Cancel Culture. Vom Unsagbaren in der Kulturpolitik

İdil Nuna Baydar

5. Mai 2021

Disclaimer:
Vorsicht Triggerwarnung!
Dies ist ein neoabstraktes, literarisch-kubistisches Kunstwerk:
70% zynisch & sarkastisch, 20% »Ich kann es nicht fassen« und 10% »Ja, das ist mein Ernst«!
100% Satirisch

Wann immer Realpolitik sich davor drückt, klare Entscheidungen durch klare Haltungen, durch klare Rahmen und Grenzen, durch antigierende und integrierende Gesetze, sich selbst, also die eigene Essenz zu gestalten, immer dann wird in diesem großen Schweigen und Nichthandeln die Kulturpolitik den Preis der Prokrastination, der Stagnation, der flüchtenden Hochleistungspolitik zahlen müssen – zusammen mit der Kulturgesellschaft. Und wie das so ist, wenn die geforderte Zahlung verschleppt wird, …es wird teurer, für alle.

Wenn es Missverständnisse über die Grenzen sowie die Abgrenzung der Demokratie gibt, zum Beispiel zum Faschismus in Deutschland, wäre zur Klärung das Grundgesetz die Essenz, die es nach unserem Demokratieverständnis zu befragen gelte. Denn unser Grundgesetz ist unmissverständlich – selbst dann, wenn es interpretiert werden würde.

Wie kamen wir also zu einer Demokratie, die Faschismus als Meinungsspektrum legitimiert, obwohl klar ist, dass Faschismus ein absoluter Zersetzer, ein Endgegner per Definition jeder Demokratie ist?

Es gibt keinen demokratischen Faschismus.
Das eine schließt das andere nun einmal aus.

Ebenso gibt es kein gefrorenes Feuer und keine kochendheißen Schneeflocken!

Faschistische Systeme können demokratische Systeme übernehmen.

Demokratische Systeme können aber keine faschistischen Systeme übernehmen.

In faschistisch politischen Systemen kann Demokratie nicht durch Landtagswahlen zurückgewählt werden. Wieso kann man also in einem demokratischen System Faschismus wählen?

Wenn also die Abschaffung der Demokratie in einer Demokratie möglich ist, kommt dies einer Abtreibung des Grundgesetztes gleich.

Behaupten wir, dass die Demokratie eine Frau ist und verheiratet mit dem Faschismus, ihrem Ehemann. Ist Demokratie eine Frau, die von ihrem faschistischen Ehemann misshandelt und missbraucht wurde, was letztlich unweigerlich zu ihrer Ermordung führen wird? Eine Frau, die es nicht geschafft hat ihren massiv gewalttätigen Ehemann Faschismus zu verlassen?

Obwohl diese Frau weiß, dass es ihren Tod bedeutet, bleibt sie mit ihren Kindern bei ihm.

Was also würde sie brauchen, diese Frau, um zu überleben und ihren Kindern eine faschismusfreie Zukunft zu ermöglichen?

Ihre Verwandten und Freunde bekommen das natürlich mit. Einige von ihnen sagen: »Naja, so schlimm ist es ja nicht. Du siehst ja noch ganz gut aus und so ist er nun mal. Du wirst lernen damit zu leben. Anderen Ländern geht es noch viel schlechter.« Andere raten ihr die Strategie der Wehr, denn schließlich sollten Frauen für sich einstehen. Die Frau Demokratie muss emanzipiert sein.

Der faschistische Ehemann richtet seine Gewalt nun auch gegen die eigenen Kinder.

Die Frau Demokratie bemerkt, dass ihre Kinder lieber auf der Straße sind, anstatt nach Hause zu kommen. Sie schreien verzweifelt: »Wir sind das Volk!«

Sie sucht das Gespräch mit ihrem Mann Faschismus in endlosen Talkshows.

Die Moderation übernimmt eine kluge Person, studiert, die immer wieder fragt, was denn die Frau falsch gemacht habe, um das gewalttätige Verhalten ihres Mannes Faschismus auszulösen?

Diese kluge studierte Person fragt die Frau Demokratie, ob sie sich diese Gewalt von ihrem Mann nicht einbildet? Ob das wirklich passiert? Denn es ergeht ja nicht allen verheirateten Frauen so, wie ihr.

Die Frau Demokratie wird auch gefragt, ob es nicht doch daran liegt, dass sie als Nicht-Mann, also als Frau, die Werte ihres Mannes nicht verstehen kann? Weil sie ja als Frau kein Mann ist und somit dessen Kultur, Sprache, Werte und Gebräuche nicht wirklich verstehen kann. Eigentlich ist sie ja auch ein Einzelfall, denn nicht alle faschistischen Ehemänner schlagen und misshandeln ihre Frau, die Demokratie.

Die kluge und studierte Person fragt, ob jemand vor der Frau Angst haben müsste, ob ihr Frausein nicht doch einen zu großen Unterschied zu der biologischen Kultur ihres Mannes als Mann darstellt? Vielleicht kommt es nur deshalb zur Ablehnung ihres Mannes, weil sie sich nicht richtig in die Werte der freiheitlichen Grundordnung als Meinung ihres Mannes Faschismus integrieren will.

Sie will seine Sprache weder lernen, noch verstehen oder sprechen, und der Mann versteht, dass sie das als Frau ja auch nicht kann und niemals können wird – weil sie kein echter Mann ist, rein von der biologischen Kultur her. Das ist einfach grundverschieden.

Dann fragt die kluge studierte Moderation die Frau nach ihren Erfahrungen mit ihrem Mann, und als die Frau anfängt zu erzählen, dass es mit Beschimpfungen und furchtbaren Ausdrücken ihres Mannes anfing und sie das unheimlich beschämte, weil es immer mehr wurde mit der Zeit, immer schlimmere Erniedrigungen dazu kamen. Beispielsweise das Anspucken vor den Schlägen und dann die Schläge in ihr Gesicht.

An dieser Stelle hakte die Moderation ein und fragte, ob sie das nicht doch missverstanden hätte, denn sie kennt andere Frauen, die in dieser Situation ganz anders reagieren und diese Beschimpfungen ganz anders einordnen und auffassen würden und das gar nicht problematisch finden.

Und diese kluge und studierte Person sagt, dass die Frau auch bedenken müsse, dass ihr Mann Faschismus das ja gar nicht so gewalttätig meint, wie er handelt.

Nutzt sie nicht die Toleranz ihres Mannes aus, da er ihr wirklich großzügig Verständnis entgegenbringt und auch einräumt, dass er natürlich sieht, dass die Frau kein echter Mann ist, und sie kann es als Frau natürlich auch nicht werden, egal wie sehr sie sich darum bemüht, auch dann nicht, wenn du hier in der schon vierten Generation als Frau geboren bist. Sie müsste sich ganz einfach in die Leitkultur des Mannes integrieren, auch wenn er sie schlägt, und da sie das Recht auf eine Opferberatung hat – was nicht jedes Land für Frauen anbietet müsste! – müsse sie sich glücklich schätzen hier zu sein. Hier gibt es auch ein Frauenhaus in das sie flüchten könne vor ihrem gewalttätigen Mann, wenn sie das Verhalten ihres Mannes als gewalttätig empfinde.

Und dass diese Gewalt von ihrem Mann auch eine Meinungssache ist. Nicht jeder, der sie schlägt und misshandelt, meint das auch so.

Sie ist ja schließlich die Demokratie und müsste das auch aushalten können.

Oder wurde sie einfach in ein Frauenhaus namens Cancel Culture eingewiesen?

Wo für Opferisierte wie sie ein sicherer Platz geschaffen wurde, wo sie mit Sicherheit schwach und hilflos bleibt, sodass ihrem Täterisierten also bestätigt wird, dass ihm als legitimierter gewalttätiger Faschismus-Ehemann der Zugang verwehrt bleibt. Ungehindert in seiner Bewegungsfreiheit hat er den sicheren Platz im öffentlichen Raum, denn dieser ist ja für die Frau immer eine Gefahr.

Warum also muss der Täter nicht in ein Männerhaus und wird dort beschützt vor seiner Gewalt, die sein Leben zerstört, weil er damit ihr Leben zerstört?

Warum ist der Täter nicht das Opfer?

Ist nicht das eigentliche Opfer des Täters das Opfer-zum-Täter-Machen, damit es nicht mehr Opfer sein muss sondern Täter sein kann? Ist derjenige Opfer, der sein Tätertum opfert, um das Opfer zum Täter zu machen?

Oder ist das Opfer zum Täter geworden, weil es das Opfer ist, das den Täter durch sein Opfer überhaupt erst zum Täter gemacht hat?

Wäre der Täter auf einen weiteren Täter getroffen, wer von den beiden wäre das Opfer?

Und würden zwei Opfer aufeinandertreffen, wer von ihnen wäre dann Täter?

Genau!

Also ist doch die Frage, die Frau Demokratie umtreibt, ob die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes Faschismus und Rassismus nicht auch als Wert schützen muss?

Ist Faschismus und Rassismus in einer Demokratie schützenswert?

Und wo würde da die Grenze sein?

Wenn Rassismus und Faschismus, antirassistische und antifaschistische Positionen sich als Unwert und Unrecht  gegenüberstellen, ist das dann Demokratie und Meinungsfreiheit?

Würden Rassist*innen und Faschist*innen, Nicht-Rassist*innen und Nicht-Faschist*innen canceln?

Oder würde eine faschistische Kulturpolitik diese als schützenswert fördern müssen?

Und wenn Antifaschist*innen und Antirassis*innen Faschist*innen und Rassist*innen als Unwert und Unrecht einander gegenüberstellen, wären sie dann noch verfassungstreu im Grundgesetz?

Haben Faschist*innen und Rassist*innen nicht das Recht, so behandelt zu werden, wie sie es selbst für alle anderen wollen?

Genau!

Müssten nicht auch in einer Demokratie Faschist*innen und Rassist*innen durch die Kulturpolitik gefördert und unterstützt werden?

Oder ist das Grundgesetz faschistisch gegenüber faschistischen und rassistischen Positionen?

Und wieso kommt der faschistische Ehemann, der Gewalt ausübt, nicht sofort in U-Haft und wird von der Staatsanwaltschaft angezeigt?

Und was sagt nun der faschistischer Ehemann zu dem verwehrten Zugang zu seiner Frau, die vor seiner Gewalt in das Cancel Culture-Frauenhaus flüchtet?

Sagt er nicht sowas wie: Dass er das völlig daneben findet (während er öffentlich und vogelfrei in der Gesellschaft rumturnen kann) und es nicht sein könne, dass ihm der Zugang gecancelt wird, denn das würde seine Freiheit, seine Meinungsgewalt über seine Frau Demokratie auszuüben, ihn quasi in seinem Grundgesetz einschränken? Die Anti-Würde, Artikel 1, freiheitlichen Grundordnung verletzt, Meinung, Existenz cancelt

Und eine Frau Demokratie müsse das schon aushalten, sonst ist sie ja keine Frau Demokratie mehr.

Und wenn die Frau Demokratie das nicht aushalten will, dann nur, weil sie in Wahrheit ein faschistisches Stück Scheiße ist, das mir den Mund verbieten will und so tut, als sei sie besser als ich, dabei ist sie genauso wie ich. 

Auch wenn ich ihre Existenz dann versehentlich auslöschen könnte, darf sie die Ermordung ihrer Existenz nicht ausschließen, indem ich keinen Zugang mehr habe und meine Gewalt in dem Frauen-Cancel-Culture-Haus ausgeschlossen wird.

Das ist doch per Definition keine Demokratie.

Ist Cancel Culture also eine Form von faschistischer Demokratie?

Ist das Frauen-Cancel-Culture-Haus das Problem für die Demokratie – oder die faschistische Gewalt, die bestimmen will, was existieren darf und was nicht?

Ist also der Ausschluss von Rassist*innen das Problem der Meinungsvielfalt oder sind die Rassist*innen das Problem, die bestimmen, die ein Grundecht wollen, welche und wer als demokratische Meinungsvielfalt existieren darf und welche Meinungsidentität eben nicht?

Habe ich als misshandelte Demokratie nicht die Pflicht, mein Recht auf gewaltfreie Existenz einzufordern und mich mit all meinem Mut und meinen Möglichkeiten für den Ausschluss von Faschismus und Rassismus, welche mich entsorgen wollen, jagen wollen, mich erniedrigen und bedrohen, mich an der Grenze erschießen wollen, oder wie in Halle und Hanau erschossen haben, entgegen zu stellen und zu sagen: »Nein sorry, dein Verhalten ist gecancelt!«

Wenn Frau Baydars Existenz, ihr Leben von Faschist*innen und Rassist*innen mit dem Tode bedroht wird, ist das dann Cancel Culture?

Wenn Frau Lisa Eckharts Lesung im Nochtspeicher Hamburg wegen der Bedrohung, den Kulturort Nochtspeicher zu beschädigen, abgesagt wird, ist das dann Cancel Culture?

Ist das eine Kultur, die mein Leben cancelt, weil ein Anderer sein demokratisches Grundrecht auf freie Meinungsäußerung hat und lebt dieser Andere noch, wenn seine Meinung kritisiert und abgelehnt wird?

Ist also die Würde des Menschen, das Recht auf Leben, wichtiger? Oder ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, die eben auch faschistisch und rassistisch sein kann mehr wert, als das Leben, das es entwertet?

Ich wurde im Übrigen noch nie von Antirassist*innen oder Antifaschist*innen mit dem Tode bedroht.

Aus irgendeinem Grund sind sie an meinem Ableben nicht im mindesten interessiert.

Hmmm

Genau!

Ich selbst habe Rassist*innen und Faschist*innen auch noch nie mit dem Tode gedroht, verzeihen Sie mein undemokratisches Verhalten, ich war aus purem Egoismus zu beschäftigt damit, Faschist*innen, die mich töten wollen, zu überleben. Das macht mich wohl zu einer schlechten Demokratin, die einfach das Prinzip des demokratischen, faschistischen Meinungsspektrums nicht verstanden hat.

Wie würde hier also eine Neuausrichtung aussehen?

An dieser Stelle muss ich lachen, mit Verlaub, das kommt also ganz darauf an, an welcher Stelle des berühmt und berüchtigten Meinungsspektrums Sie selbst stehen, jeder einzelne kulturpolitische Körper ist es, der da zählt.

Welcher Standpunkt möchte denn etwas Neues?

Die Demokratie hat sich doch noch nicht einmal entschieden, etwas Neues zu wollen, denn natürlich wirft das-Neue-wollen die Frage auf:

Wenn Faschismus und Rassismus nicht mehr Teil des Meinungsspektrums sind, was würde sie ersetzten, was müsste seinen Platz einnehmen?

In Kreuzberg Berlin hat man den ersten Mai, den Tag der Arbeit und Arbeiter*innen-Demonstrationen /Krawalle mit einer 1. Mai Party ersetzt, vielleicht wäre das ein passender Ersatz für faschistische Demonstrationen.

Die Demokratie feiert die Faschist*innen einfach weg, so wie sie die Arbeiter*innen weggefeiert hat.

Nun gut, es gibt keine Arbeiter*innen mehr, sie wurden ersetzt mit Lohnempfänger*innen; etwas zu ersetzten, was es eh nicht mehr gibt, ist schon leichter, das räume ich ein.

Und welche zukunftsweisenden Strategien sollten von Kulturorganisationen entwickelt werden?

Ich halte adäquate Angebote für die beste Strategie.

Vielleicht ist die Zeit reif dafür, endlich Faschisten*innen und Rassisten*innen als Opfer der Demokratie zu sehen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, ihnen einen Ort ähnlich dem Prinzip des Frauenhauses zu schaffen.

Ein Reservat 88 nur für die Deutschen, die gerne unter sich bleiben möchten, ausschließlich deutsch essen, trinken, leben, denken, bilden, arbeiten, lieben und lachen.

Ein Reservat irgendwo in Deutschland, in dem sie wirklich ohne den Terror der Demokratie leben können, ohne die Bedrohung der Ausrottung, der Umvolkung durch Menschen wie diese zutiefst verachtenswerte Antifaschistin Frau Baydar.

Vielleicht ist es an der Zeit, sie zu schützten in einem Reservatgebiet, in dem niemals ein*e Geflüchtete*r das Asylgesetz beanspruchen könnte, weil im Reservat das Opfer Faschismus heißt und der Täter Demokratie. Ich stelle es mir vor und sehe blühende Landschaften, blonde Lichtgestalten, die sich gegenseitig Siezen, und endlich frei leben.

Frei von den Untermenschen, die sie ersetzten wollten. Wie sie dort ihre Mütter und Väter heiraten können, um die Blutreinheit, den heiligen Gral, den deutschen Genpool, zu sichern – befreit davon, Rassist*in genannt zu werden. Weil niemand es mehr sein muss!

Nicht ein alimentierter Messerstecher, nicht ein rotzedummes Kopftuchmädchen – es gibt endlich keine Fremdkörper mehr, keine fremden, minderwertigen Produkte aus minderwertigen Ländern, keine fremden, minderwertigen Sprachen und minderwertigen Speisen, nur noch hochwertige Butter, hochwertigen Alkohol und hochwertiges Schweinefleisch, kulturell saubere Grundnahrungsmittel, eigener Rüben- und Kartoffelanbau und endlich die unendliche Freiheit, ein echter deutsch-Deutscher zu sein – bis hin zu den Reservatgrenzen, da, wo ein ausschließlich faschistisches Deutschland aufhört und ein einschließlich Nicht-faschistisches Deutschland anfängt.

Die Reservats-Frauen dürften endlich ihren Männern Untertan sein und ihrer unstillbaren Sehnsucht am Herd nachgehen, ihren kleinen, blonden, genetisch sauberen Nachkommen ihre ausschließlich Deutsche-Menschen-Kultur einbläuen.

Endlich keine Frauenhäuser mehr, denn eine gute echte Deutsche Frau gehorcht ihrem Mann oder Beate Tschäpe-like auch mehreren Männern, und muss sich durch Emanzipation im Zwang zur Arbeit, im Zwang zur Selbstbestimmung nicht mehr erniedrigen lassen.

Es bedarf auch keiner Polizei mehr, da echte Deutsche nie etwas Kriminelles oder Falsches tun. Walter Lübke oder der NSU wären nicht mehr notwendige Notwehr gegen die Feinde Deutschlands, weil sie endlich ein Deutschland leben dürften, ohne selbstgeschaffene Feinde, alle wären dort Freunde, weil sie Deutsche sind, das ist ja das Tolle am genetisch echten und kulturell richtigem Deutschsein.

Und es gäbe so viele Arbeitsplätze und endlich keine Rechtschreibfehler.

Wahlrecht wollen Faschisten*innen auch nicht, sonst wären sie ja Demokraten.

Der 1000jährige Frieden wäre endlich da, sie könnten zwei Wochen im Jahr reisen, aber sie würden es ja gar nicht wollen, zu viele Untermenschen, Ausländer, außerhalb der national-sozialistischen Reservatsgrenze, da genau wollten sie ja nicht.

Das wäre auch für den Klimaschutz ein Vorteil, kaum CO2-Verbrauch aus und in dem Reservat. Außerdem wäre ja sowieso alles Nichtdeutsche verboten.

Licht gibt es auch nicht, denn das hat kein Deutscher erfunden, also raus mit der Glühbirne und im Gleichschritt zur Feuerstelle, der Erfinder der Feuerstelle hatte keine Kultur, das geht!

Nur das, was Deutsche erfunden, geschrieben, gesungen und erdacht haben, wäre akzeptabel.

Herrlich, es gibt einfach nichts Nichtdeutsches!

Ein Traum, das Paradies für echte und richtige autochthone deutsch-Deutsche, ohne einen nichtdeutschen Hintergrund.

Nur ein*e echte*r Deutsche*r, also eine*r mit Ariernachweis, hätte das Recht auf einen Platz im Reservat und jedes Bundesland hätte eins.

Lasst sie uns schützen mit ihrer primitiven, einfachen, vernunftsbasierten Lebensart als Kulturgut dieser Republik. Ich finde, das sind wir ihnen schuldig – immerhin haben wir ihre Existenzberechtigung im demokratischen Meinungsspektrum vernichtet.

Das wären wir ihnen als humanistische, menschenrechtsbasierte Demokratie einfach schuldig.

Das wäre zumindest ein maßgeschneidertes Angebot, das sich die Kulturpolitik statt Cancel Culture selbst zum Angebot machen könnte.

Welche Aufgaben sollten damit in den Zuständigkeitsbereich der Kulturpolitik fallen?

Natürlich können Sie mich nach meiner Meinung fragen, aber um eine Antwort auf die Fragen zu bekommen, muss die Kulturpolitik nach ihrer eigenen Haltung fragen, um eine existenzielle Antwort zu bekommen.

Wenn die Kulturpolitik weiß, was ihre Haltung ist, sind alle Fragen beantwortet!

Die Positionierung meiner Meinung zu diesen Fragen kann der Kulturpolitik keine adäquate Antwort geben, nur die Fragen aus meiner Position heraus können die Kulturpolitik zu ihren Antworten inspirieren.

Ist das Leben von Frau Baydar bei Erschießung ebenso wiederherstellbar, wie ein zerstörter Auftrittsort?

Lebt Frau Lisa Eckhart weiter nach einem abgesagten Auftritt, oder ist ihre Existenz unwiederbringlich ausgelöscht?

Ist das Leben von Frau Baydar genauso viel Wert wie das von Lisa Eckhart?

Oder ist der Wert von Frau Baydars Leben eben eine Meinungsfreiheit?

Und entscheidet über den Wert von Frau Baydars Leben die Polizei, die das Grundgesetz als Strukturgeber ablehnt, sonst müssten sie es ja umsetzten.

Oder sind es der Verfassungsschutz oder Edeka, die über Frau Baydars Lebensberechtigung entscheiden?

Mich würde an dieser Stelle interessieren, was Herr Walter Lübke zum Freispruch des Mittäters in seinem Mordfall zu sagen hätte.

Das muss man als Demokrat dann aushalten?

Welche Rolle könnten also ermordete Künstler*innen in diesen Prozessen einnehmen?

Wer oder was wird hier also in seiner Existenz gecancelt?
Wegen welcher Kultur und wegen wessen Meinungsfreiheit?

Hat Faschismus und Rassismus Cancel Culture als Kulturpolitik?

Oder ist die Demokratie einfach nur zu faschistisch, um rechtsradikalen Faschismus als Demokratie anzuerkennen?

Meinungen können der Kulturpolitik nicht die Entscheidung nach einer positionierten Haltung abnehmen.

Wenn die Polizei, die dritte Gewalt in der Demokratie, mutmaßlich an der Todesdrohung von Frau Baydar beteiligt ist und es ihr gestattet bleibt, dies nicht zu aufzuklären bzw. sie nicht zur Aufklärung ihrer eigenen Beteiligung gezwungen wird, dann wird sie auch nichts aufklären.

Welche Haltung darf die Institution Polizei also Frau Baydar gegenüber einnehmen?

Darf sie sich völlig unbeteiligen bzw. darf sie sich weiter am Faschismus beteiligen und nette rechtsradikale, faschistische WhatsApp-Gruppen pflegen?

Darf oder sollte das der Kulturpolitik völlig egal sein?

Eine demokratische Haltung, die Faschismus nicht zur Aufklärung zwingt, sondern sie als ihren eigenen Einzelfall versteht, ist schon längst am Ende.

Selbst wenn es 3 Millionen Einzelfälle sind, sind es doch verglichen mit 81 Millionen eben Einzelfälle. Gut, manchmal dreht sich auch das Verhältnis und 81 Millionen sind dann mal eben faschistisch, aber eigentlich wars ja doch nur ein importierter Einzelfall, der 81 Millionen zu Faschist*innen gemacht hat, richtig?

Das muss die Demokratie halt mal aushalten, sonst wäre es ja keine Demokratie, richtig?

Ist die Polizei Cancel Culture als Prinzip oder schützt sie die Bevölkerung nur vor der doofen Antirassistin Frau Baydar, also vor dem selbst-Schuld-Opfer?

Das selbst-Schuld-Opfer, das im Cancel-Culture-Haus sitzt, zusammen mit Frau Demokratie.

Zu welcher Haltung zu Cancel Culture, zu welcher Meinung über Cancel Culture müssen die kulturpolitischen Akteur*innen nach eigenem Vermessen des Werts ihrer eigenen Meinungskultur kommen?

Also frage ich Sie: Welche Transformation braucht der politische Kulturbetrieb?

Welche Aufgabe würde der Kulturpolitik an dieser Stelle zufallen?

Das ist eine Frage der eigenen, ehrlichen Entscheidung zu einer eigenen, politischen Haltung und zur Sehnsucht nach einer Demokratie, die den notorischen Einzelfall, die rassistischen, nationalsozialistischen Faschismus endlich als Menschenrecht anerkennen darf, richtig?

Genau!


Autorin

(c) Cengiz Karahan

İdil Nuna Baydar, 1975 in Celle geboren, ist deutsche Comedienne, Schauspielerin und Social Influencer.

Im Dezember 2011 veröffentlichte sie auf YouTube ihre ersten Videos im Genre Sozialkritik mit Hilfe ihrer Kunstfiguren Jilet Ayşe und Gerda Grischke. Nachdem sie die Millionenklickgrenze durchbrochen hatte, entwickelte sie 2014 ihr erstes abendfüllendes Comedy-Programm. Seitdem tritt sie in verschiedensten Kabarett- und Comedy-Sendungen im Fernsehen auf und spielt in ihrer Rolle als Jilet Ayşe in diversen Internetformaten. http://www.idilbaydar.de/