Warum auf die Not warten, um erfinderisch zu werden?

Lea Stöver

12. Mai 2021

Geld ist Macht. Diese Aussage ist so kurz wie sie irritierend erscheinen mag. Ich denke viel über Geld nach, oder genauer: Wie dieses im Rahmen der öffentlichen Kulturförderung (in meinem Falle der EU) eingesetzt wird und was antragstellende Einrichtungen tun müssen, um an dieses Geld zu kommen. Trotzdem bin ich oft überrascht darüber, wie wenig viele andere und sogar ich selbst am Ende dann doch über Geld nachdenken. Und dass wir uns selten fragen, wie Geld Möglichkeiten schafft oder verhindert.

Angeregt zu diesen Gedanken hat mich der Artikel von Dr. Henning Mohr in ebendieser Reihe #neueRelevanz der Kulturpolitischen Gesellschaft, meinem Arbeitgeber. Am 23.12. veröffentliche Henning Mohr seinen Artikel »Selbstbezüglichkeit statt Relevanz. Transformationsdefizite öffentlich geförderter Kulturorganisationen«. In diesem Text geht er der Frage nach, wie in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen mehr Innovation entstehen kann und wie die »Transformationsdefizite des Sektors« behoben werden können. Diese Frage brennt mir ebenso unter den Nägeln und mit diesem Beitrag möchte ich in einer Antwort näherkommen.

Henning Mohr kommt in seinem Text unter anderem zu dem Schluss, dass die dauerhafte Förderung durch die öffentliche Hand dafür sorgt, dass alles so bleibt wie es ist. Weil gefördert wird, was man eben immer schon so gemacht hat. Es bestehe »angesichts dieses in der Regel einigermaßen sicheren Finanzrahmens […] innerhalb der Systeme keine Pflicht zur Legitimation gegenüber fördermittelgebender Instanzen und damit auch kein Anpassungsdruck«. So sehr ich dieser Analyse grundsätzliche zustimme, will ich andere Konsequenzen daraus ziehen. Denn für mich steckt in dieser Schlussfolgerung der Glaubenssatz, dass Not erfinderisch macht. Und weil die öffentlich geförderte Kultur zu wenig erfinderisch ist, muss – überspitzt ausgedrückt – Not geschaffen werden.

Künstliche Verknappung

Ich denke diesen Ansatz für einen kurzen Moment weiter: Der sichere Finanzrahmen öffentlicher Förderung sorgt also für eine andauernde Selbstbestätigung und verhindert Veränderung. Das kann ich nachvollziehen:  Man macht damit weiter, wofür man das Geld bereits das letzte Mal bekommen hat. Wie bringen wir also das System und mit ihm die Menschen dazu, sich zu ändern? Indem wir Geld erst wieder vergeben, wenn der Wille zur Veränderung sichtbar wird? Indem wir für finanzielle Knappheit sorgen? Ich denke, dass dieses Szenario möglich ist, aber nicht notwendigerweise so eintritt. Das einzige was an dem Ansatz Not macht erfinderisch jedoch sicher ist, ist die Not. Auf die Erfindung kann man dann bestenfalls noch hoffen.

Es wird sicherlich deutlich, dass ich vor allem die Vorstellung ablehne, dass Innovation nur durch äußere (ökonomische) Zwänge entsteht. Willkommen in der Welt des Homo Oeconomicus! Und ich gehe noch weiter und befürchte, dass finanzielle Not in stark hierarchisierten Kultureinrichtungen, wie unser Land sie zu genüge hat, diese Hierarchien zementieren statt auflösen wird. Und schließlich diejenigen übrigbleiben, die schon zuvor verhindert haben, dass sich etwas ändert.

Geld ist Macht

Damit zurück zu meinem Anfangsgedanken: Ich bin natürlich überzeugt davon, dass die Art und Weise, Geld auszugeben, Veränderung schafft. Das steckt für mich hinter dem Gedanken, dass Geld Macht ist. Deswegen will ich mehr über Geld reden! Nicht, weil ich machtbesessen bin, sondern weil ich Veränderung will. Und die hängt früher oder später immer am Geld. Es ist aber gar nicht so einfach über Geld zu sprechen in einer Branche, in der eigentlich niemand so richtig über Geld reden will. Vielleicht, weil wir es nicht gelernt haben oder weil es uns nicht interessiert oder wir gelernt haben, uns nicht dafür zu interessieren. Letzteres kann ich nach einem geistes- und sozialwissenschaftlichem Studium für mich reklamieren. Zweieinhalb Jahre Budgetplanung für den CED KULTUR und zahlreiche Beratungen von Kultureinrichtungen zu europäischen Kooperationsprojekten später bin ich anderer Meinung: Ich interessiere mich für Geld, weil es Veränderung erlaubt.

Die Diskussion um Geld für Kultur, die Kulturförderung, findet meines Erachtens aber allzu oft nur zwischen zwei argumentativen Polen statt: Zwischen denen, die mehr Geld fordern, und denen, die erwidern, dass diese Forderung nach mehr Geld schon vor Jahrzehnten gestellt wurde und sich trotzdem nichts geändert hat. Beide Positionen scheinen nachvollziehbar. Aber wenn weder weniger noch mehr die Lösung ist, müssen wir dann überhaupt über Geld reden? Ja, denn wir müssen darüber sprechen, wie es beantragt werden kann, wie es vergeben und wie kalkuliert wird.

Ein langes Gespräch

Geld vergeben und ausgeben muss erfinderisch werden. Denn Geld ausgeben ist eine Kunst, die inhaltliche Arbeit ermöglichen kann. Hier liegen die Herausforderungen: Wie verändere ich eine öffentliche Kulturförderung, sodass sie CO2-Reduktion zur Maxime erhebt? Oder sich einem intersektionalen Feminismus verschreibt? Oder sich selbst dekolonialisiert und die eigenen Praktiken rassismuskritisch hinterfragt? Damit sie das ermöglicht, was Sarah Braun ebenfalls in dieser Reihe fordert: »Deutungsräume für alle. Deutungshoheit für niemanden.«

Zu diesen Überlegungen gibt es sowohl deutschland- als auch europaweit bereits Menschen und Initiativen, die gute Ideen haben und umsetzen. Ich bin wahrlich nicht die Erste, die diese Fragen aufwirft. Aber sie treibt mich um und an: Wie schafft man Förderstrukturen, die das sind, was wir fordern: innovativ! Darüber müssen sich meines Erachtens alle Gedanken machen, die am Spiel beteiligt sind: Öffentliche Einrichtungen, die institutionelle Förderung erhalten, genauso wie Organisationen, die hauptsächlich Projektförderung erhalten. EU, Bund, Länder, Kommunen und private Fördereinrichtungen.

Ich möchte nicht auf die Not warten, um erfinderisch zu werden. Ich will jetzt über Geld reden. Auch wenn es ein langes Gespräch wird.


Autorin

(c) Roland Baege

Lea Stöver hat Ethnologie und Germanistik studiert und leitet seit August 2018 den Creative Europe Desk KULTUR (CED KULTUR). Gemeinsam mit ihrem Team berät sie Kultureinrichtungen und Kulturschaffende zu den Fördermöglichkeiten des EU-Programms Kreatives Europa KULTUR. Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. ist Träger des CED KULTUR.