Digitale Nachhaltigkeit geht uns alle etwas an

Tina Lorenz

4. Dezember 2023

Stellen Sie sich vor, Ihre Freundin Margarete will Ihnen ein Bild zeigen, das sie von ihrer Katze gemacht hat. Sie fragt also die klassischen Übertragungswege ab – WhatsApp? Signal? Email? Brieftaube? Stellt sich raus, den einzigen Übertragungsweg, den Margarete und Sie gemeinsam haben, ist das Fax. Verdammt. Während Sie sich also seelisch darauf vorbereiten, eine eher niedrig aufgelöste Katze in schwarz-weiß auf Thermopapier ausgedruckt zu sehen, gehen die nächsten Probleme los. Margaretes Fax kann nur JPGs verarbeiten, Ihr Fax aber nur GIFs empfangen. Sie einigen sich also nach einer halbstündigen Suche eines Weges, wie Sie beide das Bild anschauen können darauf, dass Margarete Ihnen am Telefon erzählt, was die Katze Lustiges gemacht hat – dabei geht die Pointe zugegebenermaßen etwas verloren. Klingt total unrealistisch und zudem noch sehr anstrengend, oder? Dabei ist das der Stand digitaler Kulturprojekte in Deutschland. Was wir am Allerbesten können, ist das Bauen von Silos. Datensilos, Projektsilos, auch unsere Institutionen sind überwiegend noch Silos. Diese Silos aufzubrechen und weitreichend miteinander in Verbindung zu setzen, wird die übergeordnete Aufgabe der Kulturpolitik der nächsten 20 Jahre sein.

Wer über Nachhaltigkeit in Bezug auf Digitalität nachdenkt, kommt unweigerlich bei den harten Fakten raus – wieviel kostet der Strom, mit dem die Rechenzentren betrieben sind, in dem generative KI trainiert wird? Wer baut eigentlich auf wessen Kosten endliche Rohstoffe ab, damit wir von Laptop bis E-Auto überhaupt über digitale Transformation nachdenken können? Eine umfangreiche Aufarbeitung und Transparenzmachung der tatsächlichen globalen Kosten fehlt überwiegend und der Kulturpolitik fehlt auch eine fundierte Reflektion dieser harten Fakten jenseits von einem gewissen Unwohlsein beim Nachdenken über Digitalität.

Weg von den Silos: Die Dimension der Nachnutzbarkeit als Faktor digitaler Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit hat aber noch einen weiteren Faktor – einen, der sehr viel näher an uns dran ist und bei dem wir uns ausschließlich an die eigene Nase fassen müssen. Ein digitales Projekt, das nicht nachnutzbar ist, das nicht modular auf andere Kontexte und Institutionen anpassbar ist, das mit proprietärer Software entstanden und nicht auf GitHub unter einer Open Source Lizenz allen zur Verfügung steht, das undokumentiert oder nur für einen seltsamen Einzelfall erschaffen wurde, ist ein Silo, das im Gefüge einer nachhaltigen digitalen Transformation keinen Einfluss haben wird. Diese Projekte sind allenfalls Fingerübungen für Ihre Institution, zum Akklimatisieren der Belegschaft, zum Überprüfen, ob Ihre Infrastruktur solcherlei Projekten bereits standhält, zum Vorbereiten; sie sind Einbahnstraßen ins Nirgendwo auf der digitalen Kulturautobahn.

Wir sind Weltmeister*innen darin, das Rad neu zu erfinden. Immer wieder. Weil Originalität im Kulturbereich oft noch die Reputationswährung ist, mit der wir uns auf weitere Stellen und den nächsten Karriereschritt empfehlen. Weil Originalität auch oft noch von Trägerseite gefordert wird: Schauen Sie mal in das enttäuschte Gesicht Ihres kommunalen Kulturausschusses, wenn Sie denen erzählen, dass sie die Projektidee nicht erfunden, sondern nur für Ihre Institution sinnvoll angepasst haben. Und dabei ist Originalität nicht nachhaltig. Wie die nichtkommunizierenden Faxgeräte im Eingangsbeispiel ist die App für Ausstellung XY eben genau das. Ein Digitalprodukt, das sich nicht mit anderen verbinden lässt, das nicht adaptierbar ist und nicht nachnutzbar. Ein Produkt, das nach Ausstellungsende in der Mottenkiste von Einmalprojekten verschwinden wird, ohne Spuren bei Ihnen und Ihrem Publikum hinterlassen zu haben.

Public Money, Public Institution, Public Code

Dabei haben wir als öffentlich geförderte Kulturinstitutionen eine entscheidende Verantwortung, die auch unsere allergrößte Chance ist. Sie lautet »Public Money, Public Code«, also, dass mit öffentlichem Geld auch öffentliche Software entstehen soll. Open Source, Open Access, Open Data sind die drei Grundsätze der Öffentlichkeit bei digitalen Kulturprojekten und wir sollten uns alle diesen Pfeilern des digitalen Gemeinwohls verpflichten. Open Source bezieht sich dabei auf die Offenlegung des Quellcodes und die damit verbundene Möglichkeit, Teile oder alles für eigene Projekte nachnutzen zu können. Und zwar frei und letztlich unkontrolliert. Andere profitieren von Ihren Ideen. Und das ist so angelegt und gut so. Das ist digitales Gemeinwohl. Die einmalige Investition in ein nachnutzbares und gut dokumentiertes Projekt ist ein »pay it forward« Modell für Einrichtungen, die sich vielleicht die Anpassung, nicht jedoch die Neuentwicklung leisten können – denn das nächste Mal finden Sie vielleicht auf GitHub das Framework eines Projektes, das perfekt zu Ihrer nächsten Ausstellung passt. Die Realität sieht derzeit leider anders aus. Es entstehen single-use Apps für einmalige Ausstellungen, und jede einzelne mittelgroße deutsche Kleinstadt, die mal das Pech hatte, in ihrer Stadtgeschichte von den Römern heimgesucht worden zu sein baut grade eine eigene Softwarelösung für ihre Stadtmuseen und Schulklassen; Wissen und Gelerntes über Digitalprojekte wird höchstens in »guck mal was wir können!« Best-Practice-Beispielen auf Konferenzen weitergegeben; Vernetzung findet anekdotisch im Mittelbau der Institutionen statt; auf infrastruktureller Ebene hadert währenddessen die Chefetage immer noch damit, ob man jetzt WIRKLICH Internet flächendeckend und ohne Zugangsbeschränkungen haben MUSS und ob es nicht das Faxgerät im Vorzimmer vielleicht auch tut.

Eine vorausschauende Kulturpolitik muss hier langfristige Entwicklungen in die richtigen Bahnen lenken und von jedem einzelnen Kulturbetrieb eine langfristige Digitalstrategie abfordern, die über Einzelprojekte hinausgeht und darlegt, welche Leerstellen und Desiderate sich in der Institution und in der eigenen Branche ergeben und wie man diese gedenkt zu füllen. Wie dann dieses Ausfüllen der digitalen Transformation vonstattengeht ist ebenfalls lenkbar und hier brauchen wir in den Betrieben Hilfe, denn unser Blick reicht in der Regel nur bis vor die eigene Tür. Eine Stelle, die von oben draufguckt und die die kluge Vernetzung einfordert und gestaltet, und die Nachnutzbarkeit und Dokumentation zur Grundlage einer Förderung macht, kann hier maßgeblich etwas beitragen. Die Kulturpolitik kann uns hier Leitplanken an die Hand geben und eine Struktur bauen, in der echte, nachhaltig wirkende Vernetzung möglich wird, in der gemeinwohlorientierte Digitalprojekte im Kulturbereich entstehen können, auf denen wir dann gemeinschaftlich aufbauen können. Weg von den Silos. Hin zu einem lebendigen, vernetzten Ökosystem digitaler Kultur, das auf freiem Austausch beruht.


Autorin

Tina Lorenz wurde um die Jahrtausendwende im Chaos Computer Club erwachsen, studierte dann aber Theaterwissenschaft und Amerikanische Literaturgeschichte in Wien und München. Sie war Dozentin für Theatergeschichte an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern, später Dramaturgin am Landestheater Oberpfalz und Referentin für digitale Kommunikation am Staatstheater Nürnberg. Von 2020-2023 baute sie die Sparte Digitaltheater am Staatstheater Augsburg auf, die sie mit grossem Erfolg leitete. Sie ist Gründungsmitglied der Hackspaces metalab Vienna und Binary Kitchen Regensburg.

Ab Januar 2024 wird Tina Lorenz die Abteilung Forschung & Produktion am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe leiten.

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