Cross-Innovation, Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Ko-Kreation – eine Einladung zur Vertiefung

Tabea Golgath

14. Februar 2022

Wenn sich eines im Förderprogramm LINK der Stiftung Niedersachsen abgezeichnet hat, dann ist es die wachsende Notwendigkeit von interdisziplinärer Zusammenarbeit. Digitalität lässt tradierte Kultursparten und die Trennung zwischen Fachabteilungen zunehmend verschwimmen. Eine übergreifende Zusammenarbeit in neuen Teams und der Blick über den Tellerrand werden immer wichtiger.

Begonnen haben wir 2018 indem wir jede Kultursparte einzeln in den Fokus genommen und nach aktuellen Projekten und zukünftigen Möglichkeiten der Anwendung von Künstlicher Intelligenz geschaut haben. Als Testballon luden wir gezielt Informatiker*innen und Kulturschaffende mehrerer Sparten aus Hannover ein, die teils konträren Denk- und Arbeitsweisen kennenzulernen und gemeinsam Projektideen zu entwickeln. Die so angestoßenen Prozesse der Entwicklung einer gemeinsamen Sprache, der Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich auf ungewohnte und teils unbequeme Vorgehensweisen einzulassen, legten den Grundstein für die zwei langfristig erfolgreichen künstlerischen Pilotprojekte von Philipp Henkel, Florian Kluger, Farhad Ilaghi Hosseini und Patrick Glandorf, die im Oktober 2021 (pandemiebedingt verspätet) in der Galerie Bohai unter dem Titel »AKUSTISCHE KI – ZWEI HAPPENINGS« in Hannover vorgestellt wurden. Die Ergebnisse hätten nicht fachintern und ohne die interdisziplinären Impulse von außen erreicht werden können.

Innovation durch Kunst und Technologie

Bei der Betrachtung von Kultur-, Forschungseinrichtungen und Unternehmen fällt auf, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen einer großen Mehrheit und einigen wenigen Leuchtturmprojekten wie dem europäischen Knowledge Innovation Center gibt, die ganz im Sinne von Cross-Innovation den Austausch und die interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken. Die Erkenntnisse zum Nutzen dieser Formate sind also nicht neu, nur leider weder in Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur flächendeckend bekannt.

Im Perspektiv-Papier der Bundesregierung Kulturen im digitalen Wandel wird u.a. neben dem Thema Personalentwicklung für möglichst breit aufgestellte Teams auch das Thema Vernetzung durch Plattformen, Verbundstrukturen und Kompetenznetzwerke angesprochen. Das Impulspapier der DFG »Digitaler Wandel in den Wissenschaften« betont ebenfalls die Bedeutung des fachlichen und interdisziplinären Austauschs als »entscheidend für die Bewertung der Entwicklung, die Chancennutzung und die Bewältigung der Herausforderungen

Ähnliche Ziele verfolgt das europäische STARTS-Programm: »S+T+ARTS is a platform that aims to link technology and artistic practice more closely. It is implemented by European policy to promote innovations that also benefit the art world. It supports collaboration between artists, scientists, engineers and researchers to develop more creative, inclusive and sustainable technologies, and focuses on people and projects that help address the social, environmental and economic challenges with which the European continent is confronted.« Seit 2016 wurden so u.a. Künstler*innen-Stipendien in Technologie-Unternehmen und Forschungseinrichtungen finanziert und ein Austausch und eine Kollaboration ermöglicht.

Tradierte Vorgehensweise vs. Künstlerische Experimente

Das Denken und Arbeiten in Netzwerken und Teams ist also keine Modeerscheinung, sondern die erprobte Grundlage kreativen Schaffens, die die Entwicklung von Innovationen fördert. Es gibt eklatante Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichen Lösungsfindungsprozessen im weitesten Sinne einerseits, die auf Wissen und Erfahrung basieren und eine logische Kombination feststehender Zutaten umfassen, und kreativen Schaffensprozessen andererseits, die durch Impulse von Außen angestoßen werden und häufig eine Abwendung oder zumindest eine Neuordnung von bisherigen Vorgehensweisen beinhalten. Künstlerische Forschung beispielsweise versucht alle Elemente des Prozesses zu hinterfragen und neue Lösungswege z.B. durch Experimente herbeizuführen.

In kreativen Branchen und in manchen Start-ups finden wir Beispiele für diese kreativen Schaffensprozesse: Hier werden durch ein ergebnisoffenes, experimentelles Vorgehen agile Strukturen etabliert: Zentral dafür ist ein freier strukturierter Arbeitsprozess, der auf branchenfremde Expert*innen und disziplinenübergreifende Kommunikation zurückgreift und Scheitern erlaubt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die amerikanische Psychologin Alison Gopnik: Sie untersuchte 2016 kreative Lösungsfindungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. In ihrer Testreihe zeigte sich deutlich, dass Kinder eine Vielzahl von kreativen Lösungswegen versuchten, während Erwachsene sich auf pragmatische, einfache Lösungen konzentrierten. Gopnik schlussfolgert, dass wachsendes Vorwissen und sicherlich auch der emotionale Erwartungsdruck, schnell zu einer guten Lösung zu kommen, Erwachsene in ihrer Kreativität massiv einschränkt. Ohne Vorwissen und in einer stressfreien Umgebung könnten auch Erwachsene wieder lernen kreativ zu sein.

Über die eigene Branche hinaus

Jede Branche hat ihre gedanklichen Grundpfeiler. Strukturen, Umstände, Erwartungen, an denen einfach nicht gerüttelt wird. Branchenfremde haben den Vorteil, dass sie in diesem Sinne nicht vorgeprägt sind und scheinbar irrationale Vorschläge äußern können, die zu großartigen Ergebnissen führen können. Ihr Mangel an Fachwissen wird hier ein Bonus: Sie können scheinbar naive Fragen stellen und damit Prozesse kritisch beleuchten.

Ein frischer Blick ohne die berufsbedingten Scheuklappen ist für nahezu alle Aufgabenbereiche wertvoll. Um diese Entwicklungspotentiale auszuschöpfen, muss die Kommunikation mit Akteur*innen benachbarter Sparten und Branchen strukturiert angegangen werden: Es braucht die Bereitschaft, Fragen und Herausforderungen mit branchenfremden Personen zu teilen und dabei die eigene, fachliche Überlegenheit abzulegen. Darüber hinaus müssen Unternehmensvorstände, Kulturträger*innen und Förder*innen Experimente und deren Evaluierung ermöglichen – auch ein Scheitern ist eine produktive Erfahrung und birgt wertvolles Wissen, das systematisch analysiert und festgehalten werden soll. Ähnlich wie in der Natur die Biodiversität ein hohes Gut darstellt, benötigen Teams eine heterogene Zusammensetzung – was nicht bedeutet, dass die Zusammenarbeit immer harmonisch und konfliktfrei abläuft.

Wie lässt sich nun die Dynamik heterogener Teams nutzen?

  1. Durch die Begegnung auf Augenhöhe trotz fachlicher Unterschiede.
  2. Durch die Bereitschaft in die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache und ein Teambuilding zu investieren.
  3. Durch die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen.
  4. Durch die Überzeugung, Spannungen im Team als Chance nutzen zu können.
  5. Indem der gemeinsame Rahmen (mögliche Ziele, Zeitumfang, Form der Zusammenarbeit, …) festgelegt wird.

Kreative Kollaborationen

Eine Vielzahl von Kreativitätstechniken orientiert sich an  künstlerischen Denk- und Arbeitsweisen von Künstler*innen um gezielt Emotionen, scheinbar spontane und willkürliche Impulse sowie Ideen zu fördern. Und es ist kein Zufall, dass diese Techniken immer populärer werden: Das Denken in tradierten Strukturen und die Orientierung an Vorwissen kann den riesigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht werden. Da wir im Kulturbereich ähnlich wie Wissenschaft und Wirtschaft auch abhängig von einer Weiterentwicklung unserer Inhalte, Strukturen, Zielgruppen sind, ist es an der Zeit, unsere Stärken zu kombinieren und einen intensiven und offenen Austausch als Basis für interdisziplinäre Kooperationen zu beginnen.

Die Erforschung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz (in der Kultur) zielt nicht primär auf den Ersatz von menschlichen Künstler*innen durch Technik, sondern fokussiert die Kollaboration als vielfältiges Werkzeug. Es geht um den LINK zwischen Mensch und Maschine, die Verbindung zwischen unterschiedlichen Kultursparten und scheinbar gegensätzlichen Branchen. Das Ziel ist die Bündelung von Netzwerkpotenzialen und dem gemeinsamen Lernen voneinander. Denn: Die Zukunft gehört nicht den Starken oder Mutigen – sondern den Kommunikativen.

Autorin

Foto: Katrin Ribbe

Dr. Tabea Golgath ist Referentin für Museen und Kunst und koordiniert seit 2018 das Förderprogramm LINK – KI und Kultur der Stiftung Niedersachsen. Sie promovierte zu nachhaltigen Vermittlungsmethoden in Geschichtsmuseen und führte seit 2007 kontinuierlich Lehraufträge am Historischen Seminar und dem Zentrum für Lehrerbildung der Leibniz Universität Hannover und am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Basel durch. Sie engagiert sich für die Erschließung von KI-Anwendungen in der Kultur und die zukunfts- und nutzerorientierte Weiterentwicklung von Kultureinrichtungen durch Interdisziplinarität, Agilität und Digitalität.

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