Age Matters!

Almuth Fricke, Miriam Heller

30. Juni 2021

Alter als Dimension kultureller Diversität

»War schön. Kann weg« lautet der sprechende Titel eines Online-Symposiums über das Alter(n) in der darstellenden Kunst, das auf Einladung des Künstlerduos Angie Hiesl + Roland Kaiser und mit Unterstützung des Förderfonds Kultur & Alter des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kunststiftung NRW im Februar 2021 stattfand. Es widmete sich der Frage, welche Herausforderungen sich älteren Künstler*innen in Bezug auf ihre Weiterentwicklung, Wirkung, Wahrnehmung, Förderung und Absicherung stellen. Die Diversitätsdimension Alter ist nicht nur für Kulturschaffende von existenzieller Bedeutung, sondern betrifft darüber hinaus die Kultureinrichtungen, ihre Angebote und deren Vermittlung.

Alter als diskriminierende Diversitätsdimension

Unter den Diversitätsdimensionen wird das Alter nicht nur im kulturpolitischen Diskurs häufig marginalisiert und fällt leicht hinten rüber. Woran mag das liegen?

Zum einen spielt hier die Sozialfigur des sich seiner Privilegien noch nicht einmal bewussten alten weißen Mannes eine Rolle, der zur machtkritischen Selbstreflektion seiner Stellung im Kulturbetrieb einigermaßen unwillig erscheint. Ihm wurde unlängst die der privilegierten »alten weißen Frau« zur Seite gestellt, die bislang weit weniger mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Schweift der Blick aber über das Publikum, so scheint es, als ob die beiden, gern in Paarkonstellationen, die Kulturräume so bevorzugt bevölkern, dass sich mit gutem Recht die Frage stellt, wo viele Kultureinrichtungen ohne sie wären.

Zweitens betrifft das Alter alle Menschen – sofern sie nicht jung sterben. Alter ist keine konstante Identitätszuschreibung. Zudem erleiden auch jüngere Menschen Altersdiskriminierungen. Als diskriminierend erfahrene altersidentitäre Anrufungen häufen sich jedoch mit zunehmendem Alter, so dass auch diejenigen, die ihr Leben lang kaum unter Diskriminierungserfahrungen zu leiden hatten, im höheren Alter eine recht hohe Chance haben, diese Erfahrung zu machen.

Drittens sind Konstruktionen subjektiver Altersidentität im höheren Alter häufig fragil: Alt sind sehr oft die Anderen. Differenzierte Altersbilder sind rar, so dass die Identifikation mit diskursiven Altersidentitätsentwürfen von vielen in kalendarischer Hinsicht älteren Menschen verweigert wird oder ihnen zumindest schwerfällt.

Vereinfachende Altersstereotypisierungen verdecken zudem die komplexen intersektionalen Verschränkungen von Diversitätsdimensionen, welche die Zugangsbarrieren vieler älterer Menschen zu kulturellen Angeboten und kultureller Bildung eklatant erhöhen und ihr allgemeines Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe bedrohen. Auch für Ältere gilt: Verschiedene Ausschlüsse wirken zusammen und potenzieren sich mit zunehmendem Alter.

Prekäres Alter

Fitte, aktive, selbst versorgende Rentner*innen haben lange das Bild des Alters hierzulande dominiert und die Altersarmut unsichtbar gehalten. Studien zeigen, dass Altersarmut vor allem Frauen betrifft: Ein Grund dafür ist, dass Frauen der Jahrgänge zwischen 1930 und 1955 deutlich geringere Bildungschancen hatten. Späte kulturelle Bildungsmöglichkeiten zum Beispiel in Museen, aber auch in der Musik oder im Theaterspiel decken gerade für viele ältere Frauen ein Defizit, das sie in ihrer Generation schmerzlich seit ihrer (häufig viel zu kurzen) Schulzeit empfinden (Gajek 2021).

Eingeschränktes Alter

Mit fortschreitendem Alter steigt das Risiko für körperliche und kognitive Einschränkungen: Laut Statistischem Bundesamt (2020) sind über zwei Drittel der Menschen mit Behinderung Menschen über 55 Jahre. Allerdings verschieben sich dank des medizinischen Fortschritts die Altersgrenzen, an denen Mobilität und Kognition nachlassen, statistisch immer weiter nach hinten.

Für die Kulturpolitik bedeutet dies, Maßnahmen von baulicher, sinnlicher und kognitiver Barrierefreiheit, zu der sie laut UN-Behindertenkonvention schon seit 2009 verpflichtet ist, ernst zu nehmen und zu fördern. Im Feld der Vermittlungsangebote für die wachsende Anzahl von Menschen mit Demenz gibt es heute schon erfreulich viele und gute Angebote in zahlreichen Museen, aber auch im Bereich der Musik und des Theaters.

Besonders der ländliche Raum altert überproportional und ist aufgrund seiner strukturellen Defizite stark von den demografischen Veränderungen betroffen. Gerade hier bedarf es innovativer Strategien, partizipativer Projekte, Hol- und Bringangebote und künstlerisch gestaltete Dritte Orte, um älteren Menschen Teilhabe, auch an Kunst und Kultur, zu ermöglichen.

Buntes Alter

In Deutschland leben rund 18,5 Mio. Menschen mit Migrationsgeschichte. Mehr als 1,8 Millionen sind über 65 Jahre alt. Sie haben häufig weniger Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge, aber auch zu kultureller Bildung und Kultureinrichtungen. Wie ihre Bildungs- und Teilhabeansprüche wahrgenommen werden können, zeigt beispielsweise das Historische Museum Frankfurt im künstlerischen Erinnerungsprojekt »Bibliothek der Generationen«.

Homosexualität und Sexualität im Alter sind ein doppeltes Tabu: Trotzdem gibt es immer mehr ältere Menschen, die offen ihre sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und Biografien leben. Hier gehen beispielsweise Theater in Schottland voran, die die ältere LGBTIQ*-Community zu »Coming Back Out Balls« einladen.

Differenziertes Altersbild

Differenzierte und vielfältige Bilder vom Alter wirken Diskriminierung entgegen und unterstützen das Miteinander der Generationen. Es ist die Aufgabe von Kulturpolitik, diese Vielfalt sichtbar zu machen und das Recht auf kulturelle Teilhabe im Alter zu gewährleisten. Seit 2008 macht sich das Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung im Alter und Inklusion (kubia) als landesgeförderte Fachstelle in NRW dies zur Aufgabe. Mit Forschung, Information, Beratung und Weiterbildung rückt es die Diversitätsdimension Alter in ihren intersektionalen Verschränkungen ins kulturpolitische Bewusstsein.

Dieser Text erschien bereits in der Ausgabe Diversity Matters (173) der Kulturpolitischen Mitteilungen.



Autorinnen

(c) Ralf Bauer
(c) Ralf Bauer

Almuth Fricke, M.A., Literaturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, leitet seit 2008 das Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion (kubia) am Institut für Bildung und Kultur in Köln.















Dr.in Miriam Haller, kulturwissenschaftliche Alterns- und Bildungswissenschaftlerin, leitet den Bereich Forschung am Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion (kubia) in Köln.