Es ist an der Zeit, die Kunstförderung neu zu gestalten und in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen. Dabei sollten wir endlich die Bürokratie minimieren und die Autonomie maximieren. Wie das klappen könnte und warum die Kunst durch ein falsches Verständnis von Förderung an Relevanz verliert, möchte ich hier skizzieren.
Beginnen möchte ich bei einer wesentlichen Grundannahme: Kultur und Kunstförderung sind für eine freie und demokratische Gesellschaft notwendig und sinnvoll. Die fördernden Strukturen in Deutschland sind historisch gewachsen, und Kritik am Fördersystem ist ähnlich alt: Alle Jahre wieder gibt es zu viel Geld oder zu wenig; manchmal ist es die Art der Förderung, die bemängelt wird. Trotzdem lässt sich auch beobachten, dass es eine noch nie dagewesene Vielfalt von öffentlichen und privaten Förderungen gibt – sowohl in der Art der Förderung als auch in der Ausgestaltung der Fördermaßnahme. Mit Blick auf diese Vielfalt von Finanzierungsmöglichkeiten sollte man meinen, dass Kunst aktuell die besten Entfaltungsmöglichkeiten seit je hat. Dass dies nicht der Fall ist, erfährt man schnell, wenn man quer durch die Republik mit Künstler*innen spricht, die tief im Fördersystem stecken und zugleich Kritiker*innen und Nutznießer*innen des Ganzen sind. Dabei lassen sich drei Kritikpunkte identifizieren, die immer wieder genannt werden: Bürokratie, Ökonomie, Autonomie. Zugespitzt formuliert: Bürokratie durch (falsche) Ökonomie führt zum Verlust der Autonomie.
Kunst trifft Wirtschaft
Die letzten Jahrzehnte der Kunstförderung waren geprägt von einer zunehmenden ökonomischen Orientierung und einer damit verbunden Denk- und Handlungsweise. Dies lässt sich am offensichtlichsten an der Sprache und der Ausgestaltung von Förderanträgen feststellen: Zielgruppen, Indikatoren, der Nutzen für die Gesellschaft und Wirkungsberichte werden zunehmend gefordert. Letztes Jahr zum Beispiel ließ die Robert-Bosch-Stiftung verlauten, Kulturförderprogramme wie Grenzgänger ganz einzustellen, um die Förderung »strategisch neu auszurichten«. Was allerdings diese Neuausrichtung bedeutet, darauf gibt es bisher keine Antworten. Zumindest das verwendete Vokabular aus der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung suggeriert die Vorstellung von einer Förderung, die bei Einsatz von minimalem Kapital eine maximale Wirkung entfalten muss. Diese Kosten-Nutzen-Logik richtet auch Schaden in anderen Bereichen der Gesellschaft an. Denn was ist der Nutzen von Kunst? Gibt es einen Output, der sich messen und vergleichen lässt? Wie soll Wirkung gemessen werden, wenn ein Kunstwerk unter Umständen erst nach Jahrzehnten seine Kraft entfaltet?
Auch ökonomische Betrachtungsweisen haben auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten – darüber herrscht bei Kunstschaffenden große Einigkeit. Trotzdem versuchen Förderinstitutionen ihre Unterstützung immer feiner zu justieren – mit mehr Wettbewerb, mehr Indikatoren und noch viel mehr Evaluationen.
Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger hat die Fehler der künstlichen Wettbewerbskultur als Marktersatz offengelegt. In der Kunst- und Kulturförderung führt diese Dynamik beispielsweise dazu, dass die Antragsberechtigten eine eigene ›Antragsprosa‹ entwickeln und ihre Kunstprojekte optimal den Indikatoren anpassen – sowohl bei Antragstellung als auch bei der Evaluation. Die Antragssteller*innen kennen in der Regel die aktuellen Trendthemen und wissen, wie man sein Projekt ausrichten muss um Geld zu bekommen. Im schlimmsten Fall steht nicht mehr die künstlerische Fragestellung, nicht mehr die Betrachter*innen und auch nicht mehr die Gesellschaft im Vordergrund. Neue Zielgruppe sind die Förderinstitutionen und ihre Indikatoren. Folglich wird zeitgeistige Relevanz geschaffen – für mehr reicht die Puste nicht. Ein aktuelles und wunderbares Kunstwerk, welches die Logik dahinter verdeutlichen kann, ist der Smart Bot Endless Runder des Stuttgarter Künstlers Fabian Kühfuß: Ein Roboterarm, dem die Puste niemals ausgeht, simuliert seinem Fitnesstrackerarmband sportliche Daueraktivität mit dem Ziel, die fittesten Messdaten im sozialen Netzwerk zu haben – und die Konkurrenz links liegen zu lassen.
Kunstmarkt vs. Kurator*innenmarkt
In manchen Kunstförderprogrammen lässt sich Ähnliches beobachten: Künstliche Wettbewerbe in Kosten-Nutzen-Logik, aus denen die Kunstförderung heute überwiegend besteht, führen nicht zu künstlerischer Effizienz oder präziser ökonomischer Steuerung und erst recht nicht zu mehr Relevanz, einem höheren Wahrheitsgehalt oder ästhetischer Sprengkraft. Vielmehr verstärken diese Entwicklungen ein Schisma der Kunst, welches der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich wie folgt charakterisiert: »Auf der einen Seite entsteht die reine, ästhetische Kunst für den Kunstmarkt. Auf der anderen Seite die Kurator*innen-Kunst, deren Qualität anhand ihrer moralischen und politischen Botschaft beurteilt wird.« Damit ist zu befürchten, dass den Künstler*innen, die weder dem ökonomischen Pol Kunstmarkt noch dem anderen ökonomischen Pol (Kurator*innenmarkt) angehören, langsam aber sicher der Atem ausgeht.
Die Kunst wird in Zukunft aber nur ihre Relevanz erhalten, wenn eine ausgewogene und verbindende Kunstförderung etabliert werden kann, welche die Autonomie der Kunst fördert. Die Digitalisierung schafft dafür die Grundlage: Wir müssen den Algorithmen die Förderentscheidungen überlassen! Nur so können wir die Bürokratie minimieren und die Autonomie maximieren. Doch nach welcher Ökonomie beziehungsweise welchen Kriterien und welchem Dateninput sollen die Algorithmen Entscheidungen treffen? Dazu muss man verstehen, wie Algorithmen funktionieren. Der Philosoph Matteo Pasquinelli formuliert das so: »Algorithmen machen im Prinzip nur zwei Dinge – Muster finden und Abweichungen von Mustern aufdecken«. Da stellen sich die Fragen: Welche Daten haben wir? Welche Muster können wir erkennen? Und was ist die Entscheidung? Können wir ›das Muster der Kunst‹ erkennen? Oder, noch besser – das Muster der ›guten‹, förderwürdigen Kunst?
Selbstverständlich ist das skizzierte Szenario ein Irrweg, der im digitalen Kapitalismus gerne gemacht wird, denn: Kunst ist nicht definierbar und bildet immer wieder neue Formen heraus, die in das Andere eingegliedert werden muss. So zeigt dieses Gedankenexperiment vielmehr, wie die Digitalisierung, wenn wir den heutigen ökonomisch institutionalisierten Denkrahmen übernehmen würden, das Ende der künstlerischen Autonomie bedeuten. Das Wissen darum, was Kunst ist, ist den Menschen schon länger verloren gegangen – und eine Maschine wird das nicht lösen. Egal, wie viele Daten sie erfasst.
Förderung der Künstler*innenschaft
Was wir stattdessen tun können ist, unser Förderkriterium daran anzupassen, was für Muster ein Algorithmus sinnvoll erkennen kann. Die Förderentscheidung muss von den ökonomischen Kriterien befreit werden (keine Kosten-Nutzen-Logik, kein Name und auch keine künstlerische Idee braucht eine Rolle zu spielen). Allein ob der/die Antragsteller*in kunstschaffend ist und zum Kunstmilieu gehört, ist entscheidend. Hier reichen Metadaten über die gegenseitige Vernetzung im Kunstmilieu. Mit dieser Veränderung kämen wir der Maximierung von künstlerischer Autonomie schon ziemlich nahe.
Das bedeutet aber, dass wir allen, die zum Kunstmilieu gehören, eine Förderung zugutekommen lassen – und damit wären wir sehr nahe an einer Art Grundeinkommen für Kulturschaffende, wie es gerade in der Corona-Krise verstärkt gefordert wurde. Vielleicht wäre das für die Kunst das Paradies auf Erden? Eher nicht, denn wir wollen die Erkenntnis nicht vergessen: Ein wenig Angst und Arbeit schadet nicht. Idealerweise würde der Algorithmus doch eine Bewertung vornehmen und versuchen, die oberen 25 % und die unteren 25 % des Kunstmilieus von einer Förderung auszuschließen (nach einer Standard-Normalverteilung). Das heißt, die stark Vernetzten und damit erfolgreichen und die, die gerade erst in das Netzwerk aufgenommen werden, fallen raus.
Wobei diese Grenzen diffus sind und es optimalerweise keine Sicherheit gibt. Die radikale Folge wäre, dass die Kunstproduktion erst einmal autonom ist, auch von der Kunst selbst – sofern man zum Kunstmilieu gehört. Dies würde viel Bürokratie und komplizierte Förderstrukturen sparen. Es wäre spannend sich zu überlegen, was mit der Relevanz und Wertzuweisung passieren würde? Hätten wir bald zu viel Kunst? Mehr Kunstabfall? Sollten wir die Größe des Kunstmilieus begrenzen, um einen klaren Kostenrahmen für die Gesellschaft zu definieren? Es ist zumindest anzunehmen, dass die Kunst einen längeren Atem haben würde und der ökonomische Druck nachließe. Unbedingt müssten wir diskutieren, ob der Grad an Vernetzung ›Erfolg‹ im Kunstmilieu definiert, ohne nur einseitig auf den Kunstmarkt, den Kurator*innenmarkt oder abseits davon zu schauen.
Die Digitalisierung kann uns befreien und es wird Zeit, dass die Künstler*innen das Fördersystem in ihrem Sinne reformieren. Hierzu gehört es auch, die Beziehung zwischen Kunst und Geldgeber*innen (die häufig extern sind) zu beleuchten und den zunehmenden Rechtfertigungsdruck zu hinterfragen. Denn durch die schleichende Ökonomisierung der Kunstförderung und den Versuch, Kunst vergleichbar, verfügbar, berechenbar, förderbar zu machen, geht die Berührung durch das unverfügbar Andere der Kunst verloren. Die künstlerische Relevanz oder Resonanzfähigkeit, wie der Soziologe Hartmut Rosa sagen würde, wird weiter abnehmen und damit gerade das reduzieren, was die Gesellschaft in der Kunst zu suchen scheint.
Die Digitalisierung der Kunstförderung könnte den Verlust beschleunigen oder aber einen dauerhaften unverfügbaren, autonomen und kontradiktorischen Kosmos in einer sonst ökonomisch digitalisierten Welt schaffen. Es ist an der Zeit, unterschiedliche Ideen für eine bessere, digitale Kunstförderung zu diskutieren und kulturpolitische Grundlagen zu schaffen, um die Relevanz der Kunst zu stärken.
Autor
Herr Clair Bötschi ist Künstler, Autor und Kulturmanager aus Stuttgart. Er forscht an den Verhältnissen und Beziehungen von Kunst zu Wirtschaft. Dabei liegt sein Schwerpunkt auf einer künstlerischen Praxis, die ökonomische Strukturen nutzt, entwickelt oder verfremdet – um damit selbst Kunst zu machen. Er arbeitet unter anderem als Projektleiter für den Kunstverein Wagenhalle und befasst sich mit innovativen digitalen Strategien in der Kunstförderung, Kunstproduktion und Kunstvermittlung.
Geld ist Macht. Diese Aussage ist so kurz wie sie irritierend erscheinen mag. Ich denke viel über Geld nach, oder genauer: Wie dieses im Rahmen der öffentlichen Kulturförderung (in meinem Falle der EU) eingesetzt wird und was antragstellende Einrichtungen tun müssen, um an dieses Geld zu kommen. Trotzdem bin ich oft überrascht darüber, wie wenig viele andere und sogar ich selbst am Ende dann doch über Geld nachdenken. Und dass wir uns selten fragen, wie Geld Möglichkeiten schafft oder verhindert.
Angeregt zu diesen Gedanken hat mich der Artikel von Dr. Henning Mohr in ebendieser Reihe #neueRelevanz der Kulturpolitischen Gesellschaft, meinem Arbeitgeber. Am 23.12. veröffentliche Henning Mohr seinen Artikel »Selbstbezüglichkeit statt Relevanz. Transformationsdefizite öffentlich geförderter Kulturorganisationen«. In diesem Text geht er der Frage nach, wie in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen mehr Innovation entstehen kann und wie die »Transformationsdefizite des Sektors« behoben werden können. Diese Frage brennt mir ebenso unter den Nägeln und mit diesem Beitrag möchte ich in einer Antwort näherkommen.
Henning Mohr kommt in seinem Text unter anderem zu dem Schluss, dass die dauerhafte Förderung durch die öffentliche Hand dafür sorgt, dass alles so bleibt wie es ist. Weil gefördert wird, was man eben immer schon so gemacht hat. Es bestehe »angesichts dieses in der Regel einigermaßen sicheren Finanzrahmens […] innerhalb der Systeme keine Pflicht zur Legitimation gegenüber fördermittelgebender Instanzen und damit auch kein Anpassungsdruck«. So sehr ich dieser Analyse grundsätzliche zustimme, will ich andere Konsequenzen daraus ziehen. Denn für mich steckt in dieser Schlussfolgerung der Glaubenssatz, dass Not erfinderisch macht. Und weil die öffentlich geförderte Kultur zu wenig erfinderisch ist, muss – überspitzt ausgedrückt – Not geschaffen werden.
Künstliche Verknappung
Ich denke diesen Ansatz für einen kurzen Moment weiter: Der sichere Finanzrahmen öffentlicher Förderung sorgt also für eine andauernde Selbstbestätigung und verhindert Veränderung. Das kann ich nachvollziehen: Man macht damit weiter, wofür man das Geld bereits das letzte Mal bekommen hat. Wie bringen wir also das System und mit ihm die Menschen dazu, sich zu ändern? Indem wir Geld erst wieder vergeben, wenn der Wille zur Veränderung sichtbar wird? Indem wir für finanzielle Knappheit sorgen? Ich denke, dass dieses Szenario möglich ist, aber nicht notwendigerweise so eintritt. Das einzige was an dem Ansatz Not macht erfinderisch jedoch sicher ist, ist die Not. Auf die Erfindung kann man dann bestenfalls noch hoffen.
Es wird sicherlich deutlich, dass ich vor allem die Vorstellung ablehne, dass Innovation nur durch äußere (ökonomische) Zwänge entsteht. Willkommen in der Welt des Homo Oeconomicus! Und ich gehe noch weiter und befürchte, dass finanzielle Not in stark hierarchisierten Kultureinrichtungen, wie unser Land sie zu genüge hat, diese Hierarchien zementieren statt auflösen wird. Und schließlich diejenigen übrigbleiben, die schon zuvor verhindert haben, dass sich etwas ändert.
Geld ist Macht
Damit zurück zu meinem Anfangsgedanken: Ich bin natürlich überzeugt davon, dass die Art und Weise, Geld auszugeben, Veränderung schafft. Das steckt für mich hinter dem Gedanken, dass Geld Macht ist. Deswegen will ich mehr über Geld reden! Nicht, weil ich machtbesessen bin, sondern weil ich Veränderung will. Und die hängt früher oder später immer am Geld. Es ist aber gar nicht so einfach über Geld zu sprechen in einer Branche, in der eigentlich niemand so richtig über Geld reden will. Vielleicht, weil wir es nicht gelernt haben oder weil es uns nicht interessiert oder wir gelernt haben, uns nicht dafür zu interessieren. Letzteres kann ich nach einem geistes- und sozialwissenschaftlichem Studium für mich reklamieren. Zweieinhalb Jahre Budgetplanung für den CED KULTUR und zahlreiche Beratungen von Kultureinrichtungen zu europäischen Kooperationsprojekten später bin ich anderer Meinung: Ich interessiere mich für Geld, weil es Veränderung erlaubt.
Die Diskussion um Geld für Kultur, die Kulturförderung, findet meines Erachtens aber allzu oft nur zwischen zwei argumentativen Polen statt: Zwischen denen, die mehr Geld fordern, und denen, die erwidern, dass diese Forderung nach mehr Geld schon vor Jahrzehnten gestellt wurde und sich trotzdem nichts geändert hat. Beide Positionen scheinen nachvollziehbar. Aber wenn weder weniger noch mehr die Lösung ist, müssen wir dann überhaupt über Geld reden? Ja, denn wir müssen darüber sprechen, wie es beantragt werden kann, wie es vergeben und wie kalkuliert wird.
Ein langes Gespräch
Geld vergeben und ausgeben muss erfinderisch werden. Denn Geld ausgeben ist eine Kunst, die inhaltliche Arbeit ermöglichen kann. Hier liegen die Herausforderungen: Wie verändere ich eine öffentliche Kulturförderung, sodass sie CO2-Reduktion zur Maxime erhebt? Oder sich einem intersektionalen Feminismus verschreibt? Oder sich selbst dekolonialisiert und die eigenen Praktiken rassismuskritisch hinterfragt? Damit sie das ermöglicht, was Sarah Braun ebenfalls in dieser Reihe fordert: »Deutungsräume für alle. Deutungshoheit für niemanden.«
Zu diesen Überlegungen gibt es sowohl deutschland- als auch europaweit bereits Menschen und Initiativen, die gute Ideen haben und umsetzen. Ich bin wahrlich nicht die Erste, die diese Fragen aufwirft. Aber sie treibt mich um und an: Wie schafft man Förderstrukturen, die das sind, was wir fordern: innovativ! Darüber müssen sich meines Erachtens alle Gedanken machen, die am Spiel beteiligt sind: Öffentliche Einrichtungen, die institutionelle Förderung erhalten, genauso wie Organisationen, die hauptsächlich Projektförderung erhalten. EU, Bund, Länder, Kommunen und private Fördereinrichtungen.
Ich möchte nicht auf die Not warten, um erfinderisch zu werden. Ich will jetzt über Geld reden. Auch wenn es ein langes Gespräch wird.
Autorin
Lea Stöver hat Ethnologie und Germanistik studiert und leitet seit August 2018 den Creative Europe Desk KULTUR (CED KULTUR). Gemeinsam mit ihrem Team berät sie Kultureinrichtungen und Kulturschaffende zu den Fördermöglichkeiten des EU-Programms Kreatives Europa KULTUR. Die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. ist Träger des CED KULTUR.
Disclaimer: Vorsicht Triggerwarnung! Dies ist ein neoabstraktes, literarisch-kubistisches Kunstwerk: 70% zynisch & sarkastisch, 20% »Ich kann es nicht fassen« und 10% »Ja, das ist mein Ernst«! 100% Satirisch
Wann immer Realpolitik sich davor drückt, klare Entscheidungen durch klare Haltungen, durch klare Rahmen und Grenzen, durch antigierende und integrierende Gesetze, sich selbst, also die eigene Essenz zu gestalten, immer dann wird in diesem großen Schweigen und Nichthandeln die Kulturpolitik den Preis der Prokrastination, der Stagnation, der flüchtenden Hochleistungspolitik zahlen müssen – zusammen mit der Kulturgesellschaft. Und wie das so ist, wenn die geforderte Zahlung verschleppt wird, …es wird teurer, für alle.
Wenn es Missverständnisse über die Grenzen sowie die Abgrenzung der Demokratie gibt, zum Beispiel zum Faschismus in Deutschland, wäre zur Klärung das Grundgesetz die Essenz, die es nach unserem Demokratieverständnis zu befragen gelte. Denn unser Grundgesetz ist unmissverständlich – selbst dann, wenn es interpretiert werden würde.
Wie kamen wir also zu einer Demokratie, die Faschismus als Meinungsspektrum legitimiert, obwohl klar ist, dass Faschismus ein absoluter Zersetzer, ein Endgegner per Definition jeder Demokratie ist?
Es gibt keinen demokratischen Faschismus. Das eine schließt das andere nun einmal aus.
Ebenso gibt es kein gefrorenes Feuer und keine kochendheißen Schneeflocken!
Faschistische Systeme können demokratische Systeme übernehmen.
Demokratische Systeme können aber keine faschistischen Systeme übernehmen.
In faschistisch politischen Systemen kann Demokratie nicht durch Landtagswahlen zurückgewählt werden. Wieso kann man also in einem demokratischen System Faschismus wählen?
Wenn also die Abschaffung der Demokratie in einer Demokratie möglich ist, kommt dies einer Abtreibung des Grundgesetztes gleich.
Behaupten wir, dass die Demokratie eine Frau ist und verheiratet mit dem Faschismus, ihrem Ehemann. Ist Demokratie eine Frau, die von ihrem faschistischen Ehemann misshandelt und missbraucht wurde, was letztlich unweigerlich zu ihrer Ermordung führen wird? Eine Frau, die es nicht geschafft hat ihren massiv gewalttätigen Ehemann Faschismus zu verlassen?
Obwohl diese Frau weiß, dass es ihren Tod bedeutet, bleibt sie mit ihren Kindern bei ihm.
Was also würde sie brauchen, diese Frau, um zu überleben und ihren Kindern eine faschismusfreie Zukunft zu ermöglichen?
Ihre Verwandten und Freunde bekommen das natürlich mit. Einige von ihnen sagen: »Naja, so schlimm ist es ja nicht. Du siehst ja noch ganz gut aus und so ist er nun mal. Du wirst lernen damit zu leben. Anderen Ländern geht es noch viel schlechter.« Andere raten ihr die Strategie der Wehr, denn schließlich sollten Frauen für sich einstehen. Die Frau Demokratie muss emanzipiert sein.
Der faschistische Ehemann richtet seine Gewalt nun auch gegen die eigenen Kinder.
Die Frau Demokratie bemerkt, dass ihre Kinder lieber auf der Straße sind, anstatt nach Hause zu kommen. Sie schreien verzweifelt: »Wir sind das Volk!«
Sie sucht das Gespräch mit ihrem Mann Faschismus in endlosen Talkshows.
Die Moderation übernimmt eine kluge Person, studiert, die immer wieder fragt, was denn die Frau falsch gemacht habe, um das gewalttätige Verhalten ihres Mannes Faschismus auszulösen?
Diese kluge studierte Person fragt die Frau Demokratie, ob sie sich diese Gewalt von ihrem Mann nicht einbildet? Ob das wirklich passiert? Denn es ergeht ja nicht allen verheirateten Frauen so, wie ihr.
Die Frau Demokratie wird auch gefragt, ob es nicht doch daran liegt, dass sie als Nicht-Mann, also als Frau, die Werte ihres Mannes nicht verstehen kann? Weil sie ja als Frau kein Mann ist und somit dessen Kultur, Sprache, Werte und Gebräuche nicht wirklich verstehen kann. Eigentlich ist sie ja auch ein Einzelfall, denn nicht alle faschistischen Ehemänner schlagen und misshandeln ihre Frau, die Demokratie.
Die kluge und studierte Person fragt, ob jemand vor der Frau Angst haben müsste, ob ihr Frausein nicht doch einen zu großen Unterschied zu der biologischen Kultur ihres Mannes als Mann darstellt? Vielleicht kommt es nur deshalb zur Ablehnung ihres Mannes, weil sie sich nicht richtig in die Werte der freiheitlichen Grundordnung als Meinung ihres Mannes Faschismus integrieren will.
Sie will seine Sprache weder lernen, noch verstehen oder sprechen, und der Mann versteht, dass sie das als Frau ja auch nicht kann und niemals können wird – weil sie kein echter Mann ist, rein von der biologischen Kultur her. Das ist einfach grundverschieden.
Dann fragt die kluge studierte Moderation die Frau nach ihren Erfahrungen mit ihrem Mann, und als die Frau anfängt zu erzählen, dass es mit Beschimpfungen und furchtbaren Ausdrücken ihres Mannes anfing und sie das unheimlich beschämte, weil es immer mehr wurde mit der Zeit, immer schlimmere Erniedrigungen dazu kamen. Beispielsweise das Anspucken vor den Schlägen und dann die Schläge in ihr Gesicht.
An dieser Stelle hakte die Moderation ein und fragte, ob sie das nicht doch missverstanden hätte, denn sie kennt andere Frauen, die in dieser Situation ganz anders reagieren und diese Beschimpfungen ganz anders einordnen und auffassen würden und das gar nicht problematisch finden.
Und diese kluge und studierte Person sagt, dass die Frau auch bedenken müsse, dass ihr Mann Faschismus das ja gar nicht so gewalttätig meint, wie er handelt.
Nutzt sie nicht die Toleranz ihres Mannes aus, da er ihr wirklich großzügig Verständnis entgegenbringt und auch einräumt, dass er natürlich sieht, dass die Frau kein echter Mann ist, und sie kann es als Frau natürlich auch nicht werden, egal wie sehr sie sich darum bemüht, auch dann nicht, wenn du hier in der schon vierten Generation als Frau geboren bist. Sie müsste sich ganz einfach in die Leitkultur des Mannes integrieren, auch wenn er sie schlägt, und da sie das Recht auf eine Opferberatung hat – was nicht jedes Land für Frauen anbietet müsste! – müsse sie sich glücklich schätzen hier zu sein. Hier gibt es auch ein Frauenhaus in das sie flüchten könne vor ihrem gewalttätigen Mann, wenn sie das Verhalten ihres Mannes als gewalttätig empfinde.
Und dass diese Gewalt von ihrem Mann auch eine Meinungssache ist. Nicht jeder, der sie schlägt und misshandelt, meint das auch so.
Sie ist ja schließlich die Demokratie und müsste das auch aushalten können.
Oder wurde sie einfach in ein Frauenhaus namens Cancel Culture eingewiesen?
Wo für Opferisierte wie sie ein sicherer Platz geschaffen wurde, wo sie mit Sicherheit schwach und hilflos bleibt, sodass ihrem Täterisierten also bestätigt wird, dass ihm als legitimierter gewalttätiger Faschismus-Ehemann der Zugang verwehrt bleibt. Ungehindert in seiner Bewegungsfreiheit hat er den sicheren Platz im öffentlichen Raum, denn dieser ist ja für die Frau immer eine Gefahr.
Warum also muss der Täter nicht in ein Männerhaus und wird dort beschützt vor seiner Gewalt, die sein Leben zerstört, weil er damit ihr Leben zerstört?
Warum ist der Täter nicht das Opfer?
Ist nicht das eigentliche Opfer des Täters das Opfer-zum-Täter-Machen, damit es nicht mehr Opfer sein muss sondern Täter sein kann? Ist derjenige Opfer, der sein Tätertum opfert, um das Opfer zum Täter zu machen?
Oder ist das Opfer zum Täter geworden, weil es das Opfer ist, das den Täter durch sein Opfer überhaupt erst zum Täter gemacht hat?
Wäre der Täter auf einen weiteren Täter getroffen, wer von den beiden wäre das Opfer?
Und würden zwei Opfer aufeinandertreffen, wer von ihnen wäre dann Täter?
Genau!
Also ist doch die Frage, die Frau Demokratie umtreibt, ob die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes Faschismus und Rassismus nicht auch als Wert schützen muss?
Ist Faschismus und Rassismus in einer Demokratie schützenswert?
Und wo würde da die Grenze sein?
Wenn Rassismus und Faschismus, antirassistische und antifaschistische Positionen sich als Unwert und Unrecht gegenüberstellen, ist das dann Demokratie und Meinungsfreiheit?
Würden Rassist*innen und Faschist*innen, Nicht-Rassist*innen und Nicht-Faschist*innen canceln?
Oder würde eine faschistische Kulturpolitik diese als schützenswert fördern müssen?
Und wenn Antifaschist*innen und Antirassis*innen Faschist*innen und Rassist*innen als Unwert und Unrecht einander gegenüberstellen, wären sie dann noch verfassungstreu im Grundgesetz?
Haben Faschist*innen und Rassist*innen nicht das Recht, so behandelt zu werden, wie sie es selbst für alle anderen wollen?
Genau!
Müssten nicht auch in einer Demokratie Faschist*innen und Rassist*innen durch die Kulturpolitik gefördert und unterstützt werden?
Oder ist das Grundgesetz faschistisch gegenüber faschistischen und rassistischen Positionen?
Und wieso kommt der faschistische Ehemann, der Gewalt ausübt, nicht sofort in U-Haft und wird von der Staatsanwaltschaft angezeigt?
Und was sagt nun der faschistischer Ehemann zu dem verwehrten Zugang zu seiner Frau, die vor seiner Gewalt in das Cancel Culture-Frauenhaus flüchtet?
Sagt er nicht sowas wie: Dass er das völlig daneben findet (während er öffentlich und vogelfrei in der Gesellschaft rumturnen kann) und es nicht sein könne, dass ihm der Zugang gecancelt wird, denn das würde seine Freiheit, seine Meinungsgewalt über seine Frau Demokratie auszuüben, ihn quasi in seinem Grundgesetz einschränken? Die Anti-Würde, Artikel 1, freiheitlichen Grundordnung verletzt, Meinung, Existenz cancelt?
Und eine Frau Demokratie müsse das schon aushalten, sonst ist sie ja keine Frau Demokratie mehr.
Und wenn die Frau Demokratie das nicht aushalten will, dann nur, weil sie in Wahrheit ein faschistisches Stück Scheiße ist, das mir den Mund verbieten will und so tut, als sei sie besser als ich, dabei ist sie genauso wie ich.
Auch wenn ich ihre Existenz dann versehentlich auslöschen könnte, darf sie die Ermordung ihrer Existenz nicht ausschließen, indem ich keinen Zugang mehr habe und meine Gewalt in dem Frauen-Cancel-Culture-Haus ausgeschlossen wird.
Das ist doch per Definition keine Demokratie.
Ist Cancel Culture also eine Form von faschistischer Demokratie?
Ist das Frauen-Cancel-Culture-Haus das Problem für die Demokratie – oder die faschistische Gewalt, die bestimmen will, was existieren darf und was nicht?
Ist also der Ausschluss von Rassist*innen das Problem der Meinungsvielfalt oder sind die Rassist*innen das Problem, die bestimmen, die ein Grundecht wollen, welche und wer als demokratische Meinungsvielfalt existieren darf und welche Meinungsidentität eben nicht?
Habe ich als misshandelte Demokratie nicht die Pflicht, mein Recht auf gewaltfreie Existenz einzufordern und mich mit all meinem Mut und meinen Möglichkeiten für den Ausschluss von Faschismus und Rassismus, welche mich entsorgen wollen, jagen wollen, mich erniedrigen und bedrohen, mich an der Grenze erschießen wollen, oder wie in Halle und Hanau erschossen haben, entgegen zu stellen und zu sagen: »Nein sorry, dein Verhalten ist gecancelt!«
Wenn Frau Baydars Existenz, ihr Leben von Faschist*innen und Rassist*innen mit dem Tode bedroht wird, ist das dann Cancel Culture?
Wenn Frau Lisa Eckharts Lesung im Nochtspeicher Hamburg wegen der Bedrohung, den Kulturort Nochtspeicher zu beschädigen, abgesagt wird, ist das dann Cancel Culture?
Ist das eine Kultur, die mein Leben cancelt, weil ein Anderer sein demokratisches Grundrecht auf freie Meinungsäußerung hat und lebt dieser Andere noch, wenn seine Meinung kritisiert und abgelehnt wird?
Ist also die Würde des Menschen, das Recht auf Leben, wichtiger? Oder ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, die eben auch faschistisch und rassistisch sein kann mehr wert, als das Leben, das es entwertet?
Ich wurde im Übrigen noch nie von Antirassist*innen oder Antifaschist*innen mit dem Tode bedroht.
Aus irgendeinem Grund sind sie an meinem Ableben nicht im mindesten interessiert.
Hmmm
Genau!
Ich selbst habe Rassist*innen und Faschist*innen auch noch nie mit dem Tode gedroht, verzeihen Sie mein undemokratisches Verhalten, ich war aus purem Egoismus zu beschäftigt damit, Faschist*innen, die mich töten wollen, zu überleben. Das macht mich wohl zu einer schlechten Demokratin, die einfach das Prinzip des demokratischen, faschistischen Meinungsspektrums nicht verstanden hat.
Wie würde hier also eine Neuausrichtung aussehen?
An dieser Stelle muss ich lachen, mit Verlaub, das kommt also ganz darauf an, an welcher Stelle des berühmt und berüchtigten Meinungsspektrums Sie selbst stehen, jeder einzelne kulturpolitische Körper ist es, der da zählt.
Welcher Standpunkt möchte denn etwas Neues?
Die Demokratie hat sich doch noch nicht einmal entschieden, etwas Neues zu wollen, denn natürlich wirft das-Neue-wollen die Frage auf:
Wenn Faschismus und Rassismus nicht mehr Teil des Meinungsspektrums sind, was würde sie ersetzten, was müsste seinen Platz einnehmen?
In Kreuzberg Berlin hat man den ersten Mai, den Tag der Arbeit und Arbeiter*innen-Demonstrationen /Krawalle mit einer 1. Mai Party ersetzt, vielleicht wäre das ein passender Ersatz für faschistische Demonstrationen.
Die Demokratie feiert die Faschist*innen einfach weg, so wie sie die Arbeiter*innen weggefeiert hat.
Nun gut, es gibt keine Arbeiter*innen mehr, sie wurden ersetzt mit Lohnempfänger*innen; etwas zu ersetzten, was es eh nicht mehr gibt, ist schon leichter, das räume ich ein.
Und welche zukunftsweisenden Strategien sollten von Kulturorganisationen entwickelt werden?
Ich halte adäquate Angebote für die beste Strategie.
Vielleicht ist die Zeit reif dafür, endlich Faschisten*innen und Rassisten*innen als Opfer der Demokratie zu sehen.
Vielleicht wäre es an der Zeit, ihnen einen Ort ähnlich dem Prinzip des Frauenhauses zu schaffen.
Ein Reservat 88 nur für die Deutschen, die gerne unter sich bleiben möchten, ausschließlich deutsch essen, trinken, leben, denken, bilden, arbeiten, lieben und lachen.
Ein Reservat irgendwo in Deutschland, in dem sie wirklich ohne den Terror der Demokratie leben können, ohne die Bedrohung der Ausrottung, der Umvolkung durch Menschen wie diese zutiefst verachtenswerte Antifaschistin Frau Baydar.
Vielleicht ist es an der Zeit, sie zu schützten in einem Reservatgebiet, in dem niemals ein*e Geflüchtete*r das Asylgesetz beanspruchen könnte, weil im Reservat das Opfer Faschismus heißt und der Täter Demokratie. Ich stelle es mir vor und sehe blühende Landschaften, blonde Lichtgestalten, die sich gegenseitig Siezen, und endlich frei leben.
Frei von den Untermenschen, die sie ersetzten wollten. Wie sie dort ihre Mütter und Väter heiraten können, um die Blutreinheit, den heiligen Gral, den deutschen Genpool, zu sichern – befreit davon, Rassist*in genannt zu werden. Weil niemand es mehr sein muss!
Nicht ein alimentierter Messerstecher, nicht ein rotzedummes Kopftuchmädchen – es gibt endlich keine Fremdkörper mehr, keine fremden, minderwertigen Produkte aus minderwertigen Ländern, keine fremden, minderwertigen Sprachen und minderwertigen Speisen, nur noch hochwertige Butter, hochwertigen Alkohol und hochwertiges Schweinefleisch, kulturell saubere Grundnahrungsmittel, eigener Rüben- und Kartoffelanbau und endlich die unendliche Freiheit, ein echter deutsch-Deutscher zu sein – bis hin zu den Reservatgrenzen, da, wo ein ausschließlich faschistisches Deutschland aufhört und ein einschließlich Nicht-faschistisches Deutschland anfängt.
Die Reservats-Frauen dürften endlich ihren Männern Untertan sein und ihrer unstillbaren Sehnsucht am Herd nachgehen, ihren kleinen, blonden, genetisch sauberen Nachkommen ihre ausschließlich Deutsche-Menschen-Kultur einbläuen.
Endlich keine Frauenhäuser mehr, denn eine gute echte Deutsche Frau gehorcht ihrem Mann oder Beate Tschäpe-like auch mehreren Männern, und muss sich durch Emanzipation im Zwang zur Arbeit, im Zwang zur Selbstbestimmung nicht mehr erniedrigen lassen.
Es bedarf auch keiner Polizei mehr, da echte Deutsche nie etwas Kriminelles oder Falsches tun. Walter Lübke oder der NSU wären nicht mehr notwendige Notwehr gegen die Feinde Deutschlands, weil sie endlich ein Deutschland leben dürften, ohne selbstgeschaffene Feinde, alle wären dort Freunde, weil sie Deutsche sind, das ist ja das Tolle am genetisch echten und kulturell richtigem Deutschsein.
Und es gäbe so viele Arbeitsplätze und endlich keine Rechtschreibfehler.
Wahlrecht wollen Faschisten*innen auch nicht, sonst wären sie ja Demokraten.
Der 1000jährige Frieden wäre endlich da, sie könnten zwei Wochen im Jahr reisen, aber sie würden es ja gar nicht wollen, zu viele Untermenschen, Ausländer, außerhalb der national-sozialistischen Reservatsgrenze, da genau wollten sie ja nicht.
Das wäre auch für den Klimaschutz ein Vorteil, kaum CO2-Verbrauch aus und in dem Reservat. Außerdem wäre ja sowieso alles Nichtdeutsche verboten.
Licht gibt es auch nicht, denn das hat kein Deutscher erfunden, also raus mit der Glühbirne und im Gleichschritt zur Feuerstelle, der Erfinder der Feuerstelle hatte keine Kultur, das geht!
Nur das, was Deutsche erfunden, geschrieben, gesungen und erdacht haben, wäre akzeptabel.
Herrlich, es gibt einfach nichts Nichtdeutsches!
Ein Traum, das Paradies für echte und richtige autochthone deutsch-Deutsche, ohne einen nichtdeutschen Hintergrund.
Nur ein*e echte*r Deutsche*r, also eine*r mit Ariernachweis, hätte das Recht auf einen Platz im Reservat und jedes Bundesland hätte eins.
Lasst sie uns schützen mit ihrer primitiven, einfachen, vernunftsbasierten Lebensart als Kulturgut dieser Republik. Ich finde, das sind wir ihnen schuldig – immerhin haben wir ihre Existenzberechtigung im demokratischen Meinungsspektrum vernichtet.
Das wären wir ihnen als humanistische, menschenrechtsbasierte Demokratie einfach schuldig.
Das wäre zumindest ein maßgeschneidertes Angebot, das sich die Kulturpolitik statt Cancel Culture selbst zum Angebot machen könnte.
Welche Aufgaben sollten damit in den Zuständigkeitsbereich der Kulturpolitik fallen?
Natürlich können Sie mich nach meiner Meinung fragen, aber um eine Antwort auf die Fragen zu bekommen, muss die Kulturpolitik nach ihrer eigenen Haltung fragen, um eine existenzielle Antwort zu bekommen.
Wenn die Kulturpolitik weiß, was ihre Haltung ist, sind alle Fragen beantwortet!
Die Positionierung meiner Meinung zu diesen Fragen kann der Kulturpolitik keine adäquate Antwort geben, nur die Fragen aus meiner Position heraus können die Kulturpolitik zu ihren Antworten inspirieren.
Ist das Leben von Frau Baydar bei Erschießung ebenso wiederherstellbar, wie ein zerstörter Auftrittsort?
Lebt Frau Lisa Eckhart weiter nach einem abgesagten Auftritt, oder ist ihre Existenz unwiederbringlich ausgelöscht?
Ist das Leben von Frau Baydar genauso viel Wert wie das von Lisa Eckhart?
Oder ist der Wert von Frau Baydars Leben eben eine Meinungsfreiheit?
Und entscheidet über den Wert von Frau Baydars Leben die Polizei, die das Grundgesetz als Strukturgeber ablehnt, sonst müssten sie es ja umsetzten.
Oder sind es der Verfassungsschutz oder Edeka, die über Frau Baydars Lebensberechtigung entscheiden?
Mich würde an dieser Stelle interessieren, was Herr Walter Lübke zum Freispruch des Mittäters in seinem Mordfall zu sagen hätte.
Das muss man als Demokrat dann aushalten?
Welche Rolle könnten also ermordete Künstler*innen in diesen Prozessen einnehmen?
Wer oder was wird hier also in seiner Existenz gecancelt? Wegen welcher Kultur und wegen wessen Meinungsfreiheit?
Hat Faschismus und Rassismus Cancel Culture als Kulturpolitik?
Oder ist die Demokratie einfach nur zu faschistisch, um rechtsradikalen Faschismus als Demokratie anzuerkennen?
Meinungen können der Kulturpolitik nicht die Entscheidung nach einer positionierten Haltung abnehmen.
Wenn die Polizei, die dritte Gewalt in der Demokratie, mutmaßlich an der Todesdrohung von Frau Baydar beteiligt ist und es ihr gestattet bleibt, dies nicht zu aufzuklären bzw. sie nicht zur Aufklärung ihrer eigenen Beteiligung gezwungen wird, dann wird sie auch nichts aufklären.
Welche Haltung darf die Institution Polizei also Frau Baydar gegenüber einnehmen?
Darf sie sich völlig unbeteiligen bzw. darf sie sich weiter am Faschismus beteiligen und nette rechtsradikale, faschistische WhatsApp-Gruppen pflegen?
Darf oder sollte das der Kulturpolitik völlig egal sein?
Eine demokratische Haltung, die Faschismus nicht zur Aufklärung zwingt, sondern sie als ihren eigenen Einzelfall versteht, ist schon längst am Ende.
Selbst wenn es 3 Millionen Einzelfälle sind, sind es doch verglichen mit 81 Millionen eben Einzelfälle. Gut, manchmal dreht sich auch das Verhältnis und 81 Millionen sind dann mal eben faschistisch, aber eigentlich wars ja doch nur ein importierter Einzelfall, der 81 Millionen zu Faschist*innen gemacht hat, richtig?
Das muss die Demokratie halt mal aushalten, sonst wäre es ja keine Demokratie, richtig?
Ist die Polizei Cancel Culture als Prinzip oder schützt sie die Bevölkerung nur vor der doofen Antirassistin Frau Baydar, also vor dem selbst-Schuld-Opfer?
Das selbst-Schuld-Opfer, das im Cancel-Culture-Haus sitzt, zusammen mit Frau Demokratie.
Zu welcher Haltung zu Cancel Culture, zu welcher Meinung über Cancel Culture müssen die kulturpolitischen Akteur*innen nach eigenem Vermessen des Werts ihrer eigenen Meinungskultur kommen?
Also frage ich Sie: Welche Transformation braucht der politische Kulturbetrieb?
Welche Aufgabe würde der Kulturpolitik an dieser Stelle zufallen?
Das ist eine Frage der eigenen, ehrlichen Entscheidung zu einer eigenen, politischen Haltung und zur Sehnsucht nach einer Demokratie, die den notorischen Einzelfall, die rassistischen, nationalsozialistischen Faschismus endlich als Menschenrecht anerkennen darf, richtig?
Genau!
Autorin
İdil Nuna Baydar, 1975 in Celle geboren, ist deutsche Comedienne, Schauspielerin und Social Influencer.
Im Dezember 2011 veröffentlichte sie auf YouTube ihre ersten Videos im Genre Sozialkritik mit Hilfe ihrer Kunstfiguren Jilet Ayşe und Gerda Grischke. Nachdem sie die Millionenklickgrenze durchbrochen hatte, entwickelte sie 2014 ihr erstes abendfüllendes Comedy-Programm. Seitdem tritt sie in verschiedensten Kabarett- und Comedy-Sendungen im Fernsehen auf und spielt in ihrer Rolle als Jilet Ayşe in diversen Internetformaten. http://www.idilbaydar.de/
In der Serie Pretend It’s a City spricht die Autorin Fran Lebowitz mit Martin Scorsese in sieben Episoden darüber, was es für sie bedeutet, in New York City zu leben. In einer Folge sagt sie: »Wenn die Leute fragen: ›Warum lebst du in New York?‹, kannst du ihnen nicht wirklich antworten, außer dass du weißt, dass du Verachtung für Leute hast, die nicht den Mut dazu haben.«
Es erfordert Mut, in einer Stadt zu leben. Die Stadt ist eine Dauerprovokation. Die Stadt bringt jede*n Einzelne*n dazu, die eigenen Komfortzonen zu verlassen. Mit anderen Bewohner*innen der Stadt kann die einzige (offensichtliche) Gemeinsamkeit der zufällig selbe Wohnort sein. Aber gerade das stellt auch den Reiz dar, in einer Stadt zu leben.
Kultur ermöglicht Begegnungen
Dem Kontakt mit Fremdem wird eine wichtige Funktion in der persönlichen Entwicklung des Menschen zugesprochen. Es gehört zum Leben dazu, sich der Unvorhersehbarkeit auszusetzen und dem, was zunächst als ›anders‹ wahrgenommen wird, so lange zu begegnen, bis es vertraut wird. Kulturpolitik kann solche Begegnungen ermöglichen und vor allem kann sie sie unterstützen. Indem sie Räume schafft, in denen Menschen mutig sein können.
In den kommenden Monaten wird es kulturpolitisch weiterhin oberste Priorität haben, Künstler*innen, Projekten und Initiativen, die Räume der Begegnung und des Experiments schaffen, nicht nur finanziell den Rücken zu stärken. Doch bewahren und retten allein genügt nicht. Es gilt, insbesondere die Orte zu stärken, die durch ihre Niedrigschwelligkeit zur sozialen Inklusion beitragen und damit letztlich die Stadt gerechter machen.
Insbesondere in den Städten außerhalb von Metropolregionen, in Klein- und Mittelstädten, muss Kulturförderung einen höheren Stellenwert einnehmen. Fördermittel sind dabei natürlich hilfreich. Viel entscheidender ist es aber, Künstler*innen und Kultureinrichtungen bei kommunalpolitischen Fragestellungen einzubeziehen: Wie können wir die Stadt für mehr Menschen attraktiver machen? Was muss die Stadt Jugendlichen nach ihrem Schulabschluss bieten? Wie lässt sich der Leerstand in den Innenstädten begegnen? Wie können Partizipation und bürgerliches Engagement gefördert werden?
Auf all diese Fragen können Künstler*innen Antworten geben – durch Mut zum Experiment und durch unkonventionelle, agile Ansätze Es braucht allerdings den Willen der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, einen offenen Austausch mit den Künstler*innen zu suchen. Es braucht eine Haltung der Stadtverwaltung, die vorgibt: Ihr seid willkommen mit euren Ideen. Wir unterstützen euch bei der Umsetzung. Um gehört zu werden, muss aber auch der Kulturbereich über den eigenen Tellerrand hinausblicken und ganz gezielt und vorurteilsfrei Allianzen mit anderen Gesellschaftsbereichen suchen. Nun, da der Einzelhandel in vielen Innenstädten brach liegt und Leerstand grassiert, sind mehr denn je neue Ansätze an der Schnittstelle von Kultur- und Wirtschaftsförderung notwendig.
Stadtentwicklung mit der Kultur
Kultur darf in Kommunen nicht als nice to have gesehen werden, sondern muss sehr selbstverständlich in allen Prozessen der Stadtentwicklung mitgedacht werden. Dazu gehört, dass sich die bestehenden Kulturorte für die Stadtgesellschaft öffnen und gezielt in die Städte, Kieze und Nachbarschaften wirken. Beispielhaft ist das Berliner EFRE-Programm »Bibliotheken im Stadtteil« (BIST), das Projekte in öffentlichen Bibliotheken, die Partnerschaften in der Nachbarschaft schließen und dadurch neue Besucher*innen gewinnen, fördert. Das Neustart-Programm Kultursommer 2021 der Kulturstiftung des Bundes ermöglicht pandemiekonforme Projekte zur kulturellen Wiederbelebung der Städte. Es ist notwendig, solche an die Stadtgesellschaft gerichteten Förderprogramme zu eruieren und zu verstetigen.
Junge Menschen sollten konkret in die Ausgestaltungsprozesse vor Ort durch auf sie zugeschnittene Beteiligungsformate, wie zum Beispiel Jugendparlamente, eingebunden werden, um mit über das Konzept und die Ausgestaltung von neuen oder bestehende Kulturorten zu entscheiden. Dabei müssen vor allem aber nachhaltige, klimaneutrale Ansätze gefunden werden, die generationengerecht die Interessen der heutigen und zukünftigen Stadtmenschen abwägen. Auch hier können Kultur- und Kreativschaffende mit ihren Fähigkeiten in der Lösungsfindung einen wichtigen Beitrag leisten.
Margarete Stokowski plädiert in ihrer Spiegel-Kolumne »Erst die Wohnung renovieren, dann die ganze Stadt« für einen stadtpolitischen Ansatz, der nicht die Steigerung der Konsumangebote, sondern das Schaffen von Begegnungsorten im städtischen Umfeld an erster Stelle positioniert. »Wer Komfort [wie einen Toilettengang, Anm. D. Red.] will, muss meist konsumieren«, schreibt sie. Zugängliche Orte, an denen Menschen ihre Freizeit verbringen können, brauche es. Für diese Orte gibt es vor allem in den Klein- und Mittelstädten viel Raum, der erobert werden will.
Basale Kultureinrichtungen wie Öffentliche Bibliotheken, Musikschulen, Jugendkunstschulen und kommunale Museen, aber auch Volkshochschulen sind solche Orte, die Menschen von Klein bis Groß anregen, sich mit ihrer Umgebung zu befassen. Es sollte kommunalpolitischer Anspruch sein, diese Kulturorte so auszustatten, dass sie ihre Potenziale entfalten können – während der Krise und danach. Dass dies in vielen Bundesländern nicht allein durch kommunale Ressourcen funktionieren kann, liegt auf der Hand. Hier müssen die kommunalpolitisch Verantwortlichen sich ganz gezielt um Fördermittel für ihre Kulturorte bei den Ländern, beim Bund, aber auch bei der EU bemühen.
Insbesondere Bibliotheken wirken in die Stadtgesellschaft hinein. Sie ermöglichen Begegnungen in einem Raum, der von Vertrautheit geprägt ist, und sind Treffpunkt für Nachbarschaft und Kiez. Sie sind dabei viel mehr als Orte des Lesens und des Ausleihens von Büchern, sondern fungieren als Dritte Orte, in denen jede*r in gleichem Maße Zugang zu Bildung und Informationen hat. Durch das Treffen auf das/die Fremde/n in der Bibliothek sind Aushandlungsprozesse notwendig, die im besten Fall zu neuen Formen und Strukturen des Zusammenlebens und letztlich zu mehr sozialer Inklusion und Gerechtigkeit führen. Die Öffentliche Bibliothek steht in diesem Sinne charakteristisch für andere Kultureinrichtungen, die sich an die Stadtgesellschaft richten. Dabei sind die Mitarbeitenden in den Einrichtungen von zentraler Bedeutung. Sie sind die Seismografen für die gesellschaftliche Situation in der Stadt. Sie treffen auf Besucher*innen, die mit ihren Ängsten, Wünschen, Träumen und Hoffnungen in die Bibliothek, die Musikschule oder das städtische Museum kommen. Diese Stimmungen können die Mitarbeitenden in den Kultureinrichtungen wiederum in die Stadtgesellschaft transferieren.
Neue Relevanz für die Kulturpolitik in der Stadt
Wenn die Kulturpolitik sich dieser bestehenden Ressourcen bewusst ist und sie gezielt einbindet, entsteht #neueRelevanz. Sie entsteht, wenn Kulturpolitik sich uneingeschränkt dafür einsetzt, die Stadt inklusiver und gerechter zu gestalten und wenn sie ihre Forderung nach einer mutigen Stadtpolitik, die alle einbindet, auch in Fragen der Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung deutlich macht.
Autor
Daniel Deppe hat in Lüneburg, Würzburg und Warschau Politikwissenschaft und Soziologie studiert. Seit 2020 koordiniert er in der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa ein Projekt zur Stärkung der Öffentlichen Bibliotheken auf europäischer Ebene im Rahmen der EU-Städteagenda und betreut in der EFRE-Strukturfondsförderung der Kulturverwaltung Berliner Kultureinrichtungen, insbesondere Öffentliche Bibliotheken, bei ihren Projektvorhaben. Davor war er u.a. als Projektmanager und im Projektcontrolling bei der Initiative Musik und dem Kompetenzzentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes tätig.
Von der Corona-Pandemie in den Schatten gestellt, ist und bleibt der Klimawandel trotz allem eines, wenn nicht das drängendste Thema unserer Zeit. Wir alle wissen, dass die nächsten neun Jahre entscheidend sind für den Verlauf des Klimawandels und alles darangesetzt werden muss, die Klimaziele 2030 zu erreichen. Im Rahmen unserer Masterarbeit haben wir uns seit Anfang 2020 intensiv mit Nachhaltigkeit in der Kultur auseinandergesetzt. Innerhalb unseres Forschungszeitraumes konnten wir beobachten, wie das Thema in verschiedenen Veranstaltungen, Kongressen, Web-Talk Reihen oder Nachhaltigkeitsforen zunehmend in den Mittelpunkt rückte und einen wachsenden Zuspruch seitens der Kulturschaffenden erfährt. Auffällig ist bis heute, dass der Wille, aktiv zu werden, bei den Teilnehmenden überwiegend sehr groß ist, ebenso aber auch die Ratlosigkeit über das Wie?.
Um diese Frage zu beantworten, braucht es dringend den Aufbau von Handlungswissen. Da in den öffentlich geförderten Institutionen vor allem die Leitungsebene Themen setzt, ist sie es, die einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob Nachhaltigkeit strukturell in das Haus integriert wird. An diesen Stellen müssen also Bewusstsein und Absicht vorhanden sein, nachhaltige Produktionsweisen voranzutreiben und zu implementieren. Die eigenen Überzeugungen und Denkmuster stellen dafür die entsprechenden Weichen.
Die Rolle der Ausbildung – »business as usual«?
Beim Blick zurück in unseren Studienverlaufsplan mussten wir feststellen, dass auch die nachkommenden Generationen von Kulturmanager*innen nicht für diese zukünftigen Herausforderungen ausgebildet werden. Bisher basiert – ähnlich wie in Kulturbetrieben – die Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch größtenteils auf Eigeninitiative. Die Lehre verfolgt bisher das Credo »mehr, öfter, größer« – als wäre alles wie immer. Würden wir Grafiken zur Erderwärmung als Maßstab für unser Handeln setzen, wäre jede Form von business as usual unmöglich. Und das, obwohl wir im Diskurs bereits weit über den Punkt hinaus sind, an dem der Klimawandel und seine Konsequenzen Aspekte sind, mit denen man sich beschäftigen kann, sofern sie im eigenen Interessensbereich liegen.
Stattdessen sollte in der Ausbildung zukünftiger Kulturschaffender viel stärker hinterfragt werden, inwiefern bestehende Systeme und Strukturen noch zeitgemäß und mit der bevorstehenden Transformation vereinbar sind. Dabei wäre das Studium genau der richtige Ort, um sich mit der Bedeutung des Klimawandels für den Kulturbereich auseinanderzusetzen.
Fragen, auf die es Antworten braucht
Hier könnte gefragt und erforscht werden, was der Klimawandel für das eigene Schaffen bedeutet oder welche Modelle es für nachhaltige Kulturproduktion gibt. Wie geraten Internationalität und Interkulturalität unter Einhaltung von CO2-Neutralität in keinen Widerspruch? Wie sehen die Orchester der Zukunft aus, wenn Touren rund um den Globus nicht mehr zum Alltag gehören? Wie sind hochwertige Produktionen ressourcenschonend möglich? Wie kommt man von Materialverschwendung zu Materialkreislauf?
Diese und andere Fragen müssen diskutiert werden! Dafür braucht es Raum für Experimente und Zeit zum Ausprobieren, Offenheit und Mut. Das Studium könnte ein Labor für solche Gedankenspiele und Beispielprojekte werden. Fehlende zeitliche und personelle Ressourcen sind unter anderem Gründe, die es Kulturinstitutionen erheblich erschweren, Nachhaltigkeit zu integrieren. Forschungsprojekte, die sich mit oben genannten Fragen beschäftigen, können hier wichtige Impulse für Kulturinstitutionen liefern.
Neben diesen grundlegenden Betrachtungen müssen auch fachliche Kompetenzen vermittelt werden. Zum Handwerkszeug aller Kulturmanager*innen sollte Wissen über nachhaltiges Wirtschaften im Rahmen des derzeitigen Vergabe- und Zuwendungsrecht gehören. Mittelfristig bedarf es in diesem Verwaltungsbereich selbstverständlich größerer Veränderungen durch eine (Kultur-)Politik, die Nachhaltigkeit aktiv fördert und unterstützt. Leider benötigen diese politischen Prozesse aber Zeit, deswegen ist es umso wichtiger, im bereits heute möglichen Rahmen Handlungsspielräume für Nachhaltigkeit wahrzunehmen.
Ebenso werden Datenerhebung und Reduzierung der eigenen Emissionen immer wichtiger werden. Ohne Status quo des Verbrauchs können keine Strategien zur Reduzierung ausgearbeitet werden. Welche Handlungsfelder und Stellschrauben in einem Kulturbetrieb bestehen, wie eine CO2-Bilanz erstellt und der eigene Verbrauch dokumentiert wird, sollten daher auch zu den Grundlagen des Studiums gehören. Denn es ist eine Frage der Zeit, bis auch Kulturinstitutionen Auflagen hinsichtlich der Einhaltung (ökologisch) nachhaltiger Kriterien gesetzt werden.
Utopien denken lernen
Kulturschaffende sehen sich heute mit der Nachhaltigkeitstransformation konfrontiert, zu der ihnen schlichtweg das Know-how fehlt. Veränderungen in den Curricula brauchen natürlich Zeit, aber für die Zukunft würden wir uns wünschen, dass die Ausbildungsinhalte nicht mehr dazu anleiten, die bestehenden Modelle zu repetieren. Stattdessen könnte die Lehre innovative Denkanstöße für die nachhaltige kulturelle Transformation geben. Es ist zu spät, sich erst im Berufsleben mit den Fragen von nachhaltiger Kunst- und Kulturproduktion auseinanderzusetzen. Nachhaltigkeit sollte keine Option mehr sein, sondern das Fundament, auf das eine zukunftsfähige Kulturbranche aufbaut.
Der Klimawandel gehört sicherlich zu einer der herausforderndsten Aufgabe der Menschheit. Aber genau in der Findung von kreativen Lösungen steckt bekanntlich die Stärke von Kunst und Kultur: Utopien denken, Fragen stellen und Experimente wagen, sind schließlich Kernkompetenzen von Künstler*innen und Kulturschaffenden. Warum also nicht daran anknüpfen und der Frage nach dem Wie? mit zukunftsfähigen und mutigen Ideen begegnen?
Autorinnen
Vera Hefele und Teresa Trunk lernten sich im Masterstudium Kultur- und Musikmanagement an der Hochschule für Musik und Theater München kennen. Neben ihrer Tätigkeit als Kulturmanagerinnen setzen sie sich seit ihrer Masterarbeit mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Kultur auseinander. Im Jahr 2020 gründeten sie gemeinsam das Projektbüro WHAT IF für nachhaltige Kultur.
Warum wir uns gerade in der Krise mit Nachhaltigkeit beschäftigen müssen
Kein Text zu den wichtigsten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen könnte heute geschrieben werden, ohne auf den Bruch in unserer Geschichte einzugehen, den die weltweite Pandemie als Naturkatastrophe ausgelöst hat. Die Langzeitfolgen lassen sich heute nur schwer prognostizieren, sicher scheint aber, dass die Auswirkungen in vielen Ländern und Gesellschaften noch jahrzehntelang und in ganz unterschiedlichen Bereichen spürbar sein werden – in Wirtschaft und im Sozialwesen, in der Bildung und auch in der Kultur.
Gleichzeitig erkennen wir, dass die Lockdown-Regelungen in Deutschland an einigen Stellen etwas geöffnet haben, Verkrustungen und Verhärtungen gelöst wurden und Unvorstellbares innerhalb kürzester Zeit möglich schien. Die Digitalisierung hat einen Schub erfahren. Menschen sind – zumindest virtuell – näher zusammengerückt, obwohl sie sich weiter denn je voneinander entfernen mussten. Bürger*innen in vielen Ländern haben gezeigt, dass sie bereit sind, auf jahrhundertelang umkämpfte Freiheitsrechte zu verzichten, um ein höheres Ziel zu verfolgen: die Eindämmung der Pandemie. Ist es also möglich, dass sich in unserer Gegenwart eine Verhaltensänderung Bahn bricht, die große Teile der Wissenschaft schon seit mindestens den 1970er Jahren einfordern? Nämlich: ein tatsächliches Umdenken hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise?
Trotz einiger weniger Initiativen und Publikationen, zum Beispiel derer der Kulturpolitischen Gesellschaft, insbesondere der von Hildegard Kurt und Bernd Wagner, verhandeln wir einen Nachhaltigkeitsdiskurs in Kunst und Kultur erst seit wenigen Jahren. Dazugehörige große Narrative werden womöglich später (nach der Krise?) in den Künsten entwickelt. Warum?
In Grenzsituationen öffnen sich unsere Seelen
Nachhaltigkeit ist ein sperriger Begriff und lässt sich kaum in unser emotionales Verständnis übersetzen. Der Philosoph Karl Jaspers hat, Bezug nehmend auf seinen Kollegen Wilhelm Dilthey ( »Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir« 1924: 144), die Naturwissenschaft in ihrer Eigenschaft des Erklärens von den Geisteswissenschaften als verstehende Lehre und Forschung unterschieden. Jaspers, der sich in seiner Philosophie insbesondere mit den Grenzen des Seins beschäftigte, stellte weiter fest: Erklären ließe sich alles. Oder: Dem Erklären sind keine Grenzen gesetzt. Das Verstehen allerdings sei begrenzt (z.B. durch die Grenzen der Einfühlbarkeit). Die Grenzen des Verstehens gelte es immer wieder zu erweitern. Unsere Seele werde offen an den Grenzen, hier könnten wir untersuchen, was wir der Möglichkeit nach selber sind (siehe u.a. Karl Jaspers: »Allgemeine Psychopathologie« 1913, »Die Psychologie der Weltanschauungen« 1919, »Einführung in die Philosohie« 1950).
In Bezug auf Nachhaltigkeit heißt das, die Naturwissenschaften haben den Zustand der Umwelt und die Dringlichkeit zum nachhaltigen Denken und Handeln längst erklärt und die entsprechenden Ableitungen zu weiteren Entwicklungen publik gemacht. Wir hingegen haben diese Erkenntnisse noch nicht in der Art verstanden, als dass wir dringend notwendige Veränderungen in unserer Lebensweise vornehmen würden. Der Philosoph David Hume nahm an, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung würde man nicht durch Vernunft, sondern durch Erfahrung entdecken – folglich würde menschliches Verhalten in erster Linie durch Gefühle und Affekte gesteuert. Humes Ansatz hält als Erklärung für den Umstand her, dass sich eine nachhaltige Lebensweise, wie sie bereits viele Jahre von den Wissenschaftler*innen gefordert wird, noch nicht ausreichend aus der Vernunft heraus durchsetzen konnte.
Kunst und Kultur im Nahbereich
Wie sollten wir uns auch einfühlen können in Ereignisse, die doch – zumindest für uns in Deutschland – oft in so weiter Ferne, also außerhalb unseren unmittelbaren Alltages liegen? Wenn sich Veränderungen direkt in unserem Nahbereich, also in dem, was wir mitunter auch als Heimat verstehen, in einem Ausmaß abzeichnen, dass wir sie nicht mehr unbemerkt lassen können (etwa: Dürreperioden, Abnahme der Artenvielfalt oder Armut), würden wir beginnen unseren Nahhalt, das, was uns im Nahen hält, sichern zu wollen. Aus diesem Bedürfnis würden sich Veränderungen ganz natürlich ergeben entstehen – gerade um das, was war und ist, zu bewahren.
Unser Nahhalt hat freilich mit Kunst und Kultur zu tun, denn diese wirken direkt hinein. Über künstlerische Erlebnisse finden Verbindungs- und Verständnisprozesse statt und unser Mitgefühl wird angeregt. Der bereits erwähnte David Hume hat darauf hingewiesen, dass Mitgefühl gleichrangig zur Vernunft die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bestimmt. Wenn sich Kunst und Kultur mit Nachhaltigkeit beschäftigen – und diese Entwicklung lässt sich glücklicherweise derzeit an vielen Initiativen und künstlerischen Projekten erkennen – dann kann es uns gelingen, in den Nahbereich der Menschen hineinzuwirken, Mitgefühl zu wecken und Verstehensprozesse anzuregen und die Dringlichkeit von Nachhaltigkeit dauerhaft anzulegen. Verstärkt wirkt dieser Vorgang durch die Krise, wie wir sie derzeit erleben. In dieser Grenzsituation öffnen wir unsere Seelen, erweitern unser Verstehen und können zukünftig die Grundlage für einen anderen Umgang mit dem ermöglichen, was uns die Naturwissenschaften bereits als Problem erklärt haben: dem Klimawandel.
Wandel im Nötigen – Anknüpfung an Bewährtes
An einigen Stellen kann man (noch) Skepsis hören gegenüber strukturellen Veränderungen im Kulturbereich: Die Unvereinbarkeit von Nachhaltigkeit und Kunstfreiheit wird postuliert. Die Vermutung, dass der eigene Sektor bei Umweltbelastungen im Vergleich zu anderen Sektoren unbedeutend sei. Aspekte wie Kostensteigerung oder rechtliche Hürden und Hindernisse etwa im Vergaberecht.
Erstes Argument ist ein vorgeschobenes, denn niemand stellt in Bezug auf Nachhaltigkeit die Kunstfreiheit in Frage. Diese Frage werfen eher diejenigen auf, die unter Nachhaltigkeit vorschnell Verzicht oder Einschränkung verstehen, anstatt eine kritisch abwägende Haltung zum Einsatz von Ressourcen. Zweites Argument mag zutreffen, kann aber doch nicht weiterführend sein, wenn Nachhaltigkeit eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist und jede*n von uns betrifft. Kostensteigerungen sind womöglich kurzfristig tatsächlich zu erwarten, können aber langfristig zu Kostenminderungen führen. Weitere Hindernisse und Hürden werden bereits in Angriff genommen, beispielsweise gibt es schon interne Überlegungen, wie das Vergaberecht im Hinblick auf nachhaltige Aspekte verändert werden muss.
Wichtig ist, sich in eine ehrliche Selbstbefragung zu begeben, keine vorgeschobenen Gründe gelten zu lassen, und vielmehr zu schauen: Was ist möglich und was nicht? Etwa: Trennen wir Müll im Theater? Wie sieht die Mobilität in meiner Kultureinrichtung aus? Wo könnten kleine Veränderungen vorgenommen werden, und wo große? Und: Wie kann meine Kultureinrichtung zu einem gemeinsamen Ziel, nämlich dem zukünftigen guten Leben für alle, beitragen?
Den gesamtgesellschaftlichen Wandel mitzugestalten und im Nahhalt zu wirken, liegt auch in der Verantwortung von Kunst und Kultur. Dabei sollte immer hinterfragt werden, was gut ist und was erhalten bleiben muss. Wir müssen an dem anknüpfen, was bereits war und das Nötige dafür vornehmen, um besser als bisher zu werden. Erst dann kann Kultur ihre Aufgabe erfüllen und die »Beschaffung einer Vorstellung von den Fernwirkungen« (Hans Jonas, »Das Prinzip Verantwortung«, 1979) mit dem unentbehrlichen Handeln im Nahbereich verknüpfen.
Autorin
Juliane Moschell ist Abteilungsleiterin Kunst und Kultur in der Landeshauptstadt Dresden, studierte Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur in Marburg sowie Kulturmanagement in Hamburg und arbeitete an Theatern in Koblenz, Frankfurt/M und Dresden. Seit 2017 ist sie tätig für das Amt für Kultur und Denkmalschutz. Nachhaltigkeit hat sie in die Kulturentwicklungsplanung Dresdens eingebracht und leitet das vom Rat für Nachhaltige Entwicklung geförderte Projekt Culture for Future.
Anmerkungen für eine neue Kulturpraxis in den Darstellenden Künsten
In der aktuellen, einzigartigen Situation zeigt sich der Wert von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft wie nie zu vor. Die Krise ermöglicht uns gleichzeitig einen Moment des Innehaltens und Reflektierens, des Abstands. Wir können eine ehrliche Bestandsaufnahme wagen. Denn die Corona-Pandemie hat die Lage der Kulturschaffenden im Bereich der Darstellenden Künste, insbesondere der freiberuflichen Künstler:innen, in ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein gerückt. Zahlreiche Fehlstellen, die bereits vor der Pandemie deutlich waren, treten hierbei umso klarer hervor: Die vernachlässigte Modernisierung der Betriebs- und Arbeitsstrukturen in den institutionalisierten Theatern, die nicht auf die Lebensrealität abgestimmte Gesetzgebung für freischaffende Künstler:innen mit ständig wechselnden Beschäftigungsformen, den lückenhaften und schwachen Tarifvertrag für künstlerische Mitarbeiter:innen. Seit Jahren bemühen sich etablierte Interessenverbände der Kulturschaffenden, die Entscheidungsträger:innen in der Politik, die Träger kultureller Einrichtungen und die Gewerkschaft mit Handlungsempfehlungen zu versorgen und das Theaterpublikum für ihre Bedürfnisse und widersprüchlichen Arbeitsrealitäten zu sensibilisieren.
Die Krise als Chance!
In der Krise haben alle Stakeholder wie Mitarbeiter:innen, Communities, Zuschauer:innen und Interessenverbände der Darstellenden Künste die Möglichkeit, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam eine Absicht zur verfolgen: Die Transformation in eine relevante Kulturpraxis. Dem Wunsch, nach der Pandemie in eine ›Normalität‹ zurückzukehren, alles beim Alten zu belassen, lehnen wir entschieden ab – das Letzte, was wir tun sollten, wäre, alles wieder genauso so zu machen, wie wir es vor der Pandemie getan haben. Doch wie können wir den historischen Moment der Krise nutzen, um die Theaterwelt zu transformieren? Welche Maßnahmen müssen wir entwickeln, damit Arbeitnehmer:innen, Vertreter:innen, Freischaffenden oder Theaterinstitutionen die notwendigen Kapazitäten, Mittel, Einkommen und Instrumente zur Verfügung haben?
Im Folgenden werden wir drei Punkte beleuchten: Die Notwendigkeit, dass darstellende Künstler:innen besser über ihre Rechte fortgebildet werden. Das Erfordernis, dass Kulturorganisationen ihre Betriebs- und Arbeitsstrukturen modernisieren. Und die Pflicht, dass die Gesetzgebung die besonderen Arbeitsvoraussetzungen und Bedingungen der darstellenden Künstler:innen – insbesondere der freischaffenden darstellenden Künstler:innen – besser widerspiegelt.
1) Darstellende Künstler:innen müssen besser über Rechte fortgebildet werden!
Das neue New York ist die hybride Interessenorganisation Die Gründung von neuen Netzwerken und Interessenvertretungen ist laut der Soziologin Dr. Alexandra Manske »Ausdruck einer neuen, kreativen Mitbestimmungsfantasie«. Hier vernetzen sich Künstler:innen in etablierten Interessenverbänden, hier bilden sie sich fort, um ihre Ziele zu formulieren. Sie lösen die etablierten Gewerkschaften – allen voran die GDBA – zwar nicht ab, aber können als Symptom einer Gewerkschaftsvertretung gesehen werden, die die besonderen Arbeitsbedingungen von künstlerischen Berufen nur mangelhaft erfasst hat. Durch die kontinuierliche Bildungsarbeit der Interessenverbände mit Veranstaltungen wie UTOPIA.JETZT: Der Bundeskongress der freien Darstellenden Künste (BFDK) der Bundesweiten Ensemble-Versammlung (ensemble-netzwerk) oder der digitalen Fortbildungsreihe out and about (dancers connect) ist das Bildungsniveau der darstellenden Künstler:innen deutlich gestiegen. Sie nutzen das Wissen und nehmen die Rolle von Kulturlobbyist:innen ein, die meist mit ihren ästhetischen Mitteln für ihre Bedürfnisse kämpfen. Sie üben Demokratie und Selbstwirksamkeit mit Aktionen wie 40.000 Theatermitarbeiter:innen treffen ihre Abgeordnete, die mit dem FAUST Theaterpreis ausgezeichnet wurde, oder mit der Verleihung des Bühnenheld:innen Preises des Aktionsbündnisses Darstellende Künste.
Politik, Theaterbetriebe und Bildungseinrichtungen müssen erkennen, dass die politische Bildung, das zunehmende sozialpolitische Engagement und Eigenverantwortung für verbesserte Arbeitsbedingungen eine entscheidende Voraussetzung darstellt für die Vitalität und Qualität des kulturellen Lebens in unserem Land – und deshalb im Interesse aller liegt!
Daher sind folgende Schritte notwendig: – Der Aufbau eines Weiterbildungszentrums für Fragen des Arbeitsrechts, Ethik und Soziales für den Bereich der Darstellenden Künste und die gesamte Kultur- und Veranstaltungsbranche
– Aufbau digitaler Bildungsformate und Bildungskonferenzen der Darstellenden Künste in enger Zusammenarbeit mit relevanten Kulturschaffenden und Vermittler:innen der Darstellenden Künste
– Die Einbeziehung von mehr fachbezogenen Exper:tinnen bei der Besetzung von Leitungspositionen als verpflichtenden Bestandteil von Findungskommissionen und Auswahlgremien
2) Etablierte Kulturorganisationen brauchen Unterstützung durch Know-how und finanzielle Mittel zur Modernisierung ihrer Betriebs- und Arbeitsstrukturen!
Transformationsbedarfe in den Kulturorganisationen Prof. Dr. Thomas Schmidt bietet in seiner Forschung zu modernem Theatermanagement Ansätze für die Ausrichtung einer modernen künstlerischen Organisation, die die künstlerische Qualität und das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter:innen besser erkennt und fördert. Er beschreibt, dass eine zukunftsweisende Transformation nur gelingen kann, wenn die Kulturminister:innen und Kulturämter der Kommunen ihre Regeln, Verwaltungsvorschriften und Finanzierungsklauseln lockern und Prozesse der Transformation finanziell fördern. Sie müssen den Theaterinstitutionen ermöglichen, ihren Betrieb im Sinne der Wirksamkeit, Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und Stabilität besser zu führen.
Die Handlungsempfehlungen von Schmidt aufzugreifen, hieße: – Die Transformation des bestehenden Intendantenmodells hin zu dem Modell eines Direktoriums (entsprechend den künstlerischen Sparten)
– Die Transformation der Organisationskultur der Stadttheater hin zu einer kreativen Multi-Funktions-Organisation
– Die Umgestaltung des Theaters in eine lernende Organisation, in der »Lernen gefördert und belohnt, und vor allem dafür eingesetzt wird, strukturelles, konzeptionelles und praktisches Wissen für einen Umbau des Theaters zu sammeln und allen Mitarbeiter:innen dauerhaft zur Verfügung zu stellen« [1]
Entscheidend ist der Gedanke, dass die Qualität von Kunst und seiner Wirkung wesentlich bestimmt wird durch gegenseitigen Respekt und kommunikatives Geschick der am künstlerischen Schaffen Beteiligten. Dieser Aspekt, der zwar nicht allein, aber sicherlich mitentscheidend für das künstlerische Gelingen ist, wurde in der Vergangenheit zu wenig bedacht. Eine Transformation der künstlerischen Praxis hätte den Einfluss, die Kommunikationsstrukturen im Sinne eines stärkeren Miteinanders auch in den komplexen Verhältnissen einer Kulturinstitution besser zu gestalten.
Konkret könnte dies heißen: Es braucht ein Theaterlabor, das in den kommenden fünf Jahren von Bund und Ländern in ausreichender Weise gefördert wird, um zukunftsfähige Modelle in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen zu erproben, zu evaluieren und die Erkenntnisse den bundesweiten Theatern und ihren Trägern zur Verfügung zu stellen.
3) Die Gesetzgebung muss die Arbeitsrealitäten der darstellenden Künstler:innen widerspiegeln!
Hybride Was? Freiberufliche Künstler:innen sowie Kunstschaffende mit hybridem Erwerbsstatus, die sowohl in freien als auch in institutionellen Strukturen arbeiten, sind am härtesten von der Pandemie betroffen. Gerade diese Gruppe hat in den letzten Jahrzehnten für einen erheblichen künstlerischen Innovationsschub in der freien Szene und am Stadttheater gesorgt – und das bei einem Durchschnittseinkommen von knapp 14.000 Euro im Jahr. Die Erfahrungen, die diese Gruppe in der Krise macht, legen gleich mehrere systemische Fehlstellen offen: Gastdarsteller:innen an öffentlich geförderten Theatern wurden bei abgesagten Vorstellungen und Projekten nur zu einem geringen Teil oder gar nicht entlohnt. Ihr ungeklärter Status – sozialversicherungsrechtlich angestellt aber arbeitsrechtlich selbständig behandelt – sowie ein reformbedürftiger Gastvertrag an den Theatern erlauben diese Praxis. Die Soforthilfemaßnahmen zeigen, wie wenig Kenntnis die Bundes- und Landespolitik über den Erwerbstatus und die Arbeitsrealität von Solo-Selbstständigen oder hybrid arbeitenden Künstler:innen besitzt, und dass die gesetzlichen Regelwerke an der Arbeitsrealität dieser Gruppe häufig vorbei gehen.
Hier könnte ein Lösungsansatz sein: – Zusammenarbeit stiften zwischen verschiedenen Stakeholdern wie dem Ministerium für Arbeit und Soziales (Gesetzliche Regelungen) und den etablierten Interessenverbänden (Branchenkenntnis) unter Einbeziehung von Wissenschaftler:innen (Fakten und Daten)
– Aus diesen Synergien einen fundierten Maßnahmenkatalog entwickeln, der die hybride Arbeitsrealität der freischaffend arbeitenden Künstler:innen anerkennt
– Nutzbarmachung dieser Ergebnisse durch den Gesetzgeber, um tatsächliche Verbesserungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialrecht und Steuerrecht zu erwirken
Es braucht neue Modelle und einen NEW CULTURE DEAL
Der Soziologe Pascal Gielen macht bereits vor der Corona-Krise ein gedankliches Angebot für einen Bewusstseinswandel im Sinne der Transformation der Künste. Er fragt, auf welcher Basis gesellschaftliches Miteinander möglich sein kann. Seine These: Nicht die Ökonomie ist die Basis, auf der Kultur möglich ist, sondern die Kultur ist die Basis, auf der Ökonomie möglich ist. Kultur schaffe eine Vertrauensbasis unter Individuen und damit eine Basis für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kulturelle Praxis sei das Fundament und der Kitt der Gesellschaft. Insofern braucht Deutschland, folgen wir Gielens These, einen New Culture Deal, der ein grundlegenderes Selbstverständnis und die Anerkennung des kulturellen Lebens voraussetzt, also Strukturen und Angebote schafft für eine lebendige, partizipative, kulturelle Vielfalt ermöglichende und vermittelnde Kulturpraxis – insbesondere jenseits der etablierten Kunsttempel.
Tatsächlich scheint aktuell aber das Gegenteil der Fall zu sein. In der Pandemie werden Kultur und Kulturelle Bildung plötzlich wieder unter den Sammelbegriff »Freizeitaktivität« subsumiert. Erste Kommunen setzen in Anbetracht drastisch gesunkener Einnahmen bereits den Rotstift bei den freiwilligen Ausgaben für Kunst, Kultur und Bildung an. Um das Theater als Kulturinstitution und potentiell immaterielles kulturelles Erbe zu erhalten, besteht aktuell mehr denn je dringender Handlungsbedarf.
Deshalb schlagen wir vor: – Wertschätzung und Förderung der Kultur als ein zentraler Bereich unserer Gesellschaft, der für seine Erhaltung und vor allem in seinem dringenden Reformbedarf mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird
– Für die Kommunen muss es ein finanzielles Entlastungprogramm aus dem Bundeshaushalt geben – ähnlich dem DigitalPakt Schule, der eine Mitfinanzierung der Bildung durch den Bund ermöglicht, ohne in die Bildungsautonomie der Länder einzugreifen
– Kulturförderung muss zur Pflichtaufgabe aller Ebenen der Politik (Kommune, Land, Bund) werden. Als ein wichtiger Schritt dafür wird eine entsprechende Verankerung im Grundgesetz angesehen
– Ein solches Kooperationsgebot muss als KulturPakt mit der Verpflichtung der Kommunen einhergehen, das Geld zweckgebunden in Kultur und Bildung zu investieren und gleichzeitig ihre Eigenanteile zu leisten
Die notwendige Transformation erfordert von allen Akteur:innen eine enge Zusammenarbeit und Offenheit zur Veränderung bisheriger Verhaltensmuster und Strukturen. Diese wäre eine angemessene Antwort nicht nur auf die Corona-Krise, sondern auf die grundlegenden Änderungen des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens jetzt und in Zukunft.
[1] Schmidt, Thomas (2020): Modernes Management im Theater, Wiesbaden: Springer VS, Seite 30.
Autor*innen
Anica Happich, Schauspielerin, Künstlerin und kulturpolitische Akteurin, die an öffentlich geförderten Theatern, Institutionen der freien Szene und als Filmschauspielerin tätig ist. Als kulturpolitische Aktivistin arbeitet sie im Spannungsfeld der künstlerischen Praxis und bildungspolitischen Arbeit für die Bedeutung und die Belange der Darstellenden Künste u.a. im jungen ensemble-netzwerk sowie dem ensemble-netzwerk e.V. Als Schauspielerin war sie bis 2020 am Theater Basel engagiert.
Jakob Arnold, Regisseur, Autor und Dozent. Er arbeitet an Landes- und Stadttheatern in ganz Deutschland. An der Folkwang Universität der Künste hat er Lehraufträge für Schauspiel und Regie inne. Gemeinsam mit Anica Happich gründete er 2016 das junge ensemble-netzwerk.
Verfängliche Legitimierungsstrategien in Zeiten der Pandemie
Nicht erst seit Beginn der Pandemie ist »Relevanz« zu einem Zentralbegriff zur Beurteilung von künstlerischer Qualität avanciert. Aber ist er selbst in kategorialer Hinsicht überhaupt relevant für die künstlerische Praxis? Und ist die dieser Tage reflexhaft ins Feld geführte Relevanz, ob alt oder neu, das richtige Antidot für das Odiosum der »Systemrelevanz«?
Eine nicht eben subtil verstandene »Relevanz« wird schon seit Jahren als Grundkriterium bei der Beurteilung künstlerischer Werke jeglicher Art bemüht.
Die Verwendung dieses Kriteriums unterstellt nicht selten, dass genuin künstlerische Qualitäten nicht nur irrelevant sind, sondern mangelnde Relevanz regelrecht indizieren. Gleichermaßen erweist sich immer wieder, dass Relevanz nichts anderes bedeutet als – am liebsten offen zur Schau gestellter – aktualpolitischer Geltungsanspruch. In dieser reflexiven Verkürzung hat Relevanz weniger mit künstlerischer Aussagekraft zu tun als das Nilpferd mit dem Ballett: Kunst soll der Oppositionspartei die ideelle Reklame, soll dem Feuilleton das kontrollierte Skandalon, soll dem Publikum die klare Aussage liefern, damit sie es verstanden haben und im Bewusstsein der eigenen moralischen Überlegenheit von dannen schreiten kann.
Folgt das Urteil außerästhetischen, nämlich kunstfremden Kriterien, gibt es gewissermaßen das Innerste der Kultur preis und lizenziert den Verzicht auf deren eigengesetzliches Existenzrecht. Es erscheint nur auf den ersten Blick paradox, dass die derart auf realpolitischen Widerstand eingeschworene Kulturproduktion – da sie ihre ureigene formale Widerständigkeit verliert – in letzter Konsequenz von politischen Agenden vereinnahmt wird und nicht selten einer konformistischen Kurzlebigkeit anheimfällt.
Nachdem nun die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie verabschiedet und damit Kulturveranstaltungen im öffentlichen Raum untersagt wurden, brachten viele Kulturschaffende Protest und Bestürzung zum Ausdruck – ob in kleinen Video-, Bild- und Textbeiträgen im Internet, in großangelegten Aktionen oder aber in Zeitungskommentaren. Unter den letzteren befanden sich nicht wenige gutgemeinte Legitimierungsversuche des Kulturbetriebs, welche unterstrichen, dass Kunst und Kultur einen Bildungsauftrag erfüllten, Aufklärungsarbeit leisteten, in schweren Zeiten erbaulich wirkten, das Gemeinschaftsgefühl stärkten und den gerade jetzt so vermissten persönlichen Austausch förderten – kurzum, dass sie relevant und systemrelevant seien.
Es zu vermuten, dass solche Rechtfertigungen von Kulturtätigen in erster Linie gegen außen vertreten werden –
indem sie die pragmatistische Logik der Führungsriege übernehmen, der die fundamentale Unverzichtbarkeit von Kunst offenbar alles andere als evident ist. So verständlich dieses legitimatorische Ansinnen auch sein mag, verkauft es Kunst, indem es ein erratisches Wertesystem reproduziert, weit unter Wert – und wirft uns so zurück auf die schnöde Intranszendenz jener Alltagslogiken, welche zu übersteigen künstlerische Arbeit gerade berufen ist.
Dass eine solche Selbsterniedrigung der Kulturwelt überhaupt vonnöten zu sein scheint, ist zwar keineswegs neu; aufs Neue demonstriert sie jedoch das desaströse Ausmaß der vorherrschenden kategorialen Verkehrung: Kunst als Mittel zu einem vermeintlich übergeordneten, wichtigeren, bestenfalls ›handfesten‹ Zweck zu begreifen. Doch Kunst ist nicht für etwas Anderes da, für Politik, Demokratie, Umwelt, Bildung oder Gesundheit – auch wenn sie auf allen diesen Terrains Großes leisten kann.
Nein: Kunst gehört zu den wenigen Aspekten unseres Lebens, die sich außerhalb von dessen inhärenten Erfordernissen und Zwängen konstituieren, den Sinn also nicht aus diesen beziehen, sondern wirklichen Sinn überhaupt erst zu stiften vermögen. Wir brauchen Kunst nicht für etwas – sondern für uns. Jede andere Begründung ist nichts als ein Zugeständnis an horizontbeschränkte Zweckrationalitäten.
Die Existenz und Bedeutung von Kunst muss nicht begründet werden. Vielmehr müssten kulturfeindliche Tendenzen in einer Kulturgesellschaft unter Rechtfertigungsdruck stehen: Wenn Kunst aus Sicht eines Systems nicht relevant ist, dann sollte man dringend nach der Relevanz dieses Systems aus Sicht der Kunst fragen.
Autor
Alexander Estis, 1986 in Moskau geboren, lehrte nach dem Studium deutsche Literatur an verschiedenen Universitäten. Seit 2016 lebt er als freier Autor in Aarau. Seine Texte werden in Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen publiziert; zuletzt erschien das Handwörterbuch der russischen Seele bei der Parasitenpresse Köln.
In den Ankündigungen zum »Lockdown Light« im November 2020 wurden Theater, Opern- oder Konzerthäuser in einem Atemzug mit Spielhallen, Wettannahmeeinrichtungen und Bordellen genannt. Auf solche »Unterhaltungsveranstaltungen« musste man im Lockdown also verzichten. Und hier wären wir schon beim Kern des Transformationsprozesses zu einer #neuenRelevanz: Welchen Hirnen fallen solche Aufzählungen und Verbindungen ein? Welche Frauen gehen zu Unterhaltungszwecken ins Bordell? Diejenigen, die dort – teilweise unter Verschleppung und Zwang – Sexarbeit ausüben? Soviel zur Relevanz von Kultur in der größten Krise seit Jahrzehnten. Nachzulesen in einer simplen Aufzählung. Kunst und Kultur haben schlichtweg nicht die Relevanz, die sich die meisten Kulturschaffenden wünschen.
Und auch in der »Kulturnation« Österreich findet der kulturelle Sektor, Anziehungspunkt für Millionen Tourist*innen und somit wichtiger Wirtschaftsfaktor, der Millionen an Wertschöpfung in Hotellerie, Gastgewerbe, Transport und Handel bringt, nicht die gewünschte Wertschätzung. Mit eisernem Willen haben die Salzburger Festspiele in einem nahezu festivallosen Sommer 2020 Flagge bewiesen und ein »Hurra, wir leben noch!« in die Welt gerufen.
Ein ähnliches »Hurra, wir leben noch!« war auch vor 76 Jahren in den zerbombten Städten Wien und Berlin zu vernehmen: Burgtheater und Staatsoper wurden in Windeseile wiederaufgebaut. Im Berliner Schloss fanden kurz nach Kriegsende wieder Kunstausstellungen statt. Am 30. April 1945 nahm das Burgtheater den Spielbetrieb in der Ersatzspielstätte Ronacher wieder auf. Theater, Opern- und Konzerthäuser sind noch nie so lange stillgestanden wie jetzt. Für das Publikum hat Kultur Relevanz. Weil sie Hoffnung ist. Sinn gibt. Und zu Reflexion und persönlicher Entwicklung einlädt.
Money, Money, Money: Digitale Angebote bringen kaum Geld
Der analoge Kulturbetrieb aus Theatern, Opern, Konzertsälen und Museen, aber auch die Clubszene und viele andere kulturelle Veranstaltungen sind in der Pandemie plötzlich digital geworden. Angebote werden gestreamt, neue digitale Formate entwickelt und selbst die Eröffnung des neuen Humboldt Forums ist dank Lockdowns nun plötzlich zu einem digitalen Erlebnis für Menschen aus aller Welt geworden. Die Digitalität ist nicht mehr wegzudenken und sie ist eine Bereicherung. Zumindest für all diejenigen, die über Zugänge verfügen. Fakt ist jedoch auch: Damit ist kein bis kaum Geld zu verdienen.
Nun könnte man eine Verbindung herstellen, indem man Audience Development im Sinne eines Community Buildings mit Digitalisierungsprozessen verbindet. Erweiterter Outreach, neue Zielgruppen erreichen, Teilhabe am Entwicklungsprozess – all dies lässt sich mit digitalen Formen verbinden. Statt den geplanten Abend bloß abzuspielen, muss das Streaming zu eigenständigen digitalen Formaten weiterentwickelt werden. Distance Learning in der Schule gestützt durch Naturkundekurse direkt aus dem Museum, die auch noch Spaß machen?!
Die Teilhabe am künstlerischen Entwicklungsprozess ist digital auch für Menschen möglich, die irgendwo auf diesem Globus sitzen. Mit digitaler Vernetzung lässt sich Perspektivenvielfalt im künstlerischen Entwicklungsprozess viel leichter realisieren, als wenn eine wochenlange Anwesenheit vor Ort nötig ist. Deutungshoheit kann durch digitale Einbindung, Zugriff auf digitalisierte Sammlungsbestände und online-Austausch mit Communitys sehr einfach abgegeben werden. Wow! Und da entsteht dann eine ganz andere Form von Relevanz: Vielstimmigkeit ist möglich, globale Zusammenarbeit, neue Formen der Teilhabe. Diese Vernetzung lässt eine ganz neue Form von Wissen entstehen und bringt Stimmen in einen Prozess ein, der eben nicht nur aus Restitution von Sammlungsbeständen besteht.
Für die meisten deutschen Kulturbetriebe mit niedrigen Eigendeckungsgraden könnte dies eine #neueRelevanz darstellen. Egal, ob bei geöffnetem oder geschlossenem Kulturbetrieb: »The challenge is not whether to build communities or audiences but how to build communities and audiences together« [1] Diese Verbindung mit dem Digitalen wäre eine Möglichkeit ein »how« zu entwickeln – um mit der Disruption durch Corona produktiv umzugehen. Abgabe von Deutungshoheit und Macht durch digitale Teilhabeprozesse in diverse Communities, Herkunftsgesellschaften und Zielgruppen hinein. Weg vom permanenten »Wir zeigen Dir was und wissen wie es geht!«-Denken hin zu einem den*die Besucher*in und Communitys aktivierenden »Trag bei, egal wo du dich befindest! Mit deinem Wissen, deiner Expertise, deinen Erfahrungen und gestalte mit uns etwas Neues!«. Dadurch entsteht Wachstum, dadurch entsteht Entwicklung. Dadurch entsteht Sinn.
Statt Herumlavieren gleich ins direkte Miteinander gehen
Unsere Seelen wollen durch Kunst berührt werden. Und sie wollen durch den Austausch mit anderen Menschen berührt werden. Das hat sich in tausenden Jahren Kunstproduktion und Menschsein nicht geändert. Wenn Künstler*innen über den Globus jetten können, dann können digitale partizipative Angebote und Verbindung von Mensch zu Mensch das auch. Dann diskutieren wir zukünftig nicht mehr die Relevanz von Kunst und Kultur – sondern wir stehen in direktem Austausch mit Communities in Nigeria, China oder Neukölln. Fürs Diskutieren bleibt keine Zeit, weil wir in Verbindung sind mit den Menschen, für die Kultur ohnehin relevant ist, egal ob die Häuser offen oder geschlossen sind. Jenseits von Grenzen: Hauptsache Verbindung.
[1] Borwick, Doug (2012): Building Communities, Not Audiences: The Future of the Arts in the United States. Winston-Salem, S.8
Autorin
Irene Knava ist Expertin für Publikum, Kulturerlebnis und kulturelles Wirkungsmanagement. Sie ist systemische Organisationsberaterin, zertifizierte Qualitätsmanagerin, Trainerin und Lehrbeauftragte an Hochschulen in Österreich und Deutschland. 2019 erschien ihr viertes Buch AUDIENCING Diversity 4.0 – Transformation im digitalen Wandel gestalten und Wirkkraft durch Vielfalt verstärken bei Facultas, Wien. www.audiencing.net
#neue Relevanz trägt zum Aufbruch bei. Quo vadis-Fragen à la »Wie geht es weiter?« oder »Wie möchten wir leben und arbeiten?« sind mir nicht nur in Kunst, Kultur und Politik zu stetigen Begleiterinnen geworden. Eng verbinde ich sie mit dem Leben in Wuppertal, jener Stadt, in der ich seit 2006 lebe. Der Aufbruch wurde ihr schon in die Wiege gelegt, vor und selbst mit Corona: Hier pulsiert er als Stimmung und hatte schon immer viel mit Engagement zu tun. Dazu passen die viel zitierten Worte: »Am schwärzesten Fluss der Welt, der Wupper, lernt man erkennen, welche Menschen leuchten«, die häufig der Wuppertaler Lyrikerin Else Lasker-Schüler zugeordnet werden, nach jüngsten Recherchen vom Theologen Rudolf Bohrer stammen. Diese Zeilen verweisen auf jene Resilienz, wie wir sie als Kunst- und Kulturschaffende gut kennen und wie sie aktuell für alle Menschen immer relevanter werden. Resilienz und Aufbruch: Beide brauchen Vertrauen.
Seit etwa einem Jahr stellt uns die Pandemie vor vielseitige, unerwartete und alles andere als übersichtliche Herausforderungen. Nach dem Erschrecken über die Krise und ihren unüberschaubaren Umfang kam bald die Frage auf, ob sie auch Chance sein könnte. Spätestens diese einschneidende Zäsur lädt uns ein, zum Innehalten, zur Selbstreflexion und zum Umdenken. Mit dem Fokus auf Kulturpolitik und Transformation trägt das Kaleidoskop der Blogreihe #neueRelevanz inspirierend dazu bei, der Stimmenvielfalt und ganz pragmatisch den Hürden und weiterbringenden Perspektiven einen Raum zu öffnen.
Genau dieser vielfältige Wissenstransfer und die weitere Vernetzung unterstützen uns dabei, konstruktiv und sportlich selbstbewusst, wie Katrin Lechler es gefordert hat, um mit der aktuellen Situation umgehen zu können. Klug vorausschauend beschreibt sie, wie existenzbedroht die kulturelle Infrastruktur unter dem Corona-Brennglas dasteht und wie es damit in den Haushalten (ganz besonders in den kommunalen) umzugehen heißt. Ja, mit »Klauen und Zähnen« gilt es, sie zu verteidigen, die dringend wertzuschätzenden und zu würdigenden Potenziale, die in Kunst, Kultur und meiner Ansicht nach auch in der Natur stecken. »Vorausschauendes Handeln« und »lokale Erkenntnisprozesse« sind gefragt. Und so verankere ich mich in meinem ›Quo vadis‹ für #neueRelevanz im Lokalen, in meiner Heimat Wuppertal, einer Stadt im Aufbruch.
Austausch und Aufbruch
Austausch prägt meine Arbeit als freie Dramaturgin. Austausch hat mich in vielfältigen Formationen – überwiegend digital – in und über Wuppertal hinaus durch das letzte Jahr begleitet: So ist gemeinschaftlich der EinTopf – Solidarfonds für Kunstschaffende entstanden oder ist die Sommerakademie für klimagerechte Kulturpolitik der KuPoGe durch verschiedene Orte der Stadt gewandert. Unter der Frageperspektive »Von der Zukunft her?« lud bei letzterer die Kulturwissenschaftlerin und Pionierin im Feld von Ästhetik und Nachhaltigkeit Hildegard Kurt mit einem Zwischenruf dazu ein, sich dem »Vernehmen« zuzuwenden, als eine Abkehr vom Modus des »Verfügens« (nach dem Soziologen Hartmut Rosa). Wie kann eine solche Empfänglichkeit, ein solches Zuhören im Alltag aussehen?
Einen erfrischenden Ausgleich zum Homeoffice und zu stundenlangen digitalen Konferenzen finde ich aktuell in einem In-Bewegung-Sein, einem Lauftreffen zu zweit, jeweils mit Kolleg*innen aus Kunst und Kultur: Dann geht es entweder über einen Waldhügel mitten im Stadtgebiet oder über die Wuppertaler Nordbahntrasse. Letztere ist Zeugnis für ein faszinierendes bürgerliches Engagement, aus dem heraus seit 2010 mit viel Elan und zehn Millionen Euro eine alte Bahntrasse zu einer vielgenutzten Bewegungsstrecke quer durch fast alle Stadtteile ausgebaut wurde. Wie auf einer Perlenschnur reihen sich heute soziokulturelle Projekte und Institutionen an der Trasse auf. Ganz wesentlich ist sie zum Symbol für eine spürbare Aufbruchsstimmung des städtischen Miteinanders geworden.
Resilienz
Über das gegenseitige Zuhören kristallisierte sich »Resilienz« beim Laufen als Thema heraus, mit dem ich mich aus eigener Erfahrung auskenne und das mich bewegt. Der als solcher gut nachvollziehbare Konjunkturbegriff lässt sich auf das lateinische ›resilire‹ (zurückspringen, abprallen) zurückführen. Zieht man das empfohlene aktuelle Philosophie Magazin der Philosophin Svenja Flaßpöhler zu Rate, zeigt sich, dass Resilienz in der Physik die Eigenschaft von Körpern bezeichnet, die nach Verformung durch Außenstörung wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren. Widerstandsfähig auf Krisen und auf nachhaltige Belastungen reagieren zu können, sind Eigenschaften, die zentral für eine gesellschaftliche Stabilität sind.
Als freie Kulturschaffende wissen wir gut, dass mit Verlusterfahrungen zugleich ein Wandel einhergeht. Ganz passend zur eigenen Situation als freie Kunstschaffende ist auch das im Magazin von Andreas Reckwitz skizzierte Bild vom Zusammenwirken von Stand- und Spielbein. Es hilft, bei aller Verlustprävention nicht das Spektrum der Möglichkeiten zu vergessen, welches der Kunst mit ihrem kreativen Reflexions- und Entfaltungsraum ganz besonders innewohnt. Seit der Antike unterstützen uns Figuren wie der aus der Asche auferstandene Phoenix oder die Hydra mit ihren nachwachsenden Köpfen darin, Erschütterungen als möglichst innovativ, kreativ und eben transformativ wahrzunehmen. Wie kann nach dem leidvollen letzten Jahr ein Aufbruch (kulturpolitisch) aussehen?
Sicherheit, Freiheit und Vertrauen
Als eine Kollegin und ich gerade durch einen der vielen Tunnel der Nordbahntrasse liefen, kamen wir auf eine im Januar gesendete Folge des Philosophischen Radios (WDR) zu sprechen. Der Moderator Jürgen Wiebicke hatte zum Thema »Vereinbar? Freiheit versus Sicherheit« den Philosophen Christoph Quarch geladen. Dessen These: Mitten in der Corona-Pandemie wird das Verlangen nach Sicherheit und Freiheit ebenso intensiv wie unerfüllbar; beide Zustände sind unerreichbar. Beide flankieren ein extrem geladenes Spannungsfeld. Beide sind zugleich Jahrhunderte alte Bedürfnisse unserer modernen Gesellschaft, wie Quarch prägnant historisch aufrollte. Zuhörer*innenbeiträge kamen auf Vertrauen als wesentliche Kategorie jenseits des Spannungsfeldes von Sicherheit und Freiheit zu sprechen, auf Zugehörigkeit und Verbundenheit. Beim erneuten Zuhören prägte sich mir eine weitere Schlussfolgerung des Gesprächs ein: dass sich wohl das Wesentliche zukunftsweisend in Zwischenräumen abspielt, über Begegnungen, Interaktionen und Kooperationen, wie sie Kunst und Kultur auszeichnen.
In unserer sicher unsicheren Zeit brauchen wir eine (Kultur-)Politik, die erkennt und mehr denn je fördert, dass sich gesellschaftlich so zentrale Werte wie Vertrauen und Zugehörigkeit entwickeln können. Begegnungen und Interaktionen entstehen wesentlich über Kunst und Kultur (und Natur). Genau solche Möglichkeitsräume müssen bewahrt, ausgebaut und entwickelt werden. Lokal hat dies letztes Jahr die Stadtlandkarte »Zukunftslabor Kunst & Stadt. Versuchsanordnung I« mit ihren 13 Beispielorten aus Kunst und Kultur prägnant greifbar gemacht. Genau an solchen Orten setzt die notwendige gesellschaftliche Transformation an. Hier wird Vertrauen aufgebaut.
Transformation
In Wuppertal ist der aktuell häufig benannte Begriff Transformation vielseitig und eigenartig verankert, schon in der Geschichte, über Friedrich Engels oder die Frühindustrialisierung. Das Stadtbild prägt die Schwebebahn, eine verwirklichte Utopie und Wahrzeichen des Fortschritts. Über künstlerische Impulse, über Künstler*innen wie Pina Bausch mit dem Tanztheater Wuppertal, Peter Kowald und andere eigenwillige Pionier*innen wurden Veränderungen eingeleitet, Impulse gesetzt, die Kunst und Kultur weltweit prägen und bis heute den Charme der etwas seltsamen langgestreckten Stadt ausmachen. Aktuell ist neben vielen anderen Utopiastadt als »andauernder Gesellschaftskongress mit Ambition und Wirkung« im alten Mirker Bahnhof ein Beispiel par excellence für transformative Stadtgestaltung.
Vor über zwei Jahren erschien »Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels« von Prof. Dr. Uwe Schneidewind, dem langjährigen Leiter des 1990 eröffneten, weltweit einflussreichen Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Seit November 2020 ist er neuer Oberbürgermeister der Stadt. In seinem Buch erklärt er Wuppertal zur Modellstadt für gesellschaftliche Transformation und betont mit seinem Begriff der »Zukunftskunst« das Potential des Gestaltens in Prozessen gesellschaftlichen Wandels. Seit über 100 Tagen ist er nun Oberbürgermeister, angekommen mitten in der Kommunalpolitik und im – teils wenig Vertrauen spendenden – kommunalpolitischen Gerangel. Sein Zukunftsprogramm#Fokus_Wuppertal hat er kürzlich lanciert und appelliert dabei an das Vertrauen.
Für die anfangs erwähnten »lokalen Erkenntnisprozesse« bleibt spannend, wie sich Transformation ganz konkret weiter ausgestalten wird. Mit »100 Tage Stillstand« zeigt sich die Opposition ungeduldig. Spannend bleibt, was sich mit den begonnenen Transformationen in der Stadtverwaltung entwickelt. Nach »100 Tagen Einsamkeit« für Kunst und Kultur, wie es kürzlich bei Deutschlandfunk Kultur hieß, sei es allerorts oder eben in Wuppertal, ist nun aus kulturpolitischer Perspektive spannend, wie ein ›Quo vadis‹ hier aussehen und gestaltet werden kann. Für alle gilt: Wie sieht es mit Stand- und Spielbein aus, mit Sicherheit und Freiheit, mit dem Zuhören, Vertrauen und jenen so zukunftsweisenden Begegnungs- und Zwischenräumen? Was braucht es ganz konkret? Wie kann zukunftsweisendes Handeln aussehen, konkret in zukünftigen kommunalen Haushalten?
Quo vadis Kunst und Kultur?
Lokal als Start: Vor fast vier Jahren gründete sich in Wuppertal »)) freies netz werk )) KULTUR«. Einen Monat nach den Landtagswahlen in NRW fand der erste Jour fixe einer damals beginnenden Veranstaltungs- und Austauschreihe in der Utopiastadt an der Nordbahntrasse statt. Der aufschlussreiche Input vom kulturpolitischen Reporter Peter Grabowski klingt mit dem Zitat und Appell »Demokratie ist keine Zuschauerveranstaltung« noch aktiv nach. Einiges hat sich seither getan. Im letzten Spätsommer wurden mitten im NRW-Kommunalwahlkampf im multikulturellen Café ADA / INSEL e.V. die Oberbürgermeister-Kandidat*innen der Stadt zu Themen von Kunst und Kultur befragt, eingeladen von Zusammenschlüssen städtischer Kunst- und Kulturakteur*innen, von fnwK und EinTopf – Solidarfonds für Kunstschaffende.
So wie es die Pandemie im spätsommerlichen Lockdown-Fenster zuließ, fanden sich Vertreter*innen aus Kunst & Kultur, Verwaltung, Politik und Presse zusammen oder nahmen über das Streamingportal Stew.one teil. Als eine Art Sprungbrett für die lokale »Kunst befragt Politik«-Runde gab es eine NRW-weite Aktion vom Landesbüro Freie Darstellende Künste, die OB-Kandidat*innen aus verschiedenen Städten NRW bat, sich über kurze Statements deutlich zur Kunst- und Kulturszene, zu ihren Themen und ihrer Relevanz zu positionieren. Noch heute sind die Clips über Kunstvorort.nrw online und wie das ›Quo vadis‹-Graphic Recording (das demnächst in die neue OB-Amtsstube wandern wird) Zeugnisse von dynamischen und lebendigen Austauschprozessen. Genau diese sind im Spannungsfeld von Kunst, Kultur, Verwaltung und Politik notwendig, um Fragen und Themen auszuhandeln und Impulse für aussagekräftige und zukunftsweisende Prozesse setzen zu können. So kann Vertrauen wachsen.
Bundesweit ist die Aktion 40.000 seit einigen Jahren mit Gesprächen zwischen Kunstschaffenden und Politiker*innen unterwegs. Um nicht in der eigenen Bubble zu verharren, macht es Sinn, die Dialoge nicht nur mit Kulturpolitiker*innen zu führen, die sich meist gut auskennen, sondern mit Politiker*innen aller Ressorts. Auch hier entstehen Verständnis und Vertrauen, um möglichst konstruktiv die Relevanz von Kunst & Kultur und Arbeitsrealitäten in die Haushalte zu tragen, sei es auf kommunaler, auf Landes- oder Bundesebene. Beispiele entpuppen sich als Ergebnisse.
Aufbruch kann gesellschaftlich erst durch ein Miteinander geschehen, gegenseitiges Zuhören, ein sich Vernehmen und Verständigen. Das kennen wir alle und doch ist es aktueller denn je. Ganz konstruktiv hängen Resilienz und Vertrauen eng zusammen: Kunst & Kultur brauchen Stand- und Spielbein zugleich, Sicherheit und Freiheit. Wie wollen wir leben? Für einen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch mit der dringend notwendigen großen Transformation ist ein Vertrauen gefragt, das alle mitgestalten können. Aufbruch: Vertrauen: Was braucht es?
Autorin
Dr. Uta Atzpodien (*1968) ist Dramaturgin, Kuratorin und Autorin und engagiert sich mit transdisziplinären (künstlerischen) Impulsen für einen gesellschaftlich nachhaltigen Wandel und eine kreative Stadtentwicklung. Promoviert hat sie mit »Szenisches Verhandeln. Brasilianisches Theater der Gegenwart« (transcript 2005). Seit 2006 lebt sie in Wuppertal, hathier)) freies netz werk )) KULTUR mit gegründet und ist u.a. Mitglied vom und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit.