»Welche Street-Credibility habe ich nach 30 Jahren Kulturpolitik?«

Maike Schlünß
4. April 2024

Vom Wunsch nach einem Perspektivwechsel auf den Perspektivwechsel

Was bedeutet »junge Kulturpolitik« für mich?
Junge Kulturpolitik bedeutet, zwischen Klimakrise, Rechtsruck und Ungerechtigkeiten die eigenen Werte zu navigieren. Sie bedeutet auch, zwischen der stetigen Selbstkritik an eben jenen Werten gemessen zu werden. Besonders kritisch erscheint mir dabei das Gemessenwerden an den Werten, die Generationen zugeschrieben werden, ohne dass sie diese aktiv wählen.

Junge Kulturpolitik kann deswegen heißen, Sorge davor zu haben, zu laut zu reden, zu falsch zu fragen, zu radikal zu denken. Junge Kulturpolitik heißt stetig an Grenzen zu stoßen und das eigene Feld neu auszuloten. Und im gleichen Zuge soll junge Kulturpolitik genau diesen Erwartungen entsprechen.

Hieraus entsteht – wie mir scheint – ein Paradoxon: Es braucht neue Stimmen, man fordert den Perspektivwechsel, aber die Form dieser Veränderung sollte bitte nicht zu weit vom Muster abweichen. Bis Zugänge für die neuen Visionen geschaffen, vergeht Zeit, muss Macht geteilt, muss verlernt werden – wie jung, wie neu ist die Stimme bis dahin noch?

Oder vielmehr die Stimmen? Denn die Suche nach »der« jungen Kulturpolitik ist müßig, so ist es doch besonders die Vielstimmigkeit, die die Kultur ausmacht. Somit setzt bereits die Benennung »junge Kulturpolitik« Grenzen, wo ein Entgegenkommen notwendig ist. War denn nicht jede Kulturpolitik einmal jung? Und wird »junge Kulturpolitik« nur von jungen Menschen initiiert?

Deswegen verstehe ich junge Kulturpolitik als gemeinsame Kursänderung und Chance für neue Wege – weniger als einen inhaltlichen Forderungskatalog als eine Methodik des gemeinsamen Umgangs und aufeinander Zugehens:

Junge Kulturpolitik sollte das Teilen von Visionen sein, ohne ein nachgeschobenes »Ja, aber…« des Gegenübers. Junge Kulturpolitik sollte die Kritik an Systemen ermöglichen, ohne in Boxen geschoben zu werden.

Junge Kulturpolitik sollte beinhalten, aktuelle Gegebenheiten, Strukturen, Denklogiken verstehen zu lernen und in den Dialog zu treten. Junge Kulturpolitik sollte aber auch das Respektieren und Feiern der Erfolge »älterer« Kulturpolitik sein.

Ich wünsche mir einen Perspektivwechsel auf den Perspektivwechsel: Wir sollten nicht länger über das Wer in und die Adjektive vor der Kulturpolitik sprechen, sondern in konstruktive Diskussionen über das Wie gehen. Für die Herausforderungen, die nicht nur auf uns zukommen, sondern ganz real vorhanden sind, brauchen wir nicht eine nach bestimmten Altersgruppen und auf Quoten ausgelegte Kulturpolitik. Wir brauchen ein Miteinander – die alten Hasen mit jahrzehntelanger Kulturpolitik- Erfahrung genauso wie die Neuen mit Street-Credibility.

Maike Schlünß

studierte Kulturwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre (B.A.) an der Leuphana Universität in Lüneburg. Inspiriert durch verschiedene Praktika und ehrenamtliche Tätigkeiten in Museen fand sie ihren Weg in die Museumswelt. Um diese Berufserfahrungen zu vertiefen, absolvierte sie ihren Master im Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Neben dem Studium arbeitete sie im Vermittlungsbereich im Freilichtmuseum am Kiekeberg und absolvierte ein Praktikum im Kulturministerium des Landes Schleswig-Holstein.

Im Anschluss an ihren Abschluss wagte sie den Sprung in den Süden Deutschlands, wo sie nun die Abteilung Personal und Finanzen im Linden-Museum Stuttgart leitet. Ehrenamtlich betätigt sie sich darüber hinaus im Verein Women in Arts and Media e.V., der sich für Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien sowie die Stärkung von Frauen in Führungspositionen einsetzt.