Hol den Vorschlaghammer Konflikt hervor!
Sie haben ›uns‹ ein Denkmal gebaut
Und jede*r Vollidiot*in weiß, dass das die Liebe den Frieden versaut
Ich werd‘ die schlechtesten Sprayer*innen dieser Stadt engagier’n
Die soll’n nachts noch die Trümmer Statue mit Parolen beschmier’n
Denkmal, Wir Sind Helden, 2003
Denk_mal, Friederike Landau, 2020
Kunst schreibt, drückt, schmiert, hämmert sich in den Stadtraum ein – flüchtig durch Graffiti, Sticker, Mini-Installationen, mit Papier, Kleber und abwaschbarer Farbe. Aber Kunst im öffentlichen Raum nimmt auch scheinbar unverrückbare Formen an – als Denkmäler aus soliden Materialien wie Stein, Marmor, Bronze – zur Erinnerung großer Ereignisse oder Persönlichkeiten, die ›die‹ Geschichte geprägt haben.
Im komplexen Zusammenspiel von globaler COVID19-Pandemie, Bemühungen zur Dekolonialisierung von Denken und städtischen Räumen sowie internationalen Black Lives Matter(BLM)-Protesten erstarkten jüngst Diskussionen über die umstrittene Präsenz von Denkmälern in öffentlichen Räumen. Konflikte im, um und über öffentlichen Raum werfen Fragen auf: Gehört öffentlicher Raum wirklich allen, wer verwaltet ihn nach welchem zugrundeliegenden Zeit- und Geschichtsverständnis? An welche und wessen Geschichte(n) erinnern Denkmäler? Für was/wen, gegen was/wen erinnern sie? Welche Begegnungen und Gespräche ermöglichen konfliktbehaftete Denkmäler über Vergangenheiten und Zukünfte diverser Stadtgesellschaften? Wie könnten sich öffentliche Räume anfühlen, wenn Markierungen vergangenen Leids anders oder gar nicht länger dort wären? Kurz, wessen Denkmäler und Erinnerung haben im öffentlichen Raum Platz, wessen nicht?
Während Denkmäler problematischer historischer Figuren oder Ereignisse bereits eine längere Geschichte von – mehr oder weniger geplantem – Abbau haben, wie beispielsweise der Sturz einer Statue des Kolonialherren Rhodes in Capetown (»Rhodes must Fall«) oder einer Saddam-Hussein-Statue in Bagdad (2016), spitzen sich auch in Deutschland Debatten über brisante Statuen im öffentlichen Raum zu. In München soll ein kleines Bismarck-Denkmal entfernt werden (oder nach Meinung mancher bleiben), in Hamburg eine monumentale Bismarck-Statue aufwändig saniert werden; der Wunsch nach einem »Polen-Denkmal« und Dokumentationszentrum für polnische Opfer des Nazi-Regimes in Berlin besteht schon länger; die Debatte um das »Freiheits- und Einheitsdenkmal« vor dem Berliner Stadtschloss: All das verdeutlicht die Bandbreite der Konflikte.
Im Folgenden erkunde ich, inwiefern der öffentliche Raum als Bühne für Bedeutungskämpfe über umstrittene Erinnerungskultur in Erscheinung tritt. Im Laufe der Corona-Pandemie wurde nicht nur der physische Zugang zu öffentlichen Räumen wie Parks, Grünflächen etc. durch Abstands- und Ausgehregeln stärker reglementiert als gewohnt, vielleicht gewinnt in pandemischen Zeiten auch die Bedeutung des öffentlichen Raums als Plattform für öffentliche Auseinandersetzung und Erinnerung an Bedeutung.
Doch auch vor und über den pandemischen Kontext hinaus materialisieren aktivistische Mobilisierungen, sowohl zur Entfernung als auch Neuaufstellung von Denkmälern, das Spannungsverhältnis diverser Öffentlichkeiten, Erinnerungskulturen und der (Re)Präsentation komplizierter Geschichte. Beispielsweise wurde wenige Tage nach dem Mord des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen Polizisten die Statue des britischen Händlers Edward Colston von lokalen Aktivist*innen in Bristol in den örtlichen Hafen gestürzt. Hier verwebt sich der lokalpolitische Unmut über die Erinnerung an Kolonialhandel und Versklavung mit dem globalen BLM-Kampf gegen Diskriminierung und Gewalt an schwarzen Personen.
Kontrapunkte zum Abriss von Denkmälern, die Kolonialgeschichte(n) Raum geben, bilden Initiativen wie das ›Black Monuments Project‹, das sich für die Neuerrichtung von Denkmälern für wichtige schwarze Persönlichkeiten aus Kultur und Politik in allen US-Bundesstaaten einsetzt. Weiterhin kartographieren zivilgesellschaftliche Projekte entfernte Denkmäler mit rassistischen und/oder kolonialem Erbe.
Diese Ansätze reflektieren die vielfältigen Möglichkeiten zur Kurskorrektur in Denkmal-Konflikten. Obwohl es überzeugende Argumente für deren Entfernung geben mag (z.B. Retraumatisierung von Menschen, die Teil dieser Gewalterfahrungen waren), läuft der Totalabbau auch Gefahr, Spuren problematischer Vergangenheit komplett auszulöschen. So würden Räume für zukünftige Generationen, aus Geschichte(n) zu lernen, verschlossen, unsichtbar und nicht direkt erlebbar. Folglich muss die materielle, performative und diskursive (In)Stabilität von Denkmälern neu verhandelt werden, um für diversere Erinnerungskulturen Platz zu schaffen.
Historiker Fred Anderson sprach kürzlich bezüglich neuer Erinnerungskulturen von der Möglichkeit, Denkmäler durch »Kontextualisierung und auch künstlerische Entfremdung oder Ergänzung…in ein neues Licht« zu rücken, um »entgegen der Intention ihrer Erbauer (sic) – der historischen Aufarbeitung (zu) dienen.«
Ergeben sich durch Rekontextualisierung neue Erinnerungsformen und -räume für vielfältige, postmigrantische Gesellschaften? Obwohl erklärende Tafeln problematische Ereignisse und Persönlichkeiten vielleicht kontextualisieren, erweisen sich nicht auch diese im schlimmsten Fall als steril, belehrend, eindimensional? Künstlerische Strategien könnten einen produktiven Ansatz zur (Neu)Verhandlung von Bedeutungskonflikten zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Herrschaft und Unterdrückung bieten, um das vorherrschende Primat des Visuellen von Denkmälern zu überwinden.
Rekontextualisierte Denkmäler könnten andere sinnliche Zugänge zur Erinnerung schaffen –Gerüche beispielsweise rufen lebhaft lang zurückliegende Erinnerungen hervor. Oder wie könnten Denkmäler klingen? Kulturgeografin Burke (2006) spricht von ›gegenhegemonialen‹ Denkmälern, die zum Nachdenken über ihre eigene Materialität, historische Unvollkommenheit und Widersprüche einladen. Kurz, gegenhegemoniale Denkmäler könnten Regime von (Un)Sichtbarkeit verunsichern und somit Bedeutungskonflikte offen- und aushalten, anstatt eine pseudo-abgeschlossene Geschichte zu präsentieren.
Friedensstatue – Wessen Erinnerung, wessen Frieden?
Der jüngste Konflikt um die Friedensstatue, die Ende September in Berlin-Moabit vom Korea-Verband e.V. mit Erlaubnis des Bezirksamtes aufgestellt wurde, verdeutlicht den Streit um Platz für Erinnerungskulturen. Die solide Bronze-Statue soll an sexualisierte Gewalt und Zwangsprostitution von über 200.000 Frauen und Mädchen, vom japanischen Militär als ›Trostfrauen‹ verharmlost, aus über 14 Ländern während des Asien-Pazifik-Krieges (1931-1945) erinnern.
Wenige Tage nach Einweihung der Statue eines japanischen Mädchens, neben der sich ein leerer Stuhl befindet, entzog Bezirksbürgermeister von Dassel die Genehmigung für das Denkmal und begründete, dass die Skulptur die politischen Beziehungen zu Japan gefährde. Die japanische Botschaft hatte offensichtlich Druck ausgeübt, die Statue umgehend abzubauen. In dem inter-asiatischen Erinnerungskonflikt solle ein Berliner Bezirk mit über 150 ansässigen Nationalitäten nicht Stellung beziehen.
Doch sowohl Abbau als auch Verbleib der Statue wären Ausdruck einer politischen Position, wie die 200 bis 300 Demonstrant*innen lautstark verdeutlichten; Berlin wurde (ungewollt?) zur Bühne der komplizierten Verflechtung zwischen einem regionalspezifischen Konflikt, der sichtlich noch nicht abgeschlossen ist, und dem globalen Kampf gegen (Neo-)Kolonialismus und Unterdrückung ethnischer Minderheiten sowie der Möglichkeit, ein internationales Signal gegen sexuelle Gewalt zu setzen.
Es bleibt umstritten, wessen Frieden durch die An- oder Abwesenheit des Denkmals wirklich gefährdet ist. Wie würde sich der Konflikt verlagern, wenn man den leeren Stuhl neben der jungen Japanerin als einen durch das Denkmal entstandenen Raum verstände, der neue Möglichkeiten für die Verhandlung des Erinnerungskonflikts bietet? Vielleicht braucht es genau diesen Platz der Leere, diese Leerstelle, damit ein Denk_Mal Raum für Frieden schaffen kann, der kompliziert bleiben wird, in Berlin und anderswo.
Dieser Beitrag ist bereits in der Ausgabe 171 der Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen. Sie kann hier erworben werden.
Autorin
Dr. Friederike Landau ist politische Theoretikerin und Stadtsoziologin. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Assistenzprofessorin für Kulturgeografie an der Radboud Universiteit, Nijmegen, in den Niederlanden. Sie studierte Verwaltungswissenschaften und politische Theorie in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Kanada. Ihre Forschungsinteressen bewegen sich an Schnittstellen zwischen politischer und räumlicher Theorie, beispielsweise städtische Kulturpolitik, künstlerischer Aktivismus, umstrittenen öffentlichen Räumen wie Museen und Denkmälern.
Jüngst gab sie mit Dr. Lucas Pohl und Prof. Dr. Nikolai Roskamm den Sammelband [Un]Grounding – Post-Foundational Geographies heraus. Zudem schreibt Friederike Gedichte als #PoeticAcademic.