits genannten Effizienzgewinnen – auch dazu beitragen, Kunst und Kultur inklusiver, also sozial nachhaltiger zu machen. Dies kann die Nutzung digitaler Technologien und Entwicklungen zum Abbau von Barrieren sein. Dazu gehören beispielsweise Apps für Audiodeskriptionen für Menschen mit Sehbehinderungen, die flexible Verwendung von Untertiteln in verschiedenen Sprachen oder Streamingangebote, die das Publikum nutzen kann, dem es aus verschiedenen Gründen schwerfällt, eine Kultureinrichtung eigenständig aufzusuchen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, welche Barrieren die Digitalisierung im Zweifel auch aufbaut, dadurch, dass vielleicht nicht alle Teile des Zielpublikums einen Zugang dazu haben. Ebenso müssen ökologische (Stromverbrauch!) und ökonomische (Kosten!) Folgen mitbedacht werden. Der Umgang mit Zielkonflikten, die im Nachhaltigkeitskontext immer wieder neu entstehen und verhandelt werden müssen, führt uns zurück zu den Inner Development Goals, zu denen neben einem Bewusstsein für Komplexität auch eine integrative Denkweise und interkulturelle Kompetenz zählen. Und wer, wenn nicht Kreativ- und Kulturschaffende sind Meister*innen darin, Komplexes zu durchdringen, zu reduzieren, es (sinnlich) erfahrbar und verständlich zu machen? Auch können Mut, Kreativität, Optimismus und Beharrlichkeit – die vier Skills, die das IDG-Rahmenwerk in der Dimension »Handeln« zusammenfasst – quasi als implizite Jobbeschreibungen von in Kunst und Kultur Tätigen verstanden werden. Diese Fähigkeiten gilt es, gemeinsam mit dem Publikum in diversen kreativen Formaten auszubauen und für eine Transformation der Gesellschaft zu einer nachhaltigeren next society einzusetzen.


Annett Baumast arbeitet mit ihrem Büro baumast. kultur & nachhaltigkeit als selbständige Dozentin und Nachhaltigkeitsexpertin und war bis Dezember 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Postdoktorandin am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.