Digitalisierung der Kunstförderung? Zeit für neue Strukturen!

Clair Bötschi

19. Mai 2021

Es ist an der Zeit, die Kunstförderung neu zu gestalten und in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen. Dabei sollten wir endlich die Bürokratie minimieren und die Autonomie maximieren. Wie das klappen könnte und warum die Kunst durch ein falsches Verständnis von Förderung an Relevanz verliert, möchte ich hier skizzieren.

Beginnen möchte ich bei einer wesentlichen Grundannahme: Kultur und Kunstförderung sind für eine freie und demokratische Gesellschaft notwendig und sinnvoll. Die fördernden Strukturen in Deutschland sind historisch gewachsen, und Kritik am Fördersystem ist ähnlich alt: Alle Jahre wieder gibt es zu viel Geld oder zu wenig; manchmal ist es die Art der Förderung, die bemängelt wird. Trotzdem lässt sich auch beobachten, dass es eine noch nie dagewesene Vielfalt von öffentlichen und privaten Förderungen gibt – sowohl in der Art der Förderung als auch in der Ausgestaltung der Fördermaßnahme. Mit Blick auf diese Vielfalt von Finanzierungsmöglichkeiten sollte man meinen, dass Kunst aktuell die besten Entfaltungsmöglichkeiten seit je hat. Dass dies nicht der Fall ist, erfährt man schnell, wenn man quer durch die Republik mit Künstler*innen spricht, die tief im Fördersystem stecken und zugleich Kritiker*innen und Nutznießer*innen des Ganzen sind. Dabei lassen sich drei Kritikpunkte identifizieren, die immer wieder genannt werden: Bürokratie, Ökonomie, Autonomie. Zugespitzt formuliert: Bürokratie durch (falsche) Ökonomie führt zum Verlust der Autonomie.

Kunst trifft Wirtschaft

Die letzten Jahrzehnte der Kunstförderung waren geprägt von einer zunehmenden ökonomischen Orientierung und einer damit verbunden Denk- und Handlungsweise. Dies lässt sich am offensichtlichsten an der Sprache und der Ausgestaltung von Förderanträgen feststellen: Zielgruppen, Indikatoren, der Nutzen für die Gesellschaft und Wirkungsberichte werden zunehmend gefordert. Letztes Jahr zum Beispiel ließ die Robert-Bosch-Stiftung verlauten, Kulturförderprogramme wie Grenzgänger ganz einzustellen, um die Förderung »strategisch neu auszurichten«. Was allerdings diese Neuausrichtung bedeutet, darauf gibt es bisher keine Antworten. Zumindest das verwendete Vokabular aus der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung suggeriert die Vorstellung von einer Förderung, die bei Einsatz von minimalem Kapital eine maximale Wirkung entfalten muss. Diese Kosten-Nutzen-Logik richtet auch Schaden in anderen Bereichen der Gesellschaft an. Denn was ist der Nutzen von Kunst? Gibt es einen Output, der sich messen und vergleichen lässt? Wie soll Wirkung gemessen werden, wenn ein Kunstwerk unter Umständen erst nach Jahrzehnten seine Kraft entfaltet?

Auch ökonomische Betrachtungsweisen haben auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten – darüber herrscht bei Kunstschaffenden große Einigkeit. Trotzdem versuchen Förderinstitutionen ihre Unterstützung immer feiner zu justieren – mit mehr Wettbewerb, mehr Indikatoren und noch viel mehr Evaluationen.

Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger hat die Fehler der künstlichen Wettbewerbskultur als Marktersatz offengelegt. In der Kunst- und Kulturförderung führt diese Dynamik beispielsweise dazu, dass die Antragsberechtigten eine eigene ›Antragsprosa‹ entwickeln und ihre Kunstprojekte optimal den Indikatoren anpassen – sowohl bei Antragstellung als auch bei der Evaluation. Die Antragssteller*innen kennen in der Regel die aktuellen Trendthemen und wissen, wie man sein Projekt ausrichten muss um Geld zu bekommen. Im schlimmsten Fall steht nicht mehr die künstlerische Fragestellung, nicht mehr die Betrachter*innen und auch nicht mehr die Gesellschaft im Vordergrund. Neue Zielgruppe sind die Förderinstitutionen und ihre Indikatoren. Folglich wird zeitgeistige Relevanz geschaffen – für mehr reicht die Puste nicht. Ein aktuelles und wunderbares Kunstwerk, welches die Logik dahinter verdeutlichen kann, ist der Smart Bot Endless Runder des Stuttgarter Künstlers Fabian Kühfuß: Ein Roboterarm, dem die Puste niemals ausgeht, simuliert seinem Fitnesstrackerarmband sportliche Daueraktivität mit dem Ziel, die fittesten Messdaten im sozialen Netzwerk zu haben – und die Konkurrenz links liegen zu lassen.

Kunstmarkt vs. Kurator*innenmarkt

In manchen Kunstförderprogrammen lässt sich Ähnliches beobachten: Künstliche Wettbewerbe in Kosten-Nutzen-Logik, aus denen die Kunstförderung heute überwiegend besteht, führen nicht zu künstlerischer Effizienz oder präziser ökonomischer Steuerung und erst recht nicht zu mehr Relevanz, einem höheren Wahrheitsgehalt oder ästhetischer Sprengkraft. Vielmehr verstärken diese Entwicklungen ein Schisma der Kunst, welches der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich wie folgt charakterisiert: »Auf der einen Seite entsteht die reine, ästhetische Kunst für den Kunstmarkt. Auf der anderen Seite die Kurator*innen-Kunst, deren Qualität anhand ihrer moralischen und politischen Botschaft beurteilt wird.« Damit ist zu befürchten, dass den Künstler*innen, die weder dem ökonomischen Pol Kunstmarkt noch dem anderen ökonomischen Pol (Kurator*innenmarkt) angehören, langsam aber sicher der Atem ausgeht.

Die Kunst wird in Zukunft aber nur ihre Relevanz erhalten, wenn eine ausgewogene und verbindende Kunstförderung etabliert werden kann, welche die Autonomie der Kunst fördert. Die Digitalisierung schafft dafür die Grundlage: Wir müssen den Algorithmen die Förderentscheidungen überlassen! Nur so können wir die Bürokratie minimieren und die Autonomie maximieren. Doch nach welcher Ökonomie beziehungsweise welchen Kriterien und welchem Dateninput sollen die Algorithmen Entscheidungen treffen? Dazu muss man verstehen, wie Algorithmen funktionieren. Der Philosoph Matteo Pasquinelli formuliert das so: »Algorithmen machen im Prinzip nur zwei Dinge – Muster finden und Abweichungen von Mustern aufdecken«. Da stellen sich die Fragen: Welche Daten haben wir? Welche Muster können wir erkennen? Und was ist die Entscheidung? Können wir ›das Muster der Kunst‹ erkennen? Oder, noch besser – das Muster der ›guten‹, förderwürdigen Kunst?

Selbstverständlich ist das skizzierte Szenario ein Irrweg, der im digitalen Kapitalismus gerne gemacht wird, denn: Kunst ist nicht definierbar und bildet immer wieder neue Formen heraus, die in das Andere eingegliedert werden muss. So zeigt dieses Gedankenexperiment vielmehr, wie die Digitalisierung, wenn wir den heutigen ökonomisch institutionalisierten Denkrahmen übernehmen würden, das Ende der künstlerischen Autonomie bedeuten. Das Wissen darum, was Kunst ist, ist den Menschen schon länger verloren gegangen – und eine Maschine wird das nicht lösen. Egal, wie viele Daten sie erfasst.

Förderung der Künstler*innenschaft

Was wir stattdessen tun können ist, unser Förderkriterium daran anzupassen, was für Muster ein Algorithmus sinnvoll erkennen kann. Die Förderentscheidung muss von den ökonomischen Kriterien befreit werden (keine Kosten-Nutzen-Logik, kein Name und auch keine künstlerische Idee braucht eine Rolle zu spielen). Allein ob der/die Antragsteller*in kunstschaffend ist und zum Kunstmilieu gehört, ist entscheidend. Hier reichen Metadaten über die gegenseitige Vernetzung im Kunstmilieu. Mit dieser Veränderung kämen wir der Maximierung von künstlerischer Autonomie schon ziemlich nahe.

Das bedeutet aber, dass wir allen, die zum Kunstmilieu gehören, eine Förderung zugutekommen lassen – und damit wären wir sehr nahe an einer Art Grundeinkommen für Kulturschaffende, wie es gerade in der Corona-Krise verstärkt gefordert wurde. Vielleicht wäre das für die Kunst das Paradies auf Erden? Eher nicht, denn wir wollen die Erkenntnis nicht vergessen: Ein wenig Angst und Arbeit schadet nicht. Idealerweise würde der Algorithmus doch eine Bewertung vornehmen und versuchen, die oberen 25 % und die unteren 25 % des Kunstmilieus von einer Förderung auszuschließen (nach einer Standard-Normalverteilung). Das heißt, die stark Vernetzten und damit erfolgreichen und die, die gerade erst in das Netzwerk aufgenommen werden, fallen raus.

Wobei diese Grenzen diffus sind und es optimalerweise keine Sicherheit gibt. Die radikale Folge wäre, dass die Kunstproduktion erst einmal autonom ist, auch von der Kunst selbst – sofern man zum Kunstmilieu gehört. Dies würde viel Bürokratie und komplizierte Förderstrukturen sparen. Es wäre spannend sich zu überlegen, was mit der Relevanz und Wertzuweisung passieren würde? Hätten wir bald zu viel Kunst? Mehr Kunstabfall? Sollten wir die Größe des Kunstmilieus begrenzen, um einen klaren Kostenrahmen für die Gesellschaft zu definieren? Es ist zumindest anzunehmen, dass die Kunst einen längeren Atem haben würde und der ökonomische Druck nachließe. Unbedingt müssten wir diskutieren, ob der Grad an Vernetzung ›Erfolg‹ im Kunstmilieu definiert, ohne nur einseitig auf den Kunstmarkt, den Kurator*innenmarkt oder abseits davon zu schauen.

Die Digitalisierung kann uns befreien und es wird Zeit, dass die Künstler*innen das Fördersystem in ihrem Sinne reformieren. Hierzu gehört es auch, die Beziehung zwischen Kunst und Geldgeber*innen (die häufig extern sind) zu beleuchten und den zunehmenden Rechtfertigungsdruck zu hinterfragen. Denn durch die schleichende Ökonomisierung der Kunstförderung und den Versuch, Kunst vergleichbar, verfügbar, berechenbar, förderbar zu machen, geht die Berührung durch das unverfügbar Andere der Kunst verloren. Die künstlerische Relevanz oder Resonanzfähigkeit, wie der Soziologe Hartmut Rosa sagen würde, wird weiter abnehmen und damit gerade das reduzieren, was die Gesellschaft in der Kunst zu suchen scheint.

Die Digitalisierung der Kunstförderung könnte den Verlust beschleunigen oder aber einen dauerhaften unverfügbaren, autonomen und kontradiktorischen Kosmos in einer sonst ökonomisch digitalisierten Welt schaffen. Es ist an der Zeit, unterschiedliche Ideen für eine bessere, digitale Kunstförderung zu diskutieren und kulturpolitische Grundlagen zu schaffen, um die Relevanz der Kunst zu stärken.

Autor

Foto: Sebiastian F. Meyer

Herr Clair Bötschi ist Künstler, Autor und Kulturmanager aus Stuttgart. Er forscht an den Verhältnissen und Beziehungen von Kunst zu Wirtschaft. Dabei liegt sein Schwerpunkt auf einer künstlerischen Praxis, die ökonomische Strukturen nutzt, entwickelt oder verfremdet – um damit selbst Kunst zu machen. Er arbeitet unter anderem als Projektleiter für den Kunstverein Wagenhalle und befasst sich mit innovativen digitalen Strategien in der Kunstförderung, Kunstproduktion und Kunstvermittlung.

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