Nur die Bretter, die die Welt bedeuten

Jessica S. Weisskirchen

9. März 2021

Von »den Brettern, die die Welt bedeuten« schrieb Friedrich Schiller in seiner Ode An die Freude, die seither als Synonym für die Theaterbühnen stehen. Oft zitiert, klingen diese Worte für mich nach einer abgedroschenen und romantischen Vorstellung von rauschenden Premieren, gefeierten Künstler*innen und einem begeisterten Publikum. Wieviel Impact diese Worte aber tatsächlich Tag für Tag auf mich, meine Arbeit als Regieassistentin am Stadttheater und die Theaterwelt haben, beginne ich erst langsam im vollen Umfang zu begreifen.

Schiller betrachtete die Schaubühne als eine immerwährende Institution mit zeitlosen Idealen – als eine moralische Anstalt: »Wenn keine Moral mehr gelehrt wird, keine Religion mehr Glauben findet, wenn kein Gesetz mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch anschauern, wenn sie die Treppen des Palastes herunter wankt […]«. Schiller in allen Ehren, versuche ich diese von ihm beschriebenen Ideale in den deutschen Theaterbetrieben zu finden, finde sie nicht und entdecke im Gegenteil ein strukturelles System höchster Doppelmoral auf den Bühnen, hinter den Kulissen und in den Rängen und frage mich, ob der moralische Zusammenbruch im Theater bereits stattfindet und ob er umzukehren ist.

Beide Fragen beantworte ich mit Ja und dies führt mich zum Wie.

In meinem Essay untersuche ich das System Stadttheater auf seine inneren Strukturen, überprüfe den Stellenwert der demokratischen Werte und nehme hierfür besonders Bezug auf den Berufsstand der Theaterassistierenden. Ich stelle die These auf, dass das Stadttheater ein System falscher Werte ist und sich selbst abschaffen wird, wenn es seine hierarchischen Strukturen nicht reformieren und seinen elitären Herrschaftsgedanken nicht ablegen wird. Die Assistierenden stellen die Krücke eines kranken Systems dar. Ferner verfolge ich die These, dass eine Heilung der Basis die Lösung für die aufgeführte Problematik bereitet. Diese Basis bilden die Assistierenden.

Die systematische Abschaffung

»Der Apparat triumphiert immer noch, sinkende Besucherzahlen drohend im Nacken« (Wille 2019: 1), schrieb die Theater Heute. Laut der aktuellen Statistik des Deutschen Bühnenvereins 2017/2018, stieg die Anzahl der Neuinszenierungen und die des theaternahen Rahmenprogramms, bei gleichzeitig sinkenden Besucherzahlen. Das Theater bangt um seine Relevanz innerhalb der Gesellschaft und kämpft um seine Sichtbarkeit, vor allem beim jüngeren Publikum und scheitert bisher in der Konkurrenz zu den Neuen Medien. Den Zuschauerraum füllen, auch über die deutschen Grenzen hinweg, hauptsächlich die treuen Abonnent*innen, von einem diversen Publikum kann allerdings keine Rede sein. Der Wunsch nach einem diversen Ensemble und Diversität innerhalb der Leitungsteams besteht zwar, findet aber in der Realität kaum Umsetzung. Dies wäre aber angesichts der Erstarkung von Rechtspopulisten in Deutschland und Europa eine der wichtigsten Maßnahmen. 

Diese Tragödie stürzt die Theater in ein Dilemma, das unter anderem direkte Auswirkungen auf die inneren Strukturen der Betriebe hat. Es gilt: In kürzerer Zeit mehr Produktionen auf die Bühnen bringen, die sich gegenseitig in ihrer Komplexität und in ihren technischen Anforderungen überbieten sollen. Die Hoffnung: Das Publikum bei Laune zu halten und die eigene Finanzierung zu sichern. Überarbeitete und unterbezahlte Mitarbeiter*innen, finanziell ausgebeutete Künstler*innen und technische Abteilungen mit überlasteten Werkstätten sind die Folge.

Zunehmend gelangen Informationen über schlechte Arbeitsbedingungen, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit. Der Verdacht kommt auf, dass sich die Stadttheater zunehmend zu problematischen Orten entwickeln, die in ihrer Außenwirkung so gar nicht mit einem liberalen und demokratischen Kunstverständnis übereinstimmen. Überkommene Hierarchien und der unerschütterliche Glaube an das künstlerisch autonome Regiewerk sind die Realität. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, gilt es in die neue Generation – die Assistierenden – zu investieren und diese zu selbstreflektierten und verantwortungsvollen Theatermacher*innen auszubilden, die im Bewusstsein eines inklusiven, weltoffenen und inspirierenden Theaters des 21. Jahrhunderts handeln.

Theaterassistent*innen – die faulende Basis

Ich möchte mich im weiteren Verlauf auf die Assistierenden konzentrieren in dem Bewusstsein, dass die Situation für Schauspielanfänger*innen ähnlich prekär ist. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Assistierenden wird unmittelbare positive Effekte auf die Arbeitsbedingungen der jungen Spieler*innen haben und darüber hinaus das gesamte Theatersystem von unten nach oben reformieren.

Die Assistierenden sind die Zugpferde der Theater. Trotzdem oder gerade deswegen sind sie in der Regel kaum vertraglich geschützt. Im Gegenteil: Die Häuser erhöhen zusätzlich den Druck auf ihre Assistent*innen, indem sie meist nur die Mindestgage erhalten, im Verhältnis aber die meisten Arbeitsstunden leisten und ohne vertragliche Absicherung oder berufliche Perspektiven sind. So entziehen die Theater ihren Assistierenden jegliche Grundlage für ein erfüllendes Berufs- und intaktes Sozialleben. (Schmidt 2019: 156) Dies hat zur Konsequenz, dass die Betroffenen ihren Lebensmittelpunkt in den Betrieben verordnen, was zu einem positiven Abhängigkeitsverhältnis für die Häuser führt, die nun noch einfacher über ihre Assistierenden verfügen können.

Das Schwächen der Basis hat System: Die Häuser haben kein Interesse an der Ausbildung, Förderung oder Ermächtigung ihrer Assistierenden, nicht zuletzt, weil für eigene Arbeiten, ein Mentoring durch die Dramaturgie oder Regie keine Zeit vorgesehen ist. Mündige und verantwortungsvolle Partner*innen auszubilden, würde faire Löhne, angemessene Arbeitszeiten und -bedingungen erfordern – dies nicht im Sinne der Häuser. Für sie scheint es finanziell rentabler zu sein, die Assistierenden in regelmäßigen Abständen auszutauschen, da viele von ihnen ohnehin von einer Vertragsverlängerung absehen. Zeitgleich wird eine neue Assistent*innen-Generation an die Theaterküste gespült. Es wird kein Mehrwert erzeugt: Wissen wird nicht weitergegeben, Erfahrungen verbleiben bei Einzelpersonen.

Die Assistierenden nehmen diese Umstände in Kauf, in der Hoffnung auf Wertschätzung, eine künstlerische Ausbildung und eine anschließende Theaterkarriere, mit der sie nicht selten in den Beruf gelockt werden. Dieser Trade-off zwischen Zeit, Geld, Erfolg und Sicherheit ist vollkommen irrational aufgebaut. Dies führt zu Frustration, Wut, Angst und Unsicherheit bei den Theatermacher*innen und Leitungsteams von morgen. Versagensängste werden geschürt und so tief verankert, dass sie sich durch die gesamte Berufslaufbahn ziehen – keine guten Grundvoraussetzungen für das potentielle Mitglied einer zukünftigen Theaterleitung. Die überholten Werte und asymmetrischen Machtstrukturen werden auf perfide Weise auf die nächste Generation übertragen. (Schmidt 2019: 7) Das System sichert sich selbst und verhindert eine Reformierung der Theater. Daher gilt es, den Assistenzberuf hinsichtlich seiner Nutzen-Kosten-Abwägung neu zu balancieren, um so einen fruchtbaren Nährboden für das Theater der Zukunft zu generieren.

Die Ausbeutung durch Nicht-Ausbildung

Wie sieht der Arbeitsplatz eines Theaterassistierenden aus? Die wenigsten Kolleg*innen bekommen eine Einführung in ihren zukünftigen Tätigkeitsbereich oder eine Stellenbeschreibung ausgehändigt. In den meisten Fällen gibt es keine festen Ansprechpartner*innen, die für Assistierende zuständig sind. Wissen über strukturelle Abläufe während des Probenprozesses, der Umgang mit den verschiedenen Gewerken und den Gastkünstler*innen, sowie das Voranbringen der eigenen künstlerischen Karriere wird nicht weitergegeben und bewusst zurückgehalten, um den Berufsstand zu schwächen.

Die meisten Kolleg*innen gehen daher durch eine harte Schule, in der sie nach dem Trial-And-Error-Prinzip auszuloten versuchen, was ihre Aufgaben, Pflichten, und seltener ihre Rechte sind. In dem hierarchischen System haben sie als letztes Glied der Kette keine Autorität, keine Autonomie und müssen als Kommunikator*innen der Produktionen alle Aufgaben von unten nach oben delegieren, was einen Widerspruch in sich bildet. Dieses Arbeitsumfeld verhindert aktiv, dass sich die Assistierenden zu fähigen Mitarbeiter*innen entwickeln, was nicht selten zu Mobbing und einem respektlosen Umgang mit den Betroffenen führt.

Dazu kommt ein enormes Arbeitspensum: Die Arbeit der Theaterassistent*innen umfasst die komplette Organisation und Koordination einer Produktion, spätestens ab dem ersten Probentag. Sie sind Dreh- und Angelpunkt in der Kommunikation innerhalb und zwischen den externen Regieteams, den Darsteller*innen, den verschiedenen Gewerken, der Disposition und der Leitung. Sie sind verantwortlich für einen reibungslosen Probenprozess und verpflichtet, zu jeder Zeit für alle Produktionsbeteiligten und deren Bedürfnisse Ansprechpartner*innen zu sein.

Bei einer durchschnittlichen Produktion eines Bühnenstücks bedeutet dies:
Die Koordination von 30 bis 40 Mitarbeiter*innen rund um die Uhr.
Bei einer Projektdauer von durchschnittlich vier bis acht Wochen und einer Produktionsdichte von nicht selten fünf bis sieben pro Spielzeit.

Assistierende gleichen fehlerhafte Ressourcenplanung und Personalmangel aus, indem sie den verschiedenen Abteilungen zuarbeiten. Sie betreuen den Abendspielplan des laufenden Repertoires sowie Wiederaufnahmen, Umbesetzungen und Gastspiele. Ein komplexer und verantwortungsvoller Job, der innerhalb des Systems nur eine geringe Wertschätzung erlangt. In der Regel ist dieses Arbeitspensum ohne die Unterstützung von Hospitierenden nicht zu bewältigen. Diese arbeiten in der Regel unbezahlt und übernehmen nicht selten hauptverantwortlich die Arbeit der Assistierenden, wenn diese nicht auf den Proben sein können. Das System fußt demnach auf unbezahlten und nicht ausgebildeten Arbeitskräften.

Die offizielle Wochenarbeitszeit der Assistierenden von circa 44 Stunden berechnet sich wie folgt: 5 Tage à 8 Arbeitsstunden plus 4 Stunden durchschnittlicher Wochenendarbeit.
Der realistische Arbeitsaufwand, beläuft sich allerdings auf mindestens 54 Stunden pro Woche: 5 Tage à 10 Arbeitsstunden plus 4 Stunden durchschnittlicher Wochenendarbeit.

Während der Endproben, die im Durchschnitt zwei Wochen vor der geplanten Premiere beginnen, erreicht das tägliche Arbeitspensum der Assistent*innen Spitzenwerte von 14  bis 16 Stunden und mehr. Die Zahlen berücksichtigen die 1,5 freien Tage der Sonderregelung des NV Bühne Solo-Arbeitsvertrages.

Als Beispiel liste ich im Folgenden einen Endprobentag auf, wie er im Tagesplan des künstlerischen Betriebsbüros verfasst werden könnte:
10:00-14:00 Szenische Bühnenproben
14:00-17:30 Beleuchtungsproben
18:00-22:45 Szenische Bühnenproben

Daraus ergibt sich ein von der Disposition geplanter Arbeitstag für Assistierende von 12 Stunden 15 Minuten, ohne vereinbarte Pausen. Zusätzliche Arbeiten, die nicht auf den Tagesplänen gelistet sind:
09:00-10:00 Vorbereitung und Organisation der Bühnenprobe
17:30-18:00 Vorbereitung und Organisation der Bühnenprobe
22:45-0:00 Kritik des Regieteams, Planung des folgenden Probentags

Es ergeben sich weitere 2 Stunden 45 Minuten ohne geplante Pause. Die Dunkelziffer der Arbeitsstunden könnte höher liegen, da bei der Auflistung keine Zeit für Telefonate, Schriftverkehr und Meetings berücksichtigt wurde. Die Frage nach der Einhaltung von Ruhe- und Nachtruhezeiten erübrigt sich in der Darstellung.

Da im Durchschnitt fünf bis sieben Produktionen pro Spielzeit betreut werden, ist davon auszugehen, dass geleistete Mehrarbeit nicht ausgeglichen werden kann, da kein zeitlicher Rahmen dafür vorgesehen ist. Durch das Überschreiten der täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden, dem nicht gegebenen Freizeitausgleich und der Verkürzung der Nachtruhe sowie der vertraglich festgelegten Ruhezeiten, verstoßen die Betriebe gegen das Arbeitszeitgesetz und bewegen sich im illegalen Bereich. Selten werden verkürzte Ruhezeiten und verkürzte Nachtruhe in Form eines »Schweigegeldes« beglichen. Dafür müssen die geleisteten Überstunden auf dem Tagesplan der Disposition nachvollziehbar sein. Zusätzliche Mehrarbeit, die nicht auf dem Tagesplan vermerkt wird, fällt unter den Tisch. Die Crux dabei: Das künstlerische Betriebsbüro entscheidet, welche Personen und Tätigkeiten auf dem Tagesplan vermerkt werden, somit liegt die Beweispflicht bei den Assistierenden, die nun mehr über eine privat erstellte Arbeitszeiterfassung ihre Überstunden nachzuweisen versuchen. Ein Versuch, der oftmals ins Leere läuft.

Nicht alle Assistierenden sind Berufsanfänger*innen, ebenso besitzen viele von ihnen ein abgeschlossenes Hochschulstudium, trotzdem entspricht ihr Gehalt in den meisten Fällen einer Einstiegsgage von 2.000 Euro bis 2.100 Euro brutto. Schauspielanfänger*innen steigen ebenfalls in dieser Gehaltsklasse ein.

Das Weiße Theater für alle

»›Wir kriegen das Geld vor allem, um Widerstand zu leisten gegen die Mächtigen, gegen die schlechten Sitten, gegen die Korruption, gegen das Verbrechen, gegen den Faschismus, gegen den Antisemitismus‹, hat Claus Peymann bewusst provokant aber unverändert aktuell formuliert.«

Als finanzierte Kulturinstitution steht das Theater in der Pflicht, für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten zugänglich zu sein – unabhängig von Herkunft, sozialem oder wirtschaftlichem Background. Um das zu erreichen, müsste der Spielplan ein breites Spektrum an Themenkomplexen verhandeln und so vielfältig werden wie unsere Gesellschaft. In der Realität aber kämpfen die Theater mit sinkenden Besucherzahlen, die gesellschaftliche Relevanz von Theater nimmt ab und in endlosen Debatten geht es um die Fragen, wie mehr Diversität auf der Bühne und im Zuschauerraum geschaffen werden kann und wie man das Interesse beim jungen Publikum weckt. Denn leider sind Theater noch immer Orte der Stände und Klassen: Es kommt ins Theater, wer es sich leisten kann und wer sich angesprochen fühlt.

Viele der am Theater arbeitenden Künstler*innen haben einen akademischen Background und kommen aus der wohlhabenden Mittelschicht. Dies ist nicht sehr verwunderlich, wenn man sich verdeutlicht, dass Berufsanfänger*innen aufgrund der geringen Einstiegsgage von 2.000,- Euro brutto oftmals auf den finanziellen Rückhalt ihres Umfeldes angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Theaterschauen und Theatermachen bleibt daher noch immer einer privilegierten Minderheit vorbehalten, die sich Theater leisten kann – allen anderen bleiben die heiligen Hallen verschlossen.

Das Problem: Theater hat sich zunehmend zu einem intellektuellen Dunstkreis elitärer Selbstgerechtigkeit entwickelt. Die Tragik: Das Theater kennt die Problematik eines weißen Theaters im Innern und die Konzentration auf ein weißes bildungsbürgerliches Publikum nach Außen, zieht aber aus der Erkenntnis nur wenige künstlerische Schlüsse. Theater ist eine Organisation mit Moralkodex. Eine Organisation, die von einem patriarchalen, hauptsächlich weißen, abled, akademisierten und heterosexuellen System getragen wird. Die geprägt ist von Hierarchien, Machtmissbrauch und Selbstgerechtigkeit. Ein solches Theater kann keine Institution für Gleichheit, Diversität, Inklusion und Partizipation sein. Wie können Theater wieder eine Kulturinstitution mit Bildungsauftrag werden und offen für alle Bevölkerungsschichten sein?

Diversität in Bezug auf die Ethnie

Die Bretter, die die Welt bedeuten – ein Hort für die Kunst des weißen privilegierten alten Mannes? Der Anspruch nach Critical Whiteness ist kompliziert, wenn wir das Theater in seinen Grundstrukturen in einem rein weißen System gefangen halten. Diversität kann nur gelingen, wenn gezielt die künstlerische Bearbeitung von nicht-weißen Narrativen und Thematiken durch BIPoCs gefördert werden.

Bereits werden Stimmen betroffener Personen laut, die von reverse discrimination sprechen: Kann es demnach die Lösung sein, Theater so weit zu beschneiden, dass die Bearbeitung bestimmter Stoffe nur den Künstler*innen vorbehalten ist, die direkt von der Thematik betroffen sind? Ein Blick in die Theatergeschichte beweist, dass in der Vergangenheit alle Stoffe ausschließlich von weißen Künstler*innen bearbeitet wurden. Ein System und sein Publikum, das zuvor nie nicht-diskriminierend war, sollte den eigenen Anspruch haben, zunächst seine inneren Strukturen und Sehgewohnheiten zu korrigieren, bevor es von Gleichberechtigung sprechen kann.

Die Zeit drängt, sich genau auf dieses konträre Experiment einzulassen, eine Neustrukturierung voranzutreiben und das überkommene Wertesystem von innen heraus zu revolutionieren. Auch hier sehe ich den Lösungsansatz in der Ausbildung der Assistierenden: Wird der Weg frei für junge Theatermacher*innen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und -schichten, werden diese im Umkehrschluss neue Bedürfnisse an das Theater und seine künstlerischen Ansprüche stellen und mit ihrem Wissen und Erfahrungen neue Formate und Narrative formen. Dieser neue künstlerische Ansatz wird in der Lage sein, ein neues Publikum für sich begeistern zu können.

Systemrelevanz und Neue Medien

Seit Februar 2020 legt der Ausbruch von Covid-19 die gesamte Theaterbranche lahm. Laut Politik gilt das Theater als nicht systemrelevant. Im Stufenfahrplan Baden-Württembergs beispielsweise, zur schrittweisen Lockerung der Corona-Beschränkungen, finden sich die Theater auf der 5. Stufe und fallen unter »nicht absehbar«. Auch von Seiten der Bevölkerung gibt es außerhalb des traditionellen Publikums und jenen, die am Theater arbeiten, nur wenige Stimmen, die eine schnelle Wiedereröffnung der Betriebe fordern. Es scheint, als habe das Theater seine Relevanz nicht nur innerhalb der Politik, sondern auch innerhalb der Gesellschaft verloren.

Covid-19 und seine Folgen decken diese Realität lediglich auf. Das Versammlungsverbot entzieht den Theatern die existentielle Grundlage, trotz ausgefeilter Hygienekonzepte, und deckt die mangelnde Investition der vergangenen Jahre in Neue Medien auf. Mit dem Hochladen von laienhaften Homevideos der Darsteller*innen und der Veröffentlichung von qualitativ minderwertigen Mitschnitten, versuchen die Theater über das Netz präsent zu bleiben. Dabei wirken die wenig repräsentativen Formate eher abschreckend auf Nicht-Theatergänger*innen, anstatt diese von einem zukünftigen Theaterbesuch zu überzeugen. Über das Streaming von archivierten Inszenierungen freut sich derweil wohl eher nur das Fachpublikum. Im Vergleich zu den hippen Videos der Digital Natives, fällt das Theater weit zurück. Dabei gilt es gerade diese Generationen als zukünftigen Publikumsstamm zu begeistern.

Das Theater gerät zunehmend unter den Druck, sich gegen die Neuen Medien zu behaupten. Der eigene Anspruch wächst, tagesaktuelle Diskurse auf der Bühne quasi sofort verhandelbar zu machen. Der Wunsch, sich immer wieder neu erfinden zu können, wird zur Belastungsprobe. Das Theater fürchtet um nichts Geringeres, als um seinen Platz in einer schnelllebigen Welt, der es nicht hinterherkommt und lässt sich auf einen ungleichen Wettkampf ein, den es nicht gewinnen kann. So fallen die Institutionen dem eigenen Trugschluss zum Opfer, ihre Existenz legitimieren zu müssen, indem sie sich in die Konkurrenz zu den Neuen Medien begeben. Dabei verliert das Theater seine Authentizität.

Theater ist (noch) nicht dafür konzipiert, aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen ad hoc auf der Bühne umzusetzen, sondern dafür, Narrative und Formate zu entwickeln, die in ihrer Übersetzung zeitlos sind. Es gilt daher, den Theaterbetrieb auf allen Ebenen neu zu denken: Diskurse über das post-Corona Theater sind dringend notwendig. Ebenfalls könnte diese auferlegte Auszeit von den Theatern genutzt werden, die eigenen Strukturen zu reformieren und ins Gespräch darüber zu kommen, wie das Theater des 21. Jahrhunderts eine faire und gleichberechtigte Institution werden kann. Die wenigen Häuser, die diesen wichtigen Schritt wagen und bereits gezielt in neue Formen und digitale Medien investieren, werden als Gewinner aus der Krise hervorgehen und Teil einer neuen künstlerischen Bewegung und Ästhetik sein.

Die Heilung der Basis

Weltweit liegt der Schlüssel für eine offene Gesellschaft in der Bildung, im Wohlstand und in der Sicherheit der Bevölkerung begründet. Gemäß der Redewendung man erntet was man sät, gilt es, die Assistierenden im Sinne eines liberalen Theatersystems auszubilden und positiv auf ihre Entwicklung einzuwirken, um zu ermöglichen, dass sie sich zu verantwortungsvollen Theatermacher*innen und fähigen Leitungsteams zu entwickeln, die diese Werte in das Theater von morgen weitertragen: Die junge Generation wird durch eine potenzielle Bildung für die Themen unserer Zeit sensibilisiert, ist offen für alternative Vorgehensweisen und hat ein geschultes Auge für veraltete whiteness-Strukturen. Egozentrisches Vorgehen und Machtanspruch nehmen ab. Die Theater werden entriegelt und machen den Weg frei für das Theater der Zukunft, das für Gleichheit, Diversität und Partizipation steht.

Eine Investition in diesen Bereich würde ganzheitliche positive Auswirkungen auf das gesamte System bedingen: Die Basis wird gestärkt, Arbeitsbedingungen und Arbeitsklima verbessern sich. Davon profitiert das Ensemble. Ein starkes Ensemble wird einen angstfreien Raum für gute Probenbedingungen schaffen. Gute Probenbedingungen bieten den Nährboden für hochwertige künstlerische Projekte. Ein gutes Arbeitsklima erhöht das gegenseitige Verständnis für die verschiedenen Arbeitsabläufe innerhalb der Gewerke und den administrativen Abteilungen. Mehr Verständnis erleichtert die Kommunikation. Dies wirkt sich positiv auf den Produktionsprozess aus. Zeit und Kosten werden gespart – der Apparat läuft. Die Heilung nach innen bedingt die Öffnung der Theater nach außen: Neue Einflüsse können einströmen und bereiten den Weg für neue Visionen. Für diese Umsetzung braucht es fünf Stufen:

Stufe 1: Die Anpassung der Gagen

Die erbrachte Leistung und die hohe Verantwortlichkeit des Assistierendenberufs stehen in keinem Verhältnis zur derzeit gezahlten Einstiegsgage von 2.000,- Euro brutto. Es ist notwendig, die Gehälter durch eine maßgebliche Erhöhung der Mindestgage anzupassen. Dies würde sich ebenfalls positiv auf den Berufsstand der Schauspielanfänger*innen und künstlerischen Mitarbeitenden auswirken, die in diesem Zuge ebenfalls eine Gagenanpassung anstreben könnten.

Ferner ist es wichtig, Assistierende nicht per se als Berufseinsteiger*innen zu deklarieren, sondern die Vorteile und das Potential ihrer Berufserfahrung zu erkennen. Ihre Berufserfahrung ist für den Betrieb nützlich und sollte durch eine finanzielle Aufwertung gefördert werden. So könnten kompetente Kolleg*innen auch langfristig gehalten werden, was wiederum positive Auswirkungen auf den Produktionsprozess einer Inszenierung hätte und Kosten einsparen würde.

Die Aufstockung der Gehälter setzt eine Umverteilung von Geldern voraus. Um in der Konsequenz andere Berufsfelder zu schützen, müssten verschiedene Stellschrauben neu justiert werden wie zum Beispiel die Anpassung von Spitzengehältern innerhalb des Systems, ein sehr gutes politisches Strategiekonzept zum Akquirieren von öffentlichen Geldern, sowie der schonende Umgang mit menschlichen Ressourcen, Material und Zeit. Letzteres ist nur durch eine Optimierung des Produktionsprozesses zu erreichen, welche eine exakte Planung durch Tages- und Wochenpläne voraussetzt (vgl. Stufe 2), an dessen Umsetzung nicht zuletzt die Assistierenden von heute und die Regieteams von morgen maßgeblich beteiligt sind.

Stufe 2: Generieren von Zeit

Die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ist nur durch eine Reduzierung des Arbeitspensums der Assistierenden zu gewährleisten. Die hohe Arbeitsbelastung und der große Zuständigkeitsbereich resultieren aus der chronischen Überarbeitung und Unterbesetzung des gesamten Apparats. Die Optimierung von Workflows, eine klare Aufgabenverteilung in Form einer Stellenbeschreibung, die Aufstockung des Personals oder die Förderung bereits bestehender Arbeitskräfte, sind Lösungsansätze.

Die Standardisierung und die Effizienzoptimierung der innerbetrieblichen Arbeitsabläufe könnten vor allem im Hinblick auf aufwendige Kommunikationsstrukturen Zeit einsparen und dienen einem ökonomischen Probenprozess. Das Erstellen von verlässlichen Tages- und Wochenplänen durch die Regie ermöglicht den Gewerken zuverlässig und mit ausreichendem Vorlauf, Anfragen zu bearbeiten und die Bereitstellung von Materialien zu gewährleisten. Redundanzen oder Fehlproduktionen könnten vermieden werden. Zusätzlich würden sie auch die effiziente Koordination von menschlichen Ressourcen ermöglichen. Produktionsbeteiligte könnten den Anforderungen entsprechend eingeplant werden. Lange Wartezeiten und Über- beziehungsweise Unterbesetzungen würden reduziert und Kosten eingespart. Auch das Zeitmanagement von Freizeit wäre reliabel.

Die klare und ubiquitär zugängliche Dokumentation von sogenannten Standard Operating Procedures (SOPs) ist in anderen Betrieben und Institutionen ein bewährtes Mittel, um eine zuverlässige Sicherung und Weitergabe von ablaufrelevanten Informationen zu gewährleisten. Die Einführung einer solchen zentralen SOP-Struktur kann auch am Theater wesentlich zur Verbesserung der Effizienz sowie zur Vermeidung von Fehlern beitragen. Produktionsbeteiligte wären in einer solchen Struktur verpflichtet, die für sie relevanten Informationen selbstständig zu erfassen und umzusetzen. Zusätzlich sollten alle kurzfristigen Informationen durch die Assistierenden, via standardisierter E-Mailadressen, an alle Beteiligten verschickt werden. Der Arbeitgeber hat zu gewährleisten, dass alle Mitarbeiter*innen entweder ein internetfähiges Smartphone besitzen oder einen uneingeschränkten Zugang zu einem Rechner oder Laptop haben. Zuverlässiger Internetzugang im gesamten Theater ist unabdingbar. 

Die Verminderung von Redundanzen durch die Ermächtigung der Assistierenden als weisungsbefugtes Organ würde helfen, lange Kommunikationswege zu verkürzen und den Produktionsprozess zu beschleunigen.

Mit der Aufstockung um eine Teilzeitkraft oder einen Minijob könnten sich die Assistierenden in den zeitintensiven Phasen der Endproben in einer Art Schichtsystem zuarbeiten. Hospitierende, die sich bereits in einer Zusammenarbeit qualifiziert haben, könnten für diese Stelle relevant sein. Diese indirekte Investition in die Hospitant*nnen wäre zugleich eine Investition in zukünftige hochqualifizierte Assistierende, welche wiederum den Produktionsprozess positiv beeinflussen würden. Ein reibungsloser und gut organisierter Ablauf spart Zeit, Geld und Nerven und würde sich in der Konsequenz positiv auf das Arbeitsumfeld auswirken. Die gewonnene Zeit sollte unter anderem in die Ausbildung der Assistent*innen investiert werden. Die Schaffung einer solchen Stelle hätte wiederum Auswirkungen auf die Umverteilung der Gelder.

Stufe 3: Förderung und Ausbildung

Der Grundstein für das zukünftige Theatersystem wird durch die Ausbildung der kommenden Generation gelegt, indem ein neues Wertesystem gefördert und neue Strategien vermittelt werden. Damit dies gelingt, müssen die Theater ihre Assistent*innen zu starken und emanzipierten Partner*innen formen, sowie sie künstlerisch und theaterpolitisch ausbilden und die Theaterassistenz als Ausbildungsberuf anerkennen.

Für die künstlerische Ausbildung braucht es ein Mentoring durch die Dramaturgie oder die Hausregie und Formate, in denen sich die angehenden Künstler*innen ausprobieren können, konstruktive Kritik erhalten und ihre künstlerische Handschrift formen. Zudem sollten Weiter- und Fortbildungen angeboten werden. In eigenen Arbeiten lernen sie den Umgang mit dem Ensemble, sensibilisieren sich für strukturelle Vorgänge, einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und erkennen die Vorteile einer respektvollen und gleichberechtigten Arbeitsatmosphäre. Durch mehr Sicherheit werden Frustration und Versagensängste abgebaut und die Assistierenden entwickeln sich zu verantwortungsvollen Regisseur*innen, Ausstatter*innen und Dramaturg*innen und fähigen Leitungsteams.

Es gilt, den Assistierendenberuf für Menschen zu öffnen, die, aufgrund unterschiedlicher sozio-politischer Strömungen und unterschiedlicher Expertisen, ein neues Bewusstsein für theaterrelevante Kontexte in das System einfließen lassen: Das Theater für alle, das durch Gleichheit, Diversität, Inklusion und Partizipation überzeugt, kann nur entstehen, wenn wir diese Werte in der Basis verankern. Dabei gleicht das Theater im positiven Sinne einer experimentellen Spielwiese, auf der die Auswirkungen und strukturellen Veränderungen durch demokratisches Handeln, Gleichberechtigung und Teilhabe direkt sichtbar werden und sich vom Kleinen auf das große Ganze übertragen lassen.

Stufe 4: Ermächtigung: Das assistierenden-netzwerk

Zu den prägenden Erneuerungen des 21. Jahrhunderts gehören die Zusammenschlüsse der Ensembles zu Netzwerken, welche die Interessen der Berufsstände vertreten und als Gewerkschaften die Verbesserung der Arbeitssituation vorantreiben. Dem ensemble-netzwerk nachempfunden, trägt das assistierenden-netzwerk im nationalen Austausch dazu bei, die Sichtbarkeit der Assistent*innen zu fördern, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, sowie erstmals eine gemeinsame Wertvorstellungen von gleichberechtigten Theaterstrukturen und fairen Bedingungen zu definieren.

Das Netzwerk denkt Theater als soziale, solidarische, nicht-diskriminierende, faire Wirkstätte für alle Mitarbeitenden und bietet ein Forum zur Vernetzung zwischen den Assistent*innen. Es teilt Erfahrungen, Wünsche und Werte. Es tauscht sich über Arbeitsweisen, Gehälter, Vertragsverhandlungen, Fortbildungen, Debüt-Inszenierungen und Arbeitsbedingungen aus. Das Assistent*innen-Netzwerk fordert gerechte Strukturen, gute Arbeitsbedingungen und faire Vergütung sowie die Unterstützung zur eigenen künstlerischen Laufbahn von Assistent*innen ein. Ziel ist es, sich durch kollektives Wissen selbst zu ermächtigen und eine eigene Lobby zu bilden.

Stufe 5: Die Vision

Zukunftsweisend wäre ein netzwerkbasiertes Ranking der attraktivsten Arbeitgeber*innen innerhalb der Theaterbranche, welches Auskunft über soziale Verantwortung, Chancengleichheit, Karriereperspektiven, Work-Life-Balance, Gehalt, Publikumsattraktivität und das künstlerische Profil der Häuser geben könnte und somit direkt auf die inneren Strukturen schließen ließe.

Dieses Ranking würde sich aus Umfragewerten von Mitarbeitenden, Zuschauer*innen und unabhängigen Befragten, sowie einer Jury speisen. Ziel des Theater-Rankings wäre es, die Theaterwelt auf lange Sicht so umzugestalten, dass Theatermacher*innen ihren zukünftigen Arbeitsplatz nach den oben genannten Kriterien wählen. Ferner könnte ein solches Ranking die Theater auch im europäischen Vergleich gegenüberstellen. Dieses Wertesystem wäre nicht zuletzt auch für das Publikum interessant und könnte dabei helfen, die Politik auf die prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen.

Das Theater des 21. Jahrhunderts

Es steht nichts Weniger als die Gesellschaft selbst zur Debatte. Im Mittelpunkt steht der Mensch, der seine Gegenwart analysiert, seine eigene Individualität und Identität reflektiert und ausbildet, sich seiner gesellschaftlichen Lage bewusst werden kann und mittels der künstlerischen Auseinandersetzung am gesellschaftlichen Diskurs teilnimmt.

Theater kann nur so demokratisch sein, wie es die Gesellschaft selbst ist. Daher muss das Theater des 21. Jahrhunderts Auflösungs- beziehungsweise Austragungsort für die Makel der gesellschaftlichen Strukturen sein. Um sich selbst zu reformieren, muss es durch die Kunst Wege der Reform innerhalb der Bevölkerung finden und diese auf den Bühnen verhandeln. Die Kraft des Theaters liegt darin, dass es sich in der Gesellschaft spiegelt – und umgekehrt. Es soll gleichermaßen beeinflussen und beeinflusst werden. Gesellschaftskritisches Theater ist demnach notwendig und stellt die eigenen Strukturen zur Debatte. Das Theater muss sich durch die Gesellschaft korrigieren und die Gesellschaft durch das Theater.

In einem Zeitalter, in dem Nationalsozialismus, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus innerhalb Europas wieder an gesellschaftlichem Nährboden gewinnen und die Grenzen des Sagbaren sich verschoben haben, muss das Theater neue Narrative und Formate entgegensetzen. Dafür muss es als Ort maximaler Diversität für alle Ethnien, Geschlechter sein, für Menschen jeden Alters zugänglich sein, und unabhängig von Behinderung, sexueller Orientierung oder Weltanschauung zugänglich sein. Ein diverses Ensemble reicht nicht, wenn es nicht auch radikal besetzt wird, um die Sehgewohnheiten zu ändern und eine neue Normalität zu etablieren. Die absolute Durchmischung ist das Ziel.

Im Theater des 21. Jahrhunderts geht es um Machtaufteilung, starke Partner*innen, neue Allianzen und faire Strukturen. Es geht darum, Kommunikation auf ein neues Level zu heben und darum, Kunst und technische Gewerke wieder zusammenzuführen und als einen Apparat zu begreifen. Dafür ist es notwendig, den NV-Bühne neu aufzulegen, Netzwerke zu fördern und Betriebsvereinbarungen zu verfassen.

Die Theater müssen ihre alten Ordnungen aufbrechen, sich ihres kulturellen, sozialen und finanziellen Kapitals bewusstwerden und es neu anlegen: Offene Leitungsrunden für das Ensemble, offene Kantinen auch für Bürger*innen, offene Konflikte austragen, offene Dialoge führen, sich wieder der Gesellschaft öffnen.

Dabei geht es um den Mut zur Lücke und keine Angst vor dem Scheitern zu haben, sodass Theater zu einem angstfreien Raum werden kann. Es geht darum, frecher, lauter und ungestüm zu sein, sich durch neue technologische Mittel und soziopolitische Einflüsse ästhetisch neu zu erfinden und strukturell weiterzuentwickeln, damit es den radikalen Umbruch unseres Lebens durch die invasive Technologie, den Konflikt Mensch versus Maschine, die Kritik, die Vorteile, Dystopien und Utopien in künstlerische Kontexte umwandeln kann.

Dies alles können nur Bretter, die die Welt bedeuten.

»Ich glaube fest daran, dass irgendwann ein neues Publikum dieses mutige, suchende, strauchelnde, verzweifelnde, brennende Theater für sich entdeckt und dass dieses Publikum, von dem wir heute nicht einmal zu träumen wagen, die Reihen langsam wieder füllt, bis sie bersten.«


Literatur

Schmidt, Thomas (2019): Macht und Struktur im Theater – Asymmetrien der Macht. Wiesbaden 2019. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Wille, Franz (2019): Die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins zählt die Gaben. In: Theater Heute. Nr. 12/2019. S.1


Autorin

Foto: Sebastian Lulay

Jessica Samantha Starr Weisskirchen

begann ihre Theaterkarriere als Regieassistentin am Theater und Orchester Heidelberg. 2017 gab sie hier ihr Regie-Debüt mit dem Stück Bist du sicher, Martinus?. Sie inszenierte unter anderem am Theaterhaus G7, sowie an der Theaterakademie in Mannheim und brachte die von ihr verfassten Monologe Wendy – ein weiblicher Protagonist und blutrot auf die Bühne. Bis 2020 arbeitete sie als Regieassistentin am Nationaltheater Mannheim. Ein Körper für jetzt und heute ist ihre aktuelle Regiearbeit, zu sehen am Nationaltheater Mannheim. Sie ist Initiatorin des Assistierenden-Festivals SUMMER UP und Gründerin des assistierenden-netzwerks. Seit 2020 studiert sie, neben ihrer Arbeit als Regisseurin und Aktivistin, Theater-und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt.