Transition: Etablierung einer nachhaltigen Transformationskultur durch Kollaboration

14. März 2022

Die Krisen der Gegenwart haben die strukturellen und inhaltlichen Defizite des Kultursektors bei der Bearbeitung der großen Transformationsbewegungen schonungslos offengelegt. Es wird immer spürbarer, dass Kulturinstitutionen zwar über ein enormes gesellschaftliches Innovationspotenzial verfügen, dieses aber kaum genutzt wird, da sich ihre Strukturen als erstaunlich wenig anpassungsfähig an komplexe gesellschaftliche Veränderungen erweisen. Kultureinrichtungen scheinen häufig willens, aber schlicht nicht fähig, in angemessener Form und Geschwindigkeit auf Herausforderungen zu reagieren, geschweige denn selbst zu Treiberinnen für Innovationen zu werden, um zukunftsfähig wie anschlussfähig zu bleiben.

Mit Blick auf den Diskurs der #neueRelevanz müssen wir uns als Kulturbetriebe fragen lassen, warum Künstler*innen durch die Mittel der künstlerischen Praxis permanent laborhaft agieren und die Suche nach Neuem ihr Handeln bestimmt, wohingegen der kulturelle Überbau – die Verwaltung und Ermöglichung der kreativen Arbeit – in Strukturen beharrt und nicht in der Lage ist, diese wertvolle Ressource für sich zu nutzen.

Die mutige und entschlossene Erneuerung interner Strukturen hin zu kollaborativen und ko-produzierenden Organisations- und Arbeitsformen ist aus unserer Sicht die notwendige Voraussetzung, Potenziale auf allen Seiten zu aktivieren und einen relevanten gesellschaftlichen Beitrag zu einer ernst gemeinten Kultur der Nachhaltigkeit und einem starken öffentlichen Gemeinwesen zu leisten.

Insbesondere eine kommunale Kulturverwaltung wie das Kulturforum Witten AöR verfügt in der Fläche über ein besonderes Potenzial: Sie ist Trägerin von öffentlichen Kultureinrichtungen wie dem Märkischen Museum, dem Stadtarchiv, der Bibliothek und der Musikschule, zugleich Organisatorin von multiplen Schnittstellenposition zwischen Kulturschaffenden, regionalen Institutionen und stadtgesellschaftlichen und -politischen Akteur*innen – gebündelt in der Funktion eines Kulturbüros – und Betreiberin der vielfältig bespielten Veranstaltungsstätten Saalbau und Haus Witten, die zunehmend für bürgerschaftliche Initiativen und lokale Künstler*innen geöffnet werden. An vielen Stellen gleichzeitig können hier Ökosysteme vitalisiert werden, die gesellschaftliche Innovation hervorbringen und damit flächendeckend einen Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit, Digitalität und Diversität leisten.

An dieser Stelle möchten wir eine Zwischenbilanz insbesondere der Arbeitsfelder Nachhaltigkeit und Digitalität, der »Twin Transition«[1], die seit gut einem Jahr innerhalb unseres Betriebs als Querschnittsaufgaben bearbeitet werden, ziehen. Welchen Beitrag zum allgemeinen Diskurs der Relevanz von Kultureinrichtungen können wir anbieten?

Das »Wittener Modell«: Über Möglichkeitsräume gemeinsam Zukunftsfähigkeit (er)lernen

In Witten erproben wir seit 2019 wie Kollaboration als Organisationsform uns dabei helfen kann, innovationsfördernde Strukturen zu etablieren. Angelehnt an Mark Terkessidis’ Verständnis verstehen wir Kollaboration als eine breite Anschlussfähigkeit hinsichtlich einer sich permanent ändernden Umwelt.[2] Diese Anschlussfähigkeit gilt es als eigenständige Routine zu internalisieren. Als Handlungslogik ermöglicht Kollaboration neue Akteurskonstellationen und die Erschließung neuer Wissensbestände. Im Gegensatz zur Kooperation, die weiterhin auf Basis bestehender Routinen und Rollen funktioniert, können so völlig neue Handlungskontexte und Produktionslogiken entstehen. Sie befähigen uns, mit Blick auf Pluralität und Komplexität der VUKA-Welt[3] agil und responsiv gesellschaftliche Herausforderungen und Problemlagen zu adressieren und als transformative Kraft aktiv eine gemeinwohlorientierte Gesellschaft mitzugestalten.

Zukunftsfähigkeit evoziert den Gedanken »von vorne« zu denken. Weg von bestehenden Systemlogiken und Pfadabhängigkeiten hin zu Potenzialen und Möglichkeitsräumen. Die Kulturwissenschaftlerin und Nachhaltigkeitsforscherin Hildegard Kurt bezeichnet das als die Fähigkeit »von vorne auf das Jetzt zu blicken« und damit wieder zu lernen, die Zukunft zu gestalten.[4] Dies erfordert allerdings einen »system reset« und wir als Kulturorganisationen müssen uns fragen, wie wir mit Blick auf die beschriebenen Herausforderungen unser System Kultur von der Zukunft her im Jetzt gestalten wollen und welchen aktiven Beitrag wir für die Gesellschaft leisten. Gerade weil Kultur ihre Kraft insbesondere vor Ort entfaltet, wird die große Frage insbesondere kommunal geprägter Strukturen sein, wie wir die Kulturakteur*innen in der Fläche befähigen von der Zukunft her zu denken und sowohl ihre Arbeit als auch ihre Organisationen dahingehend auszurichten.

Veränderung im organisationalen Handeln am Beispiel des Kultursommers

Kollaborative Arbeitskontexte ermöglichen dabei den Mitarbeiter*innen im Betrieb projektbasiert abseits der bestehenden Routinen, Hierarchien und Pfadabhängigkeiten ihre Expertisen und Leidenschaften in offenen Denkprozessen einzubringen und so neue Herangehensweisen und Denkmuster zu erproben. Diese experimentellen Suchbewegungen im Sinne eines Open-Innovation-Ansatzes erlauben Innovation im Kleinen. Entscheidende Gelingensbedingung ist hierbei die Etablierung ambidextrischer Beibootstrukturen[5]. Konkrete Erfahrungen konnten wir im Frühjahr und Sommer 2021 sammeln. Mithilfe einer szenografischen Intervention auf dem Saalbau-Vorplatz (»Saalbau_Neubau«) haben wir einen Ort geschaffen, der so vieles gleichzeitig sein konnte: Verweilort, Multifunktionsspielfläche und Plattform für Bürger*innen, die als Mitdenkende, Experimentierende und Beratende ernst genommen wurden. Der Saalbau wurde so mit beschränkten Mitteln temporär zu einem Gemeinschaftsort – ganz im Sinne der »urban commons« – der nun die langfristige und nachhaltige Transformation des Ortes erst möglich machte.

Im Verlauf des Kultursommers entstanden Pop-up-Ausstellungen in offenen Containern mit Schulklassen, Präsentationen des Stadtarchivs und des Kulturbüros bis hin zu Workshops mit Kindern und Jugendlichen, Urbane Produktionen, theaterpädaogische Formate und Tangotanz. In nur vier Wochen wurde mit dem Kultursommer Witten von und mit rund 150 Akteur*innen ein Open-Air-Festival geplant und umgesetzt, dass Bewohner*innen eine analoge Form der Teilhabe ermöglichte und gleichzeitig Künstler*innen endlich die Möglichkeit gab, ihre Leidenschaft wieder analog zu präsentieren.

Im Sommer 2021 konnten wir (endlich) Geschwindigkeit aufnehmen und zugleich der Selbstbehauptung Taten folgen lassen. Diese nun für alle sichtbaren Ergebnisse – im Sinne eines Prototypings – sind für uns das entscheidende Argument, die Kultur (und mit ihr das künstlerische Denken, die künstlerische Methode) als wichtige Nachhaltigkeitsdimension ernst zu nehmen. Als konkrete Maßnahme, die aus dem Team heraus entwickelt wurde, diente das Labor »Kultursommer« und die damit verbundene Öffnung, den Vorplatz als Ort inklusiver zu denken – nicht zuletzt unter dem Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit – und half dabei, uns vom konkreten Beispiel aus von außen nach »innen« vorzuarbeiten.

Möglichkeitsraum 1: Digitallabor als Ort der Verhandlung von Digitalität

Möglich geworden durch eine beträchtliche Anschubfinanzierung zweier Förderungen (Beisheim Stiftung[6] und Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen) entstand im Herbst 2021 im Innern des Saalbaus ein Digitallabor mit integriertem Content-Studio. Die zunächst dringend benötigten technischen Anschaffungen wurden von vornherein nach nachhaltigen Kriterien modular geplant und beschafft und stehen künftig zur selbständigen Nutzung und möglichst betreuungsarm den Mitarbeitenden ebenso wie Ko-Produzierenden (der Stadtgesellschaft, der freien Szene etc.) zur Verfügung. Flankiert wird die Einrichtung von einem umfangreichen Capacity Building für alle Beteiligten, gesteuert und moderiert durch die Personalstelle für Digitale Transformation.

Das Digitallabor ist konkreter Ort des Lernens und Produzierens sowie zugleich Möglichkeitsraum – konzipiert als modular nutzbares Studio für Kulturakteur*innen in Zeiten der Digitalität. Ob für Kunst-Podcasts, den nächsten Livestream bei Twitch oder ein VR-Projekt im Stadtraum: mit Methoden der Kollaboration und Ko-Produktion entsteht hier erste neue Formatierungen für die Region und ihre Communities.

Unsere Mission trägt: Derzeit planen und entwickeln wir, möglich geworden durch das Förderprojekt »dive in« der Kulturstiftung des Bundes, unsere erste Spielzeit der zukünftigen Digitalen Sparte des Saalbaus. »Der Raum zwischen 0 und 1« lautet ihr Arbeitstitel und er ist sprechend: Kleinere und größere Hybridformate, die die Möglichkeiten und Visionen des Digitalen mit dem Potenzial des analogen Ortes unter künstlerischen Vorzeiten zusammenbringen, werden Wirklichkeit. Die Anpassungsfähigkeit an ihr Publikum und die permanente Wandlungsfähigkeit ist ihnen durch die Wahl der künstlerischen Mittel, den digitalen Medien, immanent.

Relevante Indikatoren für die Wirksamkeitsmessung des Digitallabors:

  • Investive Förderungen WLAN-Infrastruktur und digitale Ertüchtigung / Inklusion
  • Initiale Projektförderungen für stationäres und mobiles technisches Equipment Digitallabor und digitale Programmierung
  • Ergänzende Projektförderung für einführendes Capacity Building (10 Workshops für ca. 50 feste und freie Mitarbeitende) als Prototyp für ein fortlaufendes Learning & Development Programm
  • nachhaltige Qualifizierung von technischem Personal sowie Einrichtung und Besetzung einer neuen Ausbildungsstelle IT Systemadministrator (gemeinsam mit Stadt Witten)
  • Prototyping von 4 hybriden Formaten mit dem Ziel der Realisierung von insgesamt 32 einzelnen Veranstaltungen und Entwicklung von ca. 10 ko-produzierten Projekten
  • Inbetriebnahme eines »Studio to go« zur Nutzung durch die einzelnen Institute für Zwecke der kulturellen/digitalen Bildung
  • Betriebskonzept für die interne Nutzung und perspektivisch Öffnung für kollaborative Projekte und (teil-)kommerzielle Nutzung in Ergänzung zum Vermietgeschäft.

Möglichkeitsraum 2: Saalbau als Ort der sozial-ökologischen Transformation

Die sozial-ökologische Nachhaltigkeit braucht hingegen ein anderes Narrativ als die allgegenwärtige Projektlogik, die auch vor der digitalen Programmatik nicht Halt macht. Hier muss es gleichermaßen um eine strukturelle Verankerungung von Wissen und Prozessen in allen Instituten des Kulturforums gehen. Das Ziel muss sein, nachhaltiges Handeln in allen Instituten zum »neuen Normal« werden zu lassen und unsere internen wie externen Innovationspotenziale zu aktivieren.

Der beschriebene kollaborative Ansatz erlaubt genau das – den Aufbau resilienter Strukturen, die stabil, aber nicht statisch sind und es so allen Mitarbeiter*innen erlauben in ihrem eigenen Entscheidungsspielraum ökologisch nachhaltig zu agieren. Ganz im Sinne der Transformation muss die Umstellung auf einen ökologischen Betrieb als fundamentaler und vor allem dauerhafter Wandel verstanden werden und nicht als ein Projekt, dass für die nächsten ein bis fünf Jahre auf der Agenda steht und dann wieder verschwindet.

Rekurrierend auf das bereits erlernte Handlungswissen durch die digitale Transformation, die sich schon jetzt von Experiment und Protoyping in eine Phase der Verstetigung verschiebt, gehen wir auch die Querschnittsaufgabe Nachhaltigkeit kollaborativ an und wollen methodisch von den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre profitieren.

Für die Umsetzung eines solchen Vorhabens braucht es einen gleichzeitig strukturierten sowie iterativen Prozess, der die gegebenen finanziellen und personellen Ressourcen berücksichtigt und gesamtheitlich rahmt.

Innerhalb dieses fortlaufenden strategischen Prozesses haben wir uns daher mit Blick auf eine breite Anschlussfähigkeit schon frühzeitig dazu entschieden, das Kulturforum nach der »obersten« Rahmung der Sustainable Development Goals (SDGs) der UN Charta 2030 auszurichten. Die Nachhaltigkeitsziele »hochwertige Bildung« (UN SDG 4), »nachhaltige Städte und Gemeinden« (UN SDG 11) und »Maßnahmen zum Klimaschutz« (UN DSG 13) bieten aus unserer Sicht den nötigen Freiraum und sind gleichzeitig konkret genug, als dass jede*r Mitarbeiter*in sie in das eigene Tun integrieren kann. Mit den Mitteln des Capacity Buildings wollen wir diese Transformation im ganzen Betrieb verankern und umsetzen.

Entscheidend für diese Umstrukturierung ist die Erhebung und das Verständnis von Daten, die im ersten Schritt den Status des Kulturforums in Bezug auf z.B. den Ausstoß von CO2 ermitteln. Diesen Weg sind wir schon im letzten Jahr gegangen und nehmen an dem Pilotprojekt des Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit teil, in dem die Klimabilanzierung speziell für Kulturbetriebe erprobt wird[7]. Es geht sowohl um die Umsetzung von kleinen Maßnahmen, wie der Einführung einer Gelben Tonne zur sachgerechten Mülltrennung, als auch den Wunsch einer energetischen Sanierung aller Gebäude des Kulturforums.

Einmal angeregt entstehen weitere Visionen, die die ökologische mit der kulturellen Perspektive der Nachhaltigkeit verschränken: Vom klimaresilienten Beet zum Stadtwald mit Aufenthaltsqualität, von der einzelnen Künstler*innen-Residenz zu der Skizzierung eines nachhaltigen Ökodorfs aus Tiny Häusern.

Relevante Projekte in Bezug auf die sozial-ökologische Nachhaltigkeit:

  • naturnahe Gestaltung der Beete auf dem Vorplatz vom Saalbau
  • Umgestaltung des Foyers im Saalbau mit deutlich mehr Pflanzen (Raumklima) und Erschließung neuer Räume als Club mit bereits vorhandenen Materialien
  • Neueinrichtung/Ausstattung von Räumen nach nachhaltigen Kriterien, auch unter der Berücksichtigung ästhetischer wie funktionaler Voraussetzungen (Studioatmosphäre und Setting im Digitallabor: Akustikwand aus nachwachsenden Materialien, Möbel aus recyceltem Material)
  • Zusammenarbeit mit der Stadt Witten zum Ausbau der Grünflächen im Sinne der Grünen Infrastruktur durch Fördergelder zu erreichen
  • Formulierte Zukunftsprojekte: PV-Anlage, Regenwasser Managementsystem, LED Beleuchtung, Ökostrom
  • Nachhaltigkeitskriterien bei der Vergabe und Beschaffung berücksichtigen
  • Umweltmanagementsysteme (Ökoprofit, GWÖ, EMAS etc.).

Ende in Sicht?

Trotz erster sichtbarer Ergebnisse und eines erkennbaren Wandels müssen wir selbstkritisch festhalten, dass wir – wie so oft im Kultursektor –  in vielen Bereichen über die Behauptung noch nicht hinausgekommen sind und einen messbaren Impact schuldig bleiben: Hier müssen wir nun noch stärker in die Mühen der Ebene einsteigen. Existierende Routinen, eine hohe Arbeitsbelastung und in Teilen auch (personal-) rechtliche Rahmenbedingungen erschweren die Etablierung neuer Arbeits- und Handlungskontexte.  Zudem mangelt es uns trotz der bereits getroffenen Maßnahmen flächendeckend noch an erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen, um unsere Transformationsanstrengungen wirksam zu katalysieren. Da der Handlungsspielraum der Stadt Witten als haushaltsschwache Kommune extrem beschränkt ist und die finanziellen Folgen der Pandemie ihr Übriges leisten werden, sind wir abhängig von Förderfolien, die uns eine Erneuerung unserer Infrastrukturen (baulich, inhaltlich und personell) ermöglichen.

Unsere konkreten Forderungen:

  • Förderkulissen auf die Erneuerung von Infrastrukturen ausrichten
  • Qualifizierung des Sektors über konkrete Personal- und Potenzialentwicklungsprogramme fördern
  • Transferstrukturen über Transformationsagent*innen in den Einrichtungen und übergreifenden Transferstellen aufbauen.

Autor*innen

Randi Günnemann, Alissa Krusch, Jasmin Vogel vom Kulturforum Witten. Das Kulturforum Witten, Anstalt des öffentlichen Rechts, ist 2006 aus dem damaligen Kulturamt der Stadt Witten hervorgegangen und steht dabei heute archätypisch für die kommunale kulturelle Infrastruktur einer Mittelstadt in einer zwar urbanen, aber doch strukturschwachen Region und kann als Blauspause für ein vollkommen neues Verständnis der kulturellen Daseinsvorsorge und der dahinterstehenden Organisationsstrukturen stehen. Mit unserem Ansatz überprüfen wir, daher, wie Kommunen in ihrer Daseinsvorsorge aus dem ressourcenintensiven Wachstumsnarrativ aussteigen und über eine Reorganisation der Verwaltungsstrukturen neue Wege sowie einen kulturellen und digitalen Wandel hin zu einer nachhaltigen Stadtgesellschaft beschreiten können.


[1] Die Europäische Kommission formuliert den Zusammenhang der Transformationsthemen z.B. als »Europe must leverage the potential of digital transformation, which is a key enabler for reaching the Green Deal objectives.«, Vgl. https://events.euractiv.com/event/info/the-twin-transition-how-can-green-growth-and-digital-transformation-go-hand-in-hand-to-drive-europes-recovery [Aufgerufen am 25.1.2022].

[2] Mark Terkessidis hält mit Blick auf Innovation fest: »Nicht der Wettbewerb zwischen Individuen oder Organisationen lässt Neues entstehen, sondern deren Offenheit und Anschlussfähigkeit«. (Mark Terkessidis Kollaboration, Berlin 2015, S. 119.).

[3] Anm.: VUCA ist ein Akronym und setzt sich aus Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) sowie Ambiguity (Ambiguität) zusammen. Nach Hoffmann »meint [VUCA] dabei die Unbeständigkeit und gleichzeitige Unberechenbarkeit des Organisationsumfeldes bei hoher Veränderungsgeschwindigkeit« (Erwin Hoffmann Systemisches Arbeiten für Kulturmanager: Praxis Kulturmanagement, Wiesbaden 2019: Springer Fachmedien Wiesbaden (essentials), doi: 10.1007/978-3-658-23733-2.S. 7).

[4] Vgl. Hildegard Kurt Von der Zukunft her gestalten. Eine kleine Reflexion in 3 Sequenzen, in: Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg): Zeit für Zukunft. Inspirationen für eine klimagerechte Kulturpolitik, Bonn 2020, S. 48f.

[5] Die Methode der organisationalen Ambidextrie befähigt die Organisation parallel zum Alltagsgeschäft mit neuen Arbeitsformen zu experimentieren. Grundvoraussetzung ist dabei eine Umverteilung und Priorisierung der jeweiligen alltäglichen Arbeitsaufgaben, um so die notwendigen Räume und Ressourcen zu schaffen. (Vgl. Henning Mohr und Diana Modaressi-Tehrani Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements, in: Henning Mohr und Diana Modarressi-Tehrani (Hrsg..): Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements. S. 18ff.

[6] Förderprogramm »kulturstark«: https://www.beisheim-stiftung.com/de/de/projekte/kulturstark [Aufgerufen am 25.1.2022].

[7] Weitere Informationen zum Netzwerk, u.a. https://aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de/projekte/pilotprojekt-klimabilanzen-in-nrw/ [Aufgerufen am 06.03.2022].

Kollaboration als Arbeitsweise: Zwischen Selbstoptimierung und Strukturwandel

21. Februar 2022

Die Schlagwörter ›Kollaboration‹ und ›Agilität‹ werden, wie das Beispiel der Kulturpolitischen Gesellschaft selbst hervorragend verdeutlicht, in Kulturmanagement und -politik zunehmend als Wege aus den veralteten Strukturen des Kulturbetriebs angepriesen. Trotz der zunehmenden und oftmals synonymen Begriffsverwendung fehlt es in der Praxis an konkreten Handlungsweisen und Orientierungsmodellen. Vielmehr bleibt es bei vielversprechenden Hymnen wie beispielsweiser dieser:

»Gerade der Aspekt der Kollaboration ist eine entscheidende Voraussetzung für mögliche Veränderungen im Kulturbereich, da in derartig organisierten Arbeitskontexten unterschiedliche Expertisen – auch außerhalb der Organisation – in den Produktionsprozess integriert werden und in der Regel auch Personen beteiligt werden, deren Ansprüche, Denkweisen oder Fähigkeiten in der Kulturarbeit noch zu wenig repräsentiert sind.«

Es scheint, als wären die Transformationsvorstellungen längst klar formuliert, als wären zukunftsfähige Unternehmen längst nicht mehr linear und hierarchisch strukturiert, sondern netzwerkartig organisiert. Als würden interne Strukturen in hybriden Arbeitsgruppen immer wieder neu beleuchtet, Abläufe hinterfragt und optimiert, neue Produkte aus der Zusammenführung unterschiedlicher Zuständigkeitsfelder und Wissensformen entwickelt. Insbesondere die Digitalisierung ist dabei eine große Hilfe und ermöglicht dezentrale Zusammenarbeit, Selbstorganisation und häufigere Korrekturschleifen. Aber ist das wirklich so?

Der folgende Beitrag möchte den Herausforderungen des strukturellen Umbaus im Kulturbetrieb nachgehen und handlungsorientiert Probleme aufzeigen. Grundannahme ist, dass viel zu lange die Trennung in Theorie und Praxis auf der einen Seite und die Vermischung von Inhalt und Struktur auf der anderen Seite aufrechterhalten wurde – statt konzeptuelle Ansätze auf ihre Umsetzbarkeit zu befragen. Wie lässt sich diese vielgeforderte Neugestaltung praktisch umsetzen? Und welche Idee von Kollaboration als Begriff und als Arbeitsweise werden dabei imaginiert?

Dem Folgend, möchte ich mich vor allem auf bereits vorhandene Ansätze und Thesen des Blogs beziehen, um offenzulegen, dass sie einerseits viele wichtige Standpunkte offerieren, andererseits aber stärker aufeinander Bezug nehmen sollten, um nicht repetitiv, sondern transformativ zu wirken. Wir alle kennen mittlerweile die Parolen und Utopien eines zukünftigen Kulturbetriebes. Doch wie diese umzusetzen sind, ist bisher unklar und führt schnell zu Resignation oder Gesprächsversandung. Klar: Alte Hierarchien sollen zugunsten von einem solidarischen miteinander endlich über Bord geworfen werden – doch wie funktioniert das? Der folgende Beitrag baut auf Erkenntnissen vorheriger Beitragenden auf und skizziert Herausforderungen und Ansätze kollaborativer Arbeit.

Agilität durch Kollaboration

Bleiben wir zunächst im vertrauten Umfeld der theoretischen Erörterung, so fällt auf, dass die Begriffe ›Kollaboration‹ und ›Agilität‹ mit sehr unterschiedlichen Beigeschmäckern zu kämpfen haben. Obwohl sie eigentlich dieselbe Problematik von unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Beide Begriffe beschreiben eine Abwendung von tradierten Arbeitsmodellen, wobei ›Agilität‹ eher auf der strukturellen Ebene und im Managementjargon benutzt wird und ›Kollaboration‹ als eine alternative Form des Zusammenarbeitens verstanden werden kann.  Darüber hinaus stammen beide Konzepte aus der Zeit des Umbruchs von fordistischen zu postforstischen Arbeitsverhältnissen. Unter zeitgenössischen Informations- und Wissensregimen sind sie zu Imperativen immaterieller Arbeit herangenwachsen und damit für kulturelle Arbeitsfelder interessant geworden.

Während ›Agilität‹ im neoliberalen Image dabei eher im konkreten Projektmanagement auftaucht und mit Prekarisierung und Überforderung von Arbeiter*innen durch Top-Down Belehrungen verbunden wird, werden ›Kollaborationen‹ zunehmend als neue Form der solidarischen und hierarchiefreien Zusammenarbeit angepriesen. Da der Begriff  ›Kollaboration‹ von älteren Generationen vor allem im Kontext des Zweiten Weltkrieges als Zusammenarbeit mit dem Feind verstanden und nach wie vor durch den Duden entsprechend definiert ist, liegt die Vermutung nahe, dass im deutschsprachigen Kontext häufig von ›Kooperation‹ gesprochen wurde, selbst wenn kollaboratives Arbeiten gemeint war. Im englischsprachigen Raum – somit auch in der deutschen Start-up -und Kunstszene – hat sich spätestens seit den 2000er Jahren ›collaboration‹ als Mantra der projektbasierten Arbeit etabliert.

Im Kulturbereich scheint sich eine immer breiter werdende Gruppe von Akteur*innen dem Begriff der ›Kollaboration‹ unter einem allgemeinen Transformationswillen anzunähern, was jedoch vor allem zu inflationärer Schlagwortverwendung denn zu konkreter Bedeutungszuschreibung und Praxisanwendung führt. In aktuellen Debatten versprechen Kollaborationen die Flexibilität und Individualisierung von Arbeitsrealitäten auf der einen, neue Stabilität und Zusammenhalt in Kontext von unsicheren Strukturen und neoliberalen Leistungsdruck auf der anderen Seite.

Doch welche Wirkungen können in der Realität eingelöst und welcher Rahmen muss für erfolgreiche Kollaborationen geschaffen werden? Nicht überspielt werden sollte die Tatsache, dass auch kollaborative Arbeitsweisen schnell in Selbstausbeutung und Prekarisierung abrutschen können, basieren sie doch auf einem hohen Maß an Selbstorganisation und Verantwortung aller Akteur*innen.

Während strukturkritische Autor*innen wie Tara McDowell von prekären, post-beruflichen Bedingungen im Kulturbereich sprechen und damit insbesondere jüngere Generationen meinen, für die ein Vierjahresvertrag Sesshaftigkeit bedeutet, sind ein Gros der Stellen in deutschen mittelgroßen Kulturinstitutionen noch immer unbefristet besetzt.  Folglich kann die selbstbestimmte Freiheit einer kollaborativen Organisationsstruktur innerhalb eines institutionellen Transformationsprozesses  für Mitarbeiter*innen, die jahrzehntelang nach dem Top-Down-Prinzip gearbeitet haben, zu Verunsicherung führen – stützt sie sich schließlich auf dem Ansatz des lebenslangen Lernens auf und hinterfragt damit stets erlernte Expertisen zugunsten neuer Erkenntnisse und Anpassungen von rostigen Strukturen.

Das bedeutet auch, dass Mitarbeiter*innen und Führungspersonen ihre Stärken, Schwächen und Interessen kennen und kommunizieren müssen, und sich nicht mehr auf Routine verlassen können. Das mag zunächst mehr Arbeit, vor allem mehr Kommunikation, mit sich bringen, eine Transformation lässt sich jedoch nur durch aktive Umstrukturierung von Praktiken und Abläufen und nicht nur durch inhaltlich-programmatische Progression umsetzen.

Neue Erkenntnisse durch Querverbindungen

Ein schönes Beispiel aus der Praxis stellt das kollaborative Projekt »Öffne die Blackbox der Archäologie! Museum als CoLabor« von dem Museum für Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herne, dem LWL-Römermuseum in Haltern am See und dem Deutschen Bergbau-Museum in Bochum dar. Auf der Seite des Hauptförderers, der Kulturstiftung des Bundes, wird das Vorhaben folgendermaßen beschrieben.

»Nach einem Open Call der drei Museen wurde im Frühjahr 2021 dafür ein Beirat gegründet, der in diesem Fall nicht aus Fachleuten, sondern aus fast 100 Menschen verschiedener Hintergründe und Generationen besteht. […] Die Partner orientieren sich an Methoden des agilen Managements wie z. B. Design Thinking und arbeiten kollaborativ, prozessorientiert und co-kreativ im Sinne einer Kultur der Digitalität

Konkret hat sich hierfür eine übergreifende Projektsteuerungsgruppe der Museen gebildet, die gemeinsam mit einem Beirat aus engagierten Bürger*innen in regelmäßigen, moderierten Workshops zusammenkommt und mit Hilfe eines externen Coachings spielerisch neue Konzepte und Arbeitsweisen entwickelt. Kollaboration wird hier somit zunächst in einem Pilotprojekt mit zusätzlicher Hilfestellungen erprobt. Interne Strukturen werden nicht direkt auf den Kopf gestellt, sondern es wird gemeinsam mit dem gemischten Team aus Museumsmitarbeiter*innen und Bürger*innen überprüft, welche Methoden für die musealen Struktur im internen Team anwendbar sind und welche in experimentellen Projekten verortet bleiben sollten. Gerade das Arbeiten mit freiwillig partizipierenden Mitarbeiter*innen, die einige Stunden ihrer Arbeitszeit in kollaborative Ansätze investieren möchten und aus Interesse agieren, scheint eine sinnvolle Vorgehensweise, um Überforderung und hierarchische Festsetzung von unsicheren Angestellten zu vermeiden.

Von der Theorie in die Praxis – und zurück

Neben globalen Vernetzungsbewegungen und der akademisch-theoretischen Auseinandersetzung bedarf es zudem Transformationsprozessen auf lokaler und regionaler Ebene: Innerhalb der Institutionen sollten Arbeitsprozesse nach Interessen und Fähigkeiten anstatt nach künstlerischen Disziplinen und Hierarchien fokussiert werden. Denn Strukturen und Zuständigkeiten lassen sich immer dann am leichtesten verändern, wenn sich alle Beteiligten weiterhin mitgenommen fühlen, wenn Flexibilisierung nicht Verunsicherung bedeutet, sondern Lernprozesse in bekannte Abläufe integriert und honoriert werden.

Kollaboration kann dann als Arbeitsweise interessant sein, wenn sie gezielt eingesetzt und nicht nur als Synonym für verschiedenste Formen der Zusammenarbeit benutzt wird. Hierzu könnten etwa die von Anke von Heyl angeschnittenen »iterativen Prozesse« fruchtbar sein. In diesen werden Abläufe und Feedbackschleifen so oft wiederholt und angepasst, bis sie den intern zuvor definierten Zielvorstellungen des Teams entsprechen. Würde man Kulturorganisationen zu dieser Optimierung von Abläufen zudem eine außenstehende, vermittelnde Person langfristig zur Seite stellen, könnten Verschiebungen unaufdringlich, im alltäglichen Arbeitsablauf ohne Neustrukturierung von außen oder ständige Selbstevaluation herbeigeführt werden. Es könnte dann um die Aktualisierung von Strukturen und Beziehungen statt um die selbstoptimierende Prüfung des individuellen Leistungsvermögens der Arbeitenden gehen, wie es von kritischen Akteur*innen wie Ulrich Bröckling prognostiziert wurde. 

Wird dieses Vorhaben noch mit Zeit für die Teilnahme an regelmäßigen internen Gesprächsformaten und Workshops – etwa zu digitalen Organisationstools wie Trello oder Slack und kollaborativer Erkenntnisgenerierung – unterstützt, könnten sich veränderte Arbeitspraktiken auch nachhaltiger festsetzen, als es aktuell der Fall ist. Denn bedingt durch den Umstand, dass eine Vielzahl von Veränderungsversuchen in Projektförderstrukturen an den vorhandenen zeitlichen und finanziellen Mitteln scheitern, führen Transformationsforderungen oftmals zu Pauschallösungen und Überlastung der einzelnen Akteur*innen, statt zu einer langfristigen Verschiebung innerhalb der spezifischen Strukturen.   

Qualifizierte Coachingansätze und Modellarbeit

Ein Grundsatz von Kollaboration ist, nicht bekanntes Wissen zu reproduzieren, sondern durch Querverbindungen und assoziatives Denken neue Erkenntnisse zu generieren, die auf unterschiedlichsten Wissensformen und Fähigkeiten aufbauen. Gerade deshalb scheint es umso wichtiger, Erkenntnisse von Plattformen wie dieser zu nutzen, zu vertiefen und in der Praxis modellhaft zu erproben, anstatt sich innerhalb eines kleinen Fachkreises gegenseitig zu bestärken und dieselben großen Begriffe und Ansätze zu proklamieren. Ein Vorschlag wäre daher, eine Modellentwicklung für konkrete Transformationsarbeit an Kulturinstitutionen auszuschreiben und zu finanzieren. Ein erster Schritt wäre verschiedenen Stimmen und Ansätze in einem gemeinsamen Think Tank zusammenzuführen und diesen Austausch in einen praxisnahen Projektentwurf umzuwandeln, mit und an dem gearbeitet und praxeologisch geforscht werden kann.

Denn auch wenn Modelle und Leitfäden allein nicht ausreichen werden, könnten so dennoch vorhandene Ansätze wie infrastrukturelle Förderungen und begleitendes Mentoring auf ihre Umsetzbarkeit erprobt werden. Kollaboration und Flexibilisierung sollte somit nicht nur als Aufgabe gestellt werden, sondern in übergreifenden Arbeitsgruppen von Forschung, Kulturinstitutionen und kulturpolitischen Entscheidungsträger*innen vorgelebt werden. Schließlich könnten daraus auch qualifizierte Coachingansätze oder Fortbildungsmodelle entstehen, die zeitweise weitaus effektiver ansetzen könnten als progressive Verschriftlichungen oder sich um sich selbst kreisende Diskussionen.

Autorin

Foto: Sandra Stein

Paulina Seyfried ist freie Kunstwissenschaftlerin und Kulturarbeiterin. Sie arbeitet freiberuflich für verschiedene Kunstvereine und Künstler*innen im organisatorischen wie kuratorischen Bereich. Zudem gibt sie regelmäßig Workshops in Projektmanagement und individuellen Fördermöglichkeiten.

Sie absolvierte ihren Bachelor der Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin und ihren Master an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Schnittstelle von Institutionskritik, Infrastrukturen und kollaborativen Arbeitsweisen in der Kunstwelt. 2021 hat sie das Recherche- und Arbeitsstipendium Bildende Kunst der Stadt Köln erhalten.