Kollaboration als Arbeitsweise: Zwischen Selbstoptimierung und Strukturwandel

21. Februar 2022

Die Schlagwörter ›Kollaboration‹ und ›Agilität‹ werden, wie das Beispiel der Kulturpolitischen Gesellschaft selbst hervorragend verdeutlicht, in Kulturmanagement und -politik zunehmend als Wege aus den veralteten Strukturen des Kulturbetriebs angepriesen. Trotz der zunehmenden und oftmals synonymen Begriffsverwendung fehlt es in der Praxis an konkreten Handlungsweisen und Orientierungsmodellen. Vielmehr bleibt es bei vielversprechenden Hymnen wie beispielsweiser dieser:

»Gerade der Aspekt der Kollaboration ist eine entscheidende Voraussetzung für mögliche Veränderungen im Kulturbereich, da in derartig organisierten Arbeitskontexten unterschiedliche Expertisen – auch außerhalb der Organisation – in den Produktionsprozess integriert werden und in der Regel auch Personen beteiligt werden, deren Ansprüche, Denkweisen oder Fähigkeiten in der Kulturarbeit noch zu wenig repräsentiert sind.«

Es scheint, als wären die Transformationsvorstellungen längst klar formuliert, als wären zukunftsfähige Unternehmen längst nicht mehr linear und hierarchisch strukturiert, sondern netzwerkartig organisiert. Als würden interne Strukturen in hybriden Arbeitsgruppen immer wieder neu beleuchtet, Abläufe hinterfragt und optimiert, neue Produkte aus der Zusammenführung unterschiedlicher Zuständigkeitsfelder und Wissensformen entwickelt. Insbesondere die Digitalisierung ist dabei eine große Hilfe und ermöglicht dezentrale Zusammenarbeit, Selbstorganisation und häufigere Korrekturschleifen. Aber ist das wirklich so?

Der folgende Beitrag möchte den Herausforderungen des strukturellen Umbaus im Kulturbetrieb nachgehen und handlungsorientiert Probleme aufzeigen. Grundannahme ist, dass viel zu lange die Trennung in Theorie und Praxis auf der einen Seite und die Vermischung von Inhalt und Struktur auf der anderen Seite aufrechterhalten wurde – statt konzeptuelle Ansätze auf ihre Umsetzbarkeit zu befragen. Wie lässt sich diese vielgeforderte Neugestaltung praktisch umsetzen? Und welche Idee von Kollaboration als Begriff und als Arbeitsweise werden dabei imaginiert?

Dem Folgend, möchte ich mich vor allem auf bereits vorhandene Ansätze und Thesen des Blogs beziehen, um offenzulegen, dass sie einerseits viele wichtige Standpunkte offerieren, andererseits aber stärker aufeinander Bezug nehmen sollten, um nicht repetitiv, sondern transformativ zu wirken. Wir alle kennen mittlerweile die Parolen und Utopien eines zukünftigen Kulturbetriebes. Doch wie diese umzusetzen sind, ist bisher unklar und führt schnell zu Resignation oder Gesprächsversandung. Klar: Alte Hierarchien sollen zugunsten von einem solidarischen miteinander endlich über Bord geworfen werden – doch wie funktioniert das? Der folgende Beitrag baut auf Erkenntnissen vorheriger Beitragenden auf und skizziert Herausforderungen und Ansätze kollaborativer Arbeit.

Agilität durch Kollaboration

Bleiben wir zunächst im vertrauten Umfeld der theoretischen Erörterung, so fällt auf, dass die Begriffe ›Kollaboration‹ und ›Agilität‹ mit sehr unterschiedlichen Beigeschmäckern zu kämpfen haben. Obwohl sie eigentlich dieselbe Problematik von unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Beide Begriffe beschreiben eine Abwendung von tradierten Arbeitsmodellen, wobei ›Agilität‹ eher auf der strukturellen Ebene und im Managementjargon benutzt wird und ›Kollaboration‹ als eine alternative Form des Zusammenarbeitens verstanden werden kann.  Darüber hinaus stammen beide Konzepte aus der Zeit des Umbruchs von fordistischen zu postforstischen Arbeitsverhältnissen. Unter zeitgenössischen Informations- und Wissensregimen sind sie zu Imperativen immaterieller Arbeit herangenwachsen und damit für kulturelle Arbeitsfelder interessant geworden.

Während ›Agilität‹ im neoliberalen Image dabei eher im konkreten Projektmanagement auftaucht und mit Prekarisierung und Überforderung von Arbeiter*innen durch Top-Down Belehrungen verbunden wird, werden ›Kollaborationen‹ zunehmend als neue Form der solidarischen und hierarchiefreien Zusammenarbeit angepriesen. Da der Begriff  ›Kollaboration‹ von älteren Generationen vor allem im Kontext des Zweiten Weltkrieges als Zusammenarbeit mit dem Feind verstanden und nach wie vor durch den Duden entsprechend definiert ist, liegt die Vermutung nahe, dass im deutschsprachigen Kontext häufig von ›Kooperation‹ gesprochen wurde, selbst wenn kollaboratives Arbeiten gemeint war. Im englischsprachigen Raum – somit auch in der deutschen Start-up -und Kunstszene – hat sich spätestens seit den 2000er Jahren ›collaboration‹ als Mantra der projektbasierten Arbeit etabliert.

Im Kulturbereich scheint sich eine immer breiter werdende Gruppe von Akteur*innen dem Begriff der ›Kollaboration‹ unter einem allgemeinen Transformationswillen anzunähern, was jedoch vor allem zu inflationärer Schlagwortverwendung denn zu konkreter Bedeutungszuschreibung und Praxisanwendung führt. In aktuellen Debatten versprechen Kollaborationen die Flexibilität und Individualisierung von Arbeitsrealitäten auf der einen, neue Stabilität und Zusammenhalt in Kontext von unsicheren Strukturen und neoliberalen Leistungsdruck auf der anderen Seite.

Doch welche Wirkungen können in der Realität eingelöst und welcher Rahmen muss für erfolgreiche Kollaborationen geschaffen werden? Nicht überspielt werden sollte die Tatsache, dass auch kollaborative Arbeitsweisen schnell in Selbstausbeutung und Prekarisierung abrutschen können, basieren sie doch auf einem hohen Maß an Selbstorganisation und Verantwortung aller Akteur*innen.

Während strukturkritische Autor*innen wie Tara McDowell von prekären, post-beruflichen Bedingungen im Kulturbereich sprechen und damit insbesondere jüngere Generationen meinen, für die ein Vierjahresvertrag Sesshaftigkeit bedeutet, sind ein Gros der Stellen in deutschen mittelgroßen Kulturinstitutionen noch immer unbefristet besetzt.  Folglich kann die selbstbestimmte Freiheit einer kollaborativen Organisationsstruktur innerhalb eines institutionellen Transformationsprozesses  für Mitarbeiter*innen, die jahrzehntelang nach dem Top-Down-Prinzip gearbeitet haben, zu Verunsicherung führen – stützt sie sich schließlich auf dem Ansatz des lebenslangen Lernens auf und hinterfragt damit stets erlernte Expertisen zugunsten neuer Erkenntnisse und Anpassungen von rostigen Strukturen.

Das bedeutet auch, dass Mitarbeiter*innen und Führungspersonen ihre Stärken, Schwächen und Interessen kennen und kommunizieren müssen, und sich nicht mehr auf Routine verlassen können. Das mag zunächst mehr Arbeit, vor allem mehr Kommunikation, mit sich bringen, eine Transformation lässt sich jedoch nur durch aktive Umstrukturierung von Praktiken und Abläufen und nicht nur durch inhaltlich-programmatische Progression umsetzen.

Neue Erkenntnisse durch Querverbindungen

Ein schönes Beispiel aus der Praxis stellt das kollaborative Projekt »Öffne die Blackbox der Archäologie! Museum als CoLabor« von dem Museum für Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herne, dem LWL-Römermuseum in Haltern am See und dem Deutschen Bergbau-Museum in Bochum dar. Auf der Seite des Hauptförderers, der Kulturstiftung des Bundes, wird das Vorhaben folgendermaßen beschrieben.

»Nach einem Open Call der drei Museen wurde im Frühjahr 2021 dafür ein Beirat gegründet, der in diesem Fall nicht aus Fachleuten, sondern aus fast 100 Menschen verschiedener Hintergründe und Generationen besteht. […] Die Partner orientieren sich an Methoden des agilen Managements wie z. B. Design Thinking und arbeiten kollaborativ, prozessorientiert und co-kreativ im Sinne einer Kultur der Digitalität

Konkret hat sich hierfür eine übergreifende Projektsteuerungsgruppe der Museen gebildet, die gemeinsam mit einem Beirat aus engagierten Bürger*innen in regelmäßigen, moderierten Workshops zusammenkommt und mit Hilfe eines externen Coachings spielerisch neue Konzepte und Arbeitsweisen entwickelt. Kollaboration wird hier somit zunächst in einem Pilotprojekt mit zusätzlicher Hilfestellungen erprobt. Interne Strukturen werden nicht direkt auf den Kopf gestellt, sondern es wird gemeinsam mit dem gemischten Team aus Museumsmitarbeiter*innen und Bürger*innen überprüft, welche Methoden für die musealen Struktur im internen Team anwendbar sind und welche in experimentellen Projekten verortet bleiben sollten. Gerade das Arbeiten mit freiwillig partizipierenden Mitarbeiter*innen, die einige Stunden ihrer Arbeitszeit in kollaborative Ansätze investieren möchten und aus Interesse agieren, scheint eine sinnvolle Vorgehensweise, um Überforderung und hierarchische Festsetzung von unsicheren Angestellten zu vermeiden.

Von der Theorie in die Praxis – und zurück

Neben globalen Vernetzungsbewegungen und der akademisch-theoretischen Auseinandersetzung bedarf es zudem Transformationsprozessen auf lokaler und regionaler Ebene: Innerhalb der Institutionen sollten Arbeitsprozesse nach Interessen und Fähigkeiten anstatt nach künstlerischen Disziplinen und Hierarchien fokussiert werden. Denn Strukturen und Zuständigkeiten lassen sich immer dann am leichtesten verändern, wenn sich alle Beteiligten weiterhin mitgenommen fühlen, wenn Flexibilisierung nicht Verunsicherung bedeutet, sondern Lernprozesse in bekannte Abläufe integriert und honoriert werden.

Kollaboration kann dann als Arbeitsweise interessant sein, wenn sie gezielt eingesetzt und nicht nur als Synonym für verschiedenste Formen der Zusammenarbeit benutzt wird. Hierzu könnten etwa die von Anke von Heyl angeschnittenen »iterativen Prozesse« fruchtbar sein. In diesen werden Abläufe und Feedbackschleifen so oft wiederholt und angepasst, bis sie den intern zuvor definierten Zielvorstellungen des Teams entsprechen. Würde man Kulturorganisationen zu dieser Optimierung von Abläufen zudem eine außenstehende, vermittelnde Person langfristig zur Seite stellen, könnten Verschiebungen unaufdringlich, im alltäglichen Arbeitsablauf ohne Neustrukturierung von außen oder ständige Selbstevaluation herbeigeführt werden. Es könnte dann um die Aktualisierung von Strukturen und Beziehungen statt um die selbstoptimierende Prüfung des individuellen Leistungsvermögens der Arbeitenden gehen, wie es von kritischen Akteur*innen wie Ulrich Bröckling prognostiziert wurde. 

Wird dieses Vorhaben noch mit Zeit für die Teilnahme an regelmäßigen internen Gesprächsformaten und Workshops – etwa zu digitalen Organisationstools wie Trello oder Slack und kollaborativer Erkenntnisgenerierung – unterstützt, könnten sich veränderte Arbeitspraktiken auch nachhaltiger festsetzen, als es aktuell der Fall ist. Denn bedingt durch den Umstand, dass eine Vielzahl von Veränderungsversuchen in Projektförderstrukturen an den vorhandenen zeitlichen und finanziellen Mitteln scheitern, führen Transformationsforderungen oftmals zu Pauschallösungen und Überlastung der einzelnen Akteur*innen, statt zu einer langfristigen Verschiebung innerhalb der spezifischen Strukturen.   

Qualifizierte Coachingansätze und Modellarbeit

Ein Grundsatz von Kollaboration ist, nicht bekanntes Wissen zu reproduzieren, sondern durch Querverbindungen und assoziatives Denken neue Erkenntnisse zu generieren, die auf unterschiedlichsten Wissensformen und Fähigkeiten aufbauen. Gerade deshalb scheint es umso wichtiger, Erkenntnisse von Plattformen wie dieser zu nutzen, zu vertiefen und in der Praxis modellhaft zu erproben, anstatt sich innerhalb eines kleinen Fachkreises gegenseitig zu bestärken und dieselben großen Begriffe und Ansätze zu proklamieren. Ein Vorschlag wäre daher, eine Modellentwicklung für konkrete Transformationsarbeit an Kulturinstitutionen auszuschreiben und zu finanzieren. Ein erster Schritt wäre verschiedenen Stimmen und Ansätze in einem gemeinsamen Think Tank zusammenzuführen und diesen Austausch in einen praxisnahen Projektentwurf umzuwandeln, mit und an dem gearbeitet und praxeologisch geforscht werden kann.

Denn auch wenn Modelle und Leitfäden allein nicht ausreichen werden, könnten so dennoch vorhandene Ansätze wie infrastrukturelle Förderungen und begleitendes Mentoring auf ihre Umsetzbarkeit erprobt werden. Kollaboration und Flexibilisierung sollte somit nicht nur als Aufgabe gestellt werden, sondern in übergreifenden Arbeitsgruppen von Forschung, Kulturinstitutionen und kulturpolitischen Entscheidungsträger*innen vorgelebt werden. Schließlich könnten daraus auch qualifizierte Coachingansätze oder Fortbildungsmodelle entstehen, die zeitweise weitaus effektiver ansetzen könnten als progressive Verschriftlichungen oder sich um sich selbst kreisende Diskussionen.

Autorin

Foto: Sandra Stein

Paulina Seyfried ist freie Kunstwissenschaftlerin und Kulturarbeiterin. Sie arbeitet freiberuflich für verschiedene Kunstvereine und Künstler*innen im organisatorischen wie kuratorischen Bereich. Zudem gibt sie regelmäßig Workshops in Projektmanagement und individuellen Fördermöglichkeiten.

Sie absolvierte ihren Bachelor der Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin und ihren Master an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Schnittstelle von Institutionskritik, Infrastrukturen und kollaborativen Arbeitsweisen in der Kunstwelt. 2021 hat sie das Recherche- und Arbeitsstipendium Bildende Kunst der Stadt Köln erhalten.